Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.Sinn und Elend unter. Die Paradoxie ist wenigstens mit Geist vorgetragen, Sinn und Elend unter. Die Paradoxie ist wenigstens mit Geist vorgetragen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107315"/> <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776" next="#ID_778"> Sinn und Elend unter. Die Paradoxie ist wenigstens mit Geist vorgetragen,<lb/> — Die andern Novellen verrathen durchweg die weibliche Hand; man höre<lb/> was Clemence, die Heldin der einen („Geschichte einer Reise auf die Freite")<lb/> den Mannern sagt: „Ihr würdigt die Liebe zum täglichen Brot herab! Ihr<lb/> werft uns Wankelmuth vor, und er hat seinen Grund nur in eurer Unfähig¬<lb/> keit, fortdauernd zu lieben. Wir behandeln die Liebe lebenslang Mit Phan¬<lb/> tasie, mit Schwung, unausbleiblich dann mit etwas Caprice und Anspruch.<lb/> Ihr treibt sie neben jedem andern von den Geschäften, die euch eben vor¬<lb/> kommen; ihr fühlt nicht, daß sie wie ein schönes Gewand ist, das man nicht<lb/> bei gemeinen Beschäftigungen anlegt. Ihr wollt ihr nicht wie einer Fürstin<lb/> begegnen, vor der man stets zierlich und mit Anstand erscheint. Das Weib,<lb/> in deren Seele der Trieb zu gefallen eingewurzelt ist, die im Zwang aufwächst<lb/> und sich bildet, vergißt dieses nicht so leicht; tief empfindet sie eure Anfeinden.<lb/> Entschädigt indeß der Mann durch Güte u. f. w., so begnügt sie sich, die<lb/> schöne Erscheinung einst gekannt zu haben und trauen blos über ihre unver¬<lb/> meidliche Vergänglichkeit. Thut er aber das nicht, dann geräth sie in Gesahr,<lb/> durch das Bedürfniß ihres warmen, zurückgesetzten Herzens irre geleitet zu<lb/> werden; und der erste, der sich mit der Künstlersprache, die sie in der Schule<lb/> alle zu reden wissen, bei ihr einstellt, kann sie untreu machen, wie mans<lb/> nennt; unglücklich gewiß, denn nachdem sie erst nach einer neuen Probe ein¬<lb/> sehn lernt, daß dies alles nur eisernes allgemeines Gesetz des Schicksals ist,<lb/> verliert sie obendrein ihr Selbstgefühl." Auf die Frage: „Und Sie kennen<lb/> keine Ausnahme?" antwortet sie schneidend: keine! — Dies ist denn das<lb/> Thema der meisten Novellen; der Mann (stets edel, brav, der aber seiner<lb/> Frau nicht hinlänglich die Cour macht) fühlt sich dann immer als Elender<lb/> und Schuldbewußter, wenn sie ihm „wie mans nennt", untreu wird (so<lb/> in „Sophie", das ganz aus Reminiscenzen aus Theresens eigner Geschichte<lb/> gewebt ist). — Ein zweites Thema sind die „Contraste der Revolution." Ein<lb/> längerer Roman, die Familie Seldorf, erschien schon 1795—6. Die<lb/> Heldin desselben, Sarah, die Tochter eines edlen Menschenfeindes, von einem<lb/> braven, tapfern aber nicht chevaleresken Roger (dem spätern Ralph Brown)<lb/> geliebt, wird von einem Chef der Chouans, einem Lovelace. verführt; in<lb/> dämonischer Wildheit betheiligt sie sich an den Septembermorden, taucht ihr<lb/> Schnupftuch in das Blut eines Hingerichteten! erlebt die entsetzlichsten Greuel<lb/> eiskalt; nimmt als Mann Dienste im Militär, wird Capitün! und entdeckt<lb/> ihr Geschlecht erst, als sie in Gefahr ist, ihren eignen Bruder dem Schaffst<lb/> zu überliefern. Der treue Roger. an dein sie recht als Kokette gehandelt,<lb/> pflegt sie bis an ihren Tod. zu ihren Füßen: „Du reines Kindesherz." sagt<lb/> sie einmal sanft zu ihm. „neben mir. der von Geistern Umringten!" Kindes-<lb/> mörderinnen. ein Vater, der sein Kind erschießt, Wahnsinnige u. s. w. er-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0268]
Sinn und Elend unter. Die Paradoxie ist wenigstens mit Geist vorgetragen,
— Die andern Novellen verrathen durchweg die weibliche Hand; man höre
was Clemence, die Heldin der einen („Geschichte einer Reise auf die Freite")
den Mannern sagt: „Ihr würdigt die Liebe zum täglichen Brot herab! Ihr
werft uns Wankelmuth vor, und er hat seinen Grund nur in eurer Unfähig¬
keit, fortdauernd zu lieben. Wir behandeln die Liebe lebenslang Mit Phan¬
tasie, mit Schwung, unausbleiblich dann mit etwas Caprice und Anspruch.
Ihr treibt sie neben jedem andern von den Geschäften, die euch eben vor¬
kommen; ihr fühlt nicht, daß sie wie ein schönes Gewand ist, das man nicht
bei gemeinen Beschäftigungen anlegt. Ihr wollt ihr nicht wie einer Fürstin
begegnen, vor der man stets zierlich und mit Anstand erscheint. Das Weib,
in deren Seele der Trieb zu gefallen eingewurzelt ist, die im Zwang aufwächst
und sich bildet, vergißt dieses nicht so leicht; tief empfindet sie eure Anfeinden.
Entschädigt indeß der Mann durch Güte u. f. w., so begnügt sie sich, die
schöne Erscheinung einst gekannt zu haben und trauen blos über ihre unver¬
meidliche Vergänglichkeit. Thut er aber das nicht, dann geräth sie in Gesahr,
durch das Bedürfniß ihres warmen, zurückgesetzten Herzens irre geleitet zu
werden; und der erste, der sich mit der Künstlersprache, die sie in der Schule
alle zu reden wissen, bei ihr einstellt, kann sie untreu machen, wie mans
nennt; unglücklich gewiß, denn nachdem sie erst nach einer neuen Probe ein¬
sehn lernt, daß dies alles nur eisernes allgemeines Gesetz des Schicksals ist,
verliert sie obendrein ihr Selbstgefühl." Auf die Frage: „Und Sie kennen
keine Ausnahme?" antwortet sie schneidend: keine! — Dies ist denn das
Thema der meisten Novellen; der Mann (stets edel, brav, der aber seiner
Frau nicht hinlänglich die Cour macht) fühlt sich dann immer als Elender
und Schuldbewußter, wenn sie ihm „wie mans nennt", untreu wird (so
in „Sophie", das ganz aus Reminiscenzen aus Theresens eigner Geschichte
gewebt ist). — Ein zweites Thema sind die „Contraste der Revolution." Ein
längerer Roman, die Familie Seldorf, erschien schon 1795—6. Die
Heldin desselben, Sarah, die Tochter eines edlen Menschenfeindes, von einem
braven, tapfern aber nicht chevaleresken Roger (dem spätern Ralph Brown)
geliebt, wird von einem Chef der Chouans, einem Lovelace. verführt; in
dämonischer Wildheit betheiligt sie sich an den Septembermorden, taucht ihr
Schnupftuch in das Blut eines Hingerichteten! erlebt die entsetzlichsten Greuel
eiskalt; nimmt als Mann Dienste im Militär, wird Capitün! und entdeckt
ihr Geschlecht erst, als sie in Gefahr ist, ihren eignen Bruder dem Schaffst
zu überliefern. Der treue Roger. an dein sie recht als Kokette gehandelt,
pflegt sie bis an ihren Tod. zu ihren Füßen: „Du reines Kindesherz." sagt
sie einmal sanft zu ihm. „neben mir. der von Geistern Umringten!" Kindes-
mörderinnen. ein Vater, der sein Kind erschießt, Wahnsinnige u. s. w. er-
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