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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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dem Abbe ein lobenswerthes Zeugniß der Religiosität -- hing ein kleines
Madonnenbild mit einem brennenden Lämpchen darunter, das jedoch so viel
als nichts zur Erhellung der düsteren, fast dunkeln Stube beitrug. Trotzdem
mundete schwarzer Kaffee und schwarzes Brod vortrefflich; nach kurzer Rast
wurden die Pferde von neuem angetrieben. Hinter Guercino nahm die Ge¬
gend zeitweilig einen andern Charakter an; es öffnete sich eine schöne Wald¬
partie mit grünen Wiesen, bis sich unser Weg in einem schmalen Fußpfad
zwischen Hagedorngestrüuch verlor und dann gänzlich auf Stoppelfeldern ver¬
schwand, die mit einer Unmasse von Steinen übersäet waren; die Führer
mußten die Pferde am Zügel halten, damit sie nicht stolperten; das Maul¬
thier des Abbe knickte wiederholt in die Knie, und sein Reiter rief im höch¬
sten Zorn ein über das andere Mal: "giuoco ig. mis, vita,! (ich setze mein
Leben aufs Spiel!)" Nachher legte er das Bekenntniß ab, er habe der Ma¬
donna und allen Heiligen ein Gelübde gethan für den Fall, daß er glücklich
die Mühsale unseres Rittes überstehe. Offenbar waren wir vom richtigen
Wege abgekommen; denn es hörte eben jeder Weg auf; Rath konnte man
sich nirgend erholen, da kein lebendes Wesen sich bis jetzt hatte blicken lassen;
die Wissenschaft unserer Führer hatte schon lange ihre Endschaft erreicht; sie
vertrösteten uns immer auf eine Osterie, die in der Nahe sein müsse, wo wir
Mittag machen könnten. Endlich, um ein Uhr lag sie, ein vereinzeltes elen¬
des Steinhaus in weiter, öder Gegend vor uns; auf den nahen Wiesen wei¬
dete zahlreiches Vieh, unter welchem sich die weißen seidenhaarigen Ziegen
auszeichneten. Eier und Brod waren das Einzige, was wir zu unserer Stär¬
kung haben konnten, dazu war das Brod schlechter als das, welches unsere
Führer zum Futter für die Pferde mitgenommen hatten, wir machten deshalb
einen Tausch. Die Wirthsstube, in welche das Licht durch die offenstehende
Thür kam, glich mehr einem Stalle, als allem andern, besonders da sich zu
unserer Begrüßung gar bald einige Ferkel aus den Nebenzimmern einfanden;
wir zogen daher vor, hinter dem Hause aus dem Grase zu diniren; die Würze
zu unserm Mahle mußten wir uns selbst verschaffen, denn das offerirte Salz
war feucht und so schmuzig, daß es uns anekelte; außer Wasser gab es nichts
zu trinken, und wenn ich auch das Glas, welches durch ausgedrückte Fingcr-
und Mundspuren fast undurchsichtig gemacht war, nicht hätte fürchten wollen,
so scheute ich mich doch die ohne Brille und Mikroskop darin bemerkbare Me¬
nagerie von Infusorien und dergleichen Gewürm in mich aufzunehmen. Jetzt
erfuhren wir auch, daß wir von unserer beabsichtigten Route abgekommen
waren, indem wir Trevi und den Treverone weit zur Rechten hatten liegen
lassen, aber wir waren doch auf eine gang- und fahrbare Straße gekommen,
die uns in vier Stunden nach Sübjaco führen sollte. Die Beförderung da¬
hin ging jedoch ziemlich langsam von Statten. Die Pferde von Trisulti


dem Abbe ein lobenswerthes Zeugniß der Religiosität — hing ein kleines
Madonnenbild mit einem brennenden Lämpchen darunter, das jedoch so viel
als nichts zur Erhellung der düsteren, fast dunkeln Stube beitrug. Trotzdem
mundete schwarzer Kaffee und schwarzes Brod vortrefflich; nach kurzer Rast
wurden die Pferde von neuem angetrieben. Hinter Guercino nahm die Ge¬
gend zeitweilig einen andern Charakter an; es öffnete sich eine schöne Wald¬
partie mit grünen Wiesen, bis sich unser Weg in einem schmalen Fußpfad
zwischen Hagedorngestrüuch verlor und dann gänzlich auf Stoppelfeldern ver¬
schwand, die mit einer Unmasse von Steinen übersäet waren; die Führer
mußten die Pferde am Zügel halten, damit sie nicht stolperten; das Maul¬
thier des Abbe knickte wiederholt in die Knie, und sein Reiter rief im höch¬
sten Zorn ein über das andere Mal: „giuoco ig. mis, vita,! (ich setze mein
Leben aufs Spiel!)" Nachher legte er das Bekenntniß ab, er habe der Ma¬
donna und allen Heiligen ein Gelübde gethan für den Fall, daß er glücklich
die Mühsale unseres Rittes überstehe. Offenbar waren wir vom richtigen
Wege abgekommen; denn es hörte eben jeder Weg auf; Rath konnte man
sich nirgend erholen, da kein lebendes Wesen sich bis jetzt hatte blicken lassen;
die Wissenschaft unserer Führer hatte schon lange ihre Endschaft erreicht; sie
vertrösteten uns immer auf eine Osterie, die in der Nahe sein müsse, wo wir
Mittag machen könnten. Endlich, um ein Uhr lag sie, ein vereinzeltes elen¬
des Steinhaus in weiter, öder Gegend vor uns; auf den nahen Wiesen wei¬
dete zahlreiches Vieh, unter welchem sich die weißen seidenhaarigen Ziegen
auszeichneten. Eier und Brod waren das Einzige, was wir zu unserer Stär¬
kung haben konnten, dazu war das Brod schlechter als das, welches unsere
Führer zum Futter für die Pferde mitgenommen hatten, wir machten deshalb
einen Tausch. Die Wirthsstube, in welche das Licht durch die offenstehende
Thür kam, glich mehr einem Stalle, als allem andern, besonders da sich zu
unserer Begrüßung gar bald einige Ferkel aus den Nebenzimmern einfanden;
wir zogen daher vor, hinter dem Hause aus dem Grase zu diniren; die Würze
zu unserm Mahle mußten wir uns selbst verschaffen, denn das offerirte Salz
war feucht und so schmuzig, daß es uns anekelte; außer Wasser gab es nichts
zu trinken, und wenn ich auch das Glas, welches durch ausgedrückte Fingcr-
und Mundspuren fast undurchsichtig gemacht war, nicht hätte fürchten wollen,
so scheute ich mich doch die ohne Brille und Mikroskop darin bemerkbare Me¬
nagerie von Infusorien und dergleichen Gewürm in mich aufzunehmen. Jetzt
erfuhren wir auch, daß wir von unserer beabsichtigten Route abgekommen
waren, indem wir Trevi und den Treverone weit zur Rechten hatten liegen
lassen, aber wir waren doch auf eine gang- und fahrbare Straße gekommen,
die uns in vier Stunden nach Sübjaco führen sollte. Die Beförderung da¬
hin ging jedoch ziemlich langsam von Statten. Die Pferde von Trisulti


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[0294] dem Abbe ein lobenswerthes Zeugniß der Religiosität — hing ein kleines Madonnenbild mit einem brennenden Lämpchen darunter, das jedoch so viel als nichts zur Erhellung der düsteren, fast dunkeln Stube beitrug. Trotzdem mundete schwarzer Kaffee und schwarzes Brod vortrefflich; nach kurzer Rast wurden die Pferde von neuem angetrieben. Hinter Guercino nahm die Ge¬ gend zeitweilig einen andern Charakter an; es öffnete sich eine schöne Wald¬ partie mit grünen Wiesen, bis sich unser Weg in einem schmalen Fußpfad zwischen Hagedorngestrüuch verlor und dann gänzlich auf Stoppelfeldern ver¬ schwand, die mit einer Unmasse von Steinen übersäet waren; die Führer mußten die Pferde am Zügel halten, damit sie nicht stolperten; das Maul¬ thier des Abbe knickte wiederholt in die Knie, und sein Reiter rief im höch¬ sten Zorn ein über das andere Mal: „giuoco ig. mis, vita,! (ich setze mein Leben aufs Spiel!)" Nachher legte er das Bekenntniß ab, er habe der Ma¬ donna und allen Heiligen ein Gelübde gethan für den Fall, daß er glücklich die Mühsale unseres Rittes überstehe. Offenbar waren wir vom richtigen Wege abgekommen; denn es hörte eben jeder Weg auf; Rath konnte man sich nirgend erholen, da kein lebendes Wesen sich bis jetzt hatte blicken lassen; die Wissenschaft unserer Führer hatte schon lange ihre Endschaft erreicht; sie vertrösteten uns immer auf eine Osterie, die in der Nahe sein müsse, wo wir Mittag machen könnten. Endlich, um ein Uhr lag sie, ein vereinzeltes elen¬ des Steinhaus in weiter, öder Gegend vor uns; auf den nahen Wiesen wei¬ dete zahlreiches Vieh, unter welchem sich die weißen seidenhaarigen Ziegen auszeichneten. Eier und Brod waren das Einzige, was wir zu unserer Stär¬ kung haben konnten, dazu war das Brod schlechter als das, welches unsere Führer zum Futter für die Pferde mitgenommen hatten, wir machten deshalb einen Tausch. Die Wirthsstube, in welche das Licht durch die offenstehende Thür kam, glich mehr einem Stalle, als allem andern, besonders da sich zu unserer Begrüßung gar bald einige Ferkel aus den Nebenzimmern einfanden; wir zogen daher vor, hinter dem Hause aus dem Grase zu diniren; die Würze zu unserm Mahle mußten wir uns selbst verschaffen, denn das offerirte Salz war feucht und so schmuzig, daß es uns anekelte; außer Wasser gab es nichts zu trinken, und wenn ich auch das Glas, welches durch ausgedrückte Fingcr- und Mundspuren fast undurchsichtig gemacht war, nicht hätte fürchten wollen, so scheute ich mich doch die ohne Brille und Mikroskop darin bemerkbare Me¬ nagerie von Infusorien und dergleichen Gewürm in mich aufzunehmen. Jetzt erfuhren wir auch, daß wir von unserer beabsichtigten Route abgekommen waren, indem wir Trevi und den Treverone weit zur Rechten hatten liegen lassen, aber wir waren doch auf eine gang- und fahrbare Straße gekommen, die uns in vier Stunden nach Sübjaco führen sollte. Die Beförderung da¬ hin ging jedoch ziemlich langsam von Statten. Die Pferde von Trisulti

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/294>, abgerufen am 22.12.2024.