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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ihn völlig ignoriren; wäre Rache hier nöthig, so würde ich sagen, daß The-
rese sie reichlich an ihm ausüben wird."

Der Verlust dieser Freundschaft mußte Huber tief zu Herzen gehn; The-
rese sah ihn noch zehn Jahre später desselben "mit sanftem Herzen" gedenken:
ich mußte so handeln, sagte er, ich habe dafür gelitten, habe dadurch ver¬
loren, das mußte sein, denn ich hatte ein Unrecht bei der Sache. Ueberhaupt,
setzt sie hinzu, dehnte er mehr und mehr den Zusammenhang von Ursache
und Wirkung in der moralischen Welt aus. und seine Erkenntniß führte ihn
dahin, wo der blinde Glaube oft durch die Schläge des Schicksals schaudernd
auffährt: zur stillen Ergebung in das Unvermeidliche, zur stillen Freude im
Glück. Neue kannte er nie, er sah von jeder Handlung die Folge, als Lohn
oder Strafe, mit Ruhe über sich ergehn. -- Schillers Prophezeihung erfüllte
sich nicht. -- Die beiden lebten in Neufchatel ziemlich weit voneinander ge¬
trennt, nur den Abend brachten sie zusammen zu. Es mußte hart gearbeitet
werden, um den nöthigen Lebensunterhalt zu erwerben, und wenn Therese
zuweilen in einen sehr bittern Humor verfiel, fand sich Huber "in seine Lage
mit der Heiterkeit eines Kindes, das heute voll Begier eine Zuckerdüte leert,
und morgen, als erschöpfte es allen Genuß dabei, ein Stück trocken Brot
jpeist." "Vielleicht hatte sie mehr Entschlossenheit, aber an seiner kindlichen
Freudigkeit, an dem. was ihm in ihren Augen immer das Gepräge eines
Lieblings der Götter gab. fehlte es ihr ganz."

Zunächst setzte er ein bereits in Leipzig begonnenes Journal Friedens¬
präliminarien (in 40 Stücken, bis 1796) sort; der vielfache Verkehr mit
Emigranten und Flüchtlingen aller Parteien gab ihm Stoff genug; doch hatte
das Journal trotz aller geistreichen Bemerkungen kein großes Publicum. Der
Freimüthige sagte später darüber: "Der behutsam wägende, so vieles hinter
der Coulisse ganz anders erspähende Welt- und Zeitbeobachter konnte sich über
alle Gegenstände nicht so laut und bestimmt erklären, als es der treuherzige
Referent thun mag. der seinen Augen und Ohren alles gutmüthig nacherzählt.
Daher kam in Hubers Stil hier und da eine gewisse Unbestimmtheit und
Dunkelheit, die oft seine besten Freunde in Verlegenheit setzte."' 1793 voll¬
endete er seine Juliane und begann mit der Reise nach Neuholland
seine novellistischen Versuche. Der Held dieser Erzählung (später im "ein¬
samen Todbett" fortgesetzt) ist Forster selbst.

Forster war mit der Familie in beständigem Briefwechsel geblieben; er
hatte sie nach Kräften -- freilich spärlich genug! -- unterstützt. Im Anfang
des November 1793 wagte er im Jur^. eine Meile von der Grenze, eine
Zusammenkunft mit den Seinigen. "Von Schnee und Felsen umgeben, in
unen elenden Bauernwirthshause verlebten sie dort fünf unvergeßliche Tage.
Sie hatten sich gegenseitig eine Welt von Vorgängen zu erzählen, Forster


ihn völlig ignoriren; wäre Rache hier nöthig, so würde ich sagen, daß The-
rese sie reichlich an ihm ausüben wird."

Der Verlust dieser Freundschaft mußte Huber tief zu Herzen gehn; The-
rese sah ihn noch zehn Jahre später desselben „mit sanftem Herzen" gedenken:
ich mußte so handeln, sagte er, ich habe dafür gelitten, habe dadurch ver¬
loren, das mußte sein, denn ich hatte ein Unrecht bei der Sache. Ueberhaupt,
setzt sie hinzu, dehnte er mehr und mehr den Zusammenhang von Ursache
und Wirkung in der moralischen Welt aus. und seine Erkenntniß führte ihn
dahin, wo der blinde Glaube oft durch die Schläge des Schicksals schaudernd
auffährt: zur stillen Ergebung in das Unvermeidliche, zur stillen Freude im
Glück. Neue kannte er nie, er sah von jeder Handlung die Folge, als Lohn
oder Strafe, mit Ruhe über sich ergehn. — Schillers Prophezeihung erfüllte
sich nicht. — Die beiden lebten in Neufchatel ziemlich weit voneinander ge¬
trennt, nur den Abend brachten sie zusammen zu. Es mußte hart gearbeitet
werden, um den nöthigen Lebensunterhalt zu erwerben, und wenn Therese
zuweilen in einen sehr bittern Humor verfiel, fand sich Huber „in seine Lage
mit der Heiterkeit eines Kindes, das heute voll Begier eine Zuckerdüte leert,
und morgen, als erschöpfte es allen Genuß dabei, ein Stück trocken Brot
jpeist." „Vielleicht hatte sie mehr Entschlossenheit, aber an seiner kindlichen
Freudigkeit, an dem. was ihm in ihren Augen immer das Gepräge eines
Lieblings der Götter gab. fehlte es ihr ganz."

Zunächst setzte er ein bereits in Leipzig begonnenes Journal Friedens¬
präliminarien (in 40 Stücken, bis 1796) sort; der vielfache Verkehr mit
Emigranten und Flüchtlingen aller Parteien gab ihm Stoff genug; doch hatte
das Journal trotz aller geistreichen Bemerkungen kein großes Publicum. Der
Freimüthige sagte später darüber: „Der behutsam wägende, so vieles hinter
der Coulisse ganz anders erspähende Welt- und Zeitbeobachter konnte sich über
alle Gegenstände nicht so laut und bestimmt erklären, als es der treuherzige
Referent thun mag. der seinen Augen und Ohren alles gutmüthig nacherzählt.
Daher kam in Hubers Stil hier und da eine gewisse Unbestimmtheit und
Dunkelheit, die oft seine besten Freunde in Verlegenheit setzte."' 1793 voll¬
endete er seine Juliane und begann mit der Reise nach Neuholland
seine novellistischen Versuche. Der Held dieser Erzählung (später im „ein¬
samen Todbett" fortgesetzt) ist Forster selbst.

Forster war mit der Familie in beständigem Briefwechsel geblieben; er
hatte sie nach Kräften — freilich spärlich genug! — unterstützt. Im Anfang
des November 1793 wagte er im Jur^. eine Meile von der Grenze, eine
Zusammenkunft mit den Seinigen. „Von Schnee und Felsen umgeben, in
unen elenden Bauernwirthshause verlebten sie dort fünf unvergeßliche Tage.
Sie hatten sich gegenseitig eine Welt von Vorgängen zu erzählen, Forster


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[0265] ihn völlig ignoriren; wäre Rache hier nöthig, so würde ich sagen, daß The- rese sie reichlich an ihm ausüben wird." Der Verlust dieser Freundschaft mußte Huber tief zu Herzen gehn; The- rese sah ihn noch zehn Jahre später desselben „mit sanftem Herzen" gedenken: ich mußte so handeln, sagte er, ich habe dafür gelitten, habe dadurch ver¬ loren, das mußte sein, denn ich hatte ein Unrecht bei der Sache. Ueberhaupt, setzt sie hinzu, dehnte er mehr und mehr den Zusammenhang von Ursache und Wirkung in der moralischen Welt aus. und seine Erkenntniß führte ihn dahin, wo der blinde Glaube oft durch die Schläge des Schicksals schaudernd auffährt: zur stillen Ergebung in das Unvermeidliche, zur stillen Freude im Glück. Neue kannte er nie, er sah von jeder Handlung die Folge, als Lohn oder Strafe, mit Ruhe über sich ergehn. — Schillers Prophezeihung erfüllte sich nicht. — Die beiden lebten in Neufchatel ziemlich weit voneinander ge¬ trennt, nur den Abend brachten sie zusammen zu. Es mußte hart gearbeitet werden, um den nöthigen Lebensunterhalt zu erwerben, und wenn Therese zuweilen in einen sehr bittern Humor verfiel, fand sich Huber „in seine Lage mit der Heiterkeit eines Kindes, das heute voll Begier eine Zuckerdüte leert, und morgen, als erschöpfte es allen Genuß dabei, ein Stück trocken Brot jpeist." „Vielleicht hatte sie mehr Entschlossenheit, aber an seiner kindlichen Freudigkeit, an dem. was ihm in ihren Augen immer das Gepräge eines Lieblings der Götter gab. fehlte es ihr ganz." Zunächst setzte er ein bereits in Leipzig begonnenes Journal Friedens¬ präliminarien (in 40 Stücken, bis 1796) sort; der vielfache Verkehr mit Emigranten und Flüchtlingen aller Parteien gab ihm Stoff genug; doch hatte das Journal trotz aller geistreichen Bemerkungen kein großes Publicum. Der Freimüthige sagte später darüber: „Der behutsam wägende, so vieles hinter der Coulisse ganz anders erspähende Welt- und Zeitbeobachter konnte sich über alle Gegenstände nicht so laut und bestimmt erklären, als es der treuherzige Referent thun mag. der seinen Augen und Ohren alles gutmüthig nacherzählt. Daher kam in Hubers Stil hier und da eine gewisse Unbestimmtheit und Dunkelheit, die oft seine besten Freunde in Verlegenheit setzte."' 1793 voll¬ endete er seine Juliane und begann mit der Reise nach Neuholland seine novellistischen Versuche. Der Held dieser Erzählung (später im „ein¬ samen Todbett" fortgesetzt) ist Forster selbst. Forster war mit der Familie in beständigem Briefwechsel geblieben; er hatte sie nach Kräften — freilich spärlich genug! — unterstützt. Im Anfang des November 1793 wagte er im Jur^. eine Meile von der Grenze, eine Zusammenkunft mit den Seinigen. „Von Schnee und Felsen umgeben, in unen elenden Bauernwirthshause verlebten sie dort fünf unvergeßliche Tage. Sie hatten sich gegenseitig eine Welt von Vorgängen zu erzählen, Forster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/265>, abgerufen am 22.12.2024.