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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Rolle an diesem Abend spielt auch Bettine. die zuletzt auftritt, als die Glocke
schon zwölf geschlagen hat. Sie bindet mit jedem an: "vergebens wollte
man ihr antworten; die beredtesten Männer verstummten vor diesem glänzen¬
den Vildcrstrom, auf welchem Witz und Gedanke muthig dahinschifften; kaum
daß Frau von Varnhagen mittelst der ihr eignen Naschheit und Kürze noch
wol einen Spruch einschob, aller sonstigen Redefäden hatte sich die wunder¬
bare Zauberfrau bemächtigt, und hielt sie gleich Zügeln in den Händen, bald
rechts- bald linkshin lenkend, bald geradaus ihre beschwingten Gedankenbilder
zu vollem Lauf auslassend. In der That, niemand sprach noch jetzt als sie;
aber so schon, so reich, so bezaubernd, daß wir alle hingerissen waren: Phan¬
tasien. Ideen, Einfülle, Witzworte, Launen, alles beflügelt in raschem Wechsel
vorübereilend" u, s. w. -- Auch Alexander v. Humboldt, Gans, L. Robert
und seine schone Frau, so wie verschiedene hochgestellte Civil- und Militär-
Personen sind artig gezeichnet. -- Ein anderer Abend bei Mlle. Levin (Levy),
Ende des Jahres 1801, führt uns dreißig Jahre zurück, in die Periode des
Prinzen Louis Ferdinand, der Schlegel. Gentz, Unzelmann, Major Gualtieri
u. s. w. Die Composition ist von derselben Art, der Verfasser wahrscheinlich
wiederum Varnhagen. Daran schließen sich zwei Charakteristiken Rahels von
Brinckmann und von Custine; eine Aufsatz über ihre Religiosität und eine
Zusammenstellung ihrer Theaterurtheile, zum Theil aus Briefen an ihren
Bruder Robert.

Nun noch ein Wunsch an die geehrte Buchhandluug, den vermuthlich das
gesammte Publicum mit uns theilen wird. Wir setzen voraus, daß dieser
Band schnell vergriffen sein wird, wie er es reichlich verdient, und würden
dann folgende Anordnung des Materials für zweckmäßig halten.

Die drei Bücher: I) Varnhagens Denkwürdigkeiten und vermischte Schrif¬
ten, 2) Nadel ein Buch des Andenkens, 3) Galerie aus Rahels Umgang,
bilden zusammen ein Ganzes, welches ein höchst geistvolles und farbenreiches
Bild der berliner Geselligkeit von 1800--1834 gibt, so weit sie mit der Lite¬
ratur zusammenhängt. Sie würden aber unendlich gewinnen, wenn sie nach
folgendem System geordnet wären.

1) Die Denkwürdigkeiten für sich, chronologisch geordnet. Die drei ersten
Bände sind bereits in der neuen Ausgabe nach diesem System zusammen¬
gestellt; dazu kämen nun die Abschnitte aus Band 7 und 8, und womöglich
von jemand, der Varnhagen nahe stand (und der. im Einverständniß mit
seinen Erben, die ganze Ausgabe leiten müßte), eine Charakteristik seines
spätern Lebens, namentlich in Bezug auf seine Berufsarbeiten, von denen das
Publicum noch sehr wenig weiß. Es wäre jetzt grade Zeit, an dieses Ma¬
terial zu denken.

2) Die biographischen Schilderungen aus.eben jenem Kreise, wie sie in


Grenzvoten II. 13S9. 25

Rolle an diesem Abend spielt auch Bettine. die zuletzt auftritt, als die Glocke
schon zwölf geschlagen hat. Sie bindet mit jedem an: „vergebens wollte
man ihr antworten; die beredtesten Männer verstummten vor diesem glänzen¬
den Vildcrstrom, auf welchem Witz und Gedanke muthig dahinschifften; kaum
daß Frau von Varnhagen mittelst der ihr eignen Naschheit und Kürze noch
wol einen Spruch einschob, aller sonstigen Redefäden hatte sich die wunder¬
bare Zauberfrau bemächtigt, und hielt sie gleich Zügeln in den Händen, bald
rechts- bald linkshin lenkend, bald geradaus ihre beschwingten Gedankenbilder
zu vollem Lauf auslassend. In der That, niemand sprach noch jetzt als sie;
aber so schon, so reich, so bezaubernd, daß wir alle hingerissen waren: Phan¬
tasien. Ideen, Einfülle, Witzworte, Launen, alles beflügelt in raschem Wechsel
vorübereilend" u, s. w. — Auch Alexander v. Humboldt, Gans, L. Robert
und seine schone Frau, so wie verschiedene hochgestellte Civil- und Militär-
Personen sind artig gezeichnet. — Ein anderer Abend bei Mlle. Levin (Levy),
Ende des Jahres 1801, führt uns dreißig Jahre zurück, in die Periode des
Prinzen Louis Ferdinand, der Schlegel. Gentz, Unzelmann, Major Gualtieri
u. s. w. Die Composition ist von derselben Art, der Verfasser wahrscheinlich
wiederum Varnhagen. Daran schließen sich zwei Charakteristiken Rahels von
Brinckmann und von Custine; eine Aufsatz über ihre Religiosität und eine
Zusammenstellung ihrer Theaterurtheile, zum Theil aus Briefen an ihren
Bruder Robert.

Nun noch ein Wunsch an die geehrte Buchhandluug, den vermuthlich das
gesammte Publicum mit uns theilen wird. Wir setzen voraus, daß dieser
Band schnell vergriffen sein wird, wie er es reichlich verdient, und würden
dann folgende Anordnung des Materials für zweckmäßig halten.

Die drei Bücher: I) Varnhagens Denkwürdigkeiten und vermischte Schrif¬
ten, 2) Nadel ein Buch des Andenkens, 3) Galerie aus Rahels Umgang,
bilden zusammen ein Ganzes, welches ein höchst geistvolles und farbenreiches
Bild der berliner Geselligkeit von 1800—1834 gibt, so weit sie mit der Lite¬
ratur zusammenhängt. Sie würden aber unendlich gewinnen, wenn sie nach
folgendem System geordnet wären.

1) Die Denkwürdigkeiten für sich, chronologisch geordnet. Die drei ersten
Bände sind bereits in der neuen Ausgabe nach diesem System zusammen¬
gestellt; dazu kämen nun die Abschnitte aus Band 7 und 8, und womöglich
von jemand, der Varnhagen nahe stand (und der. im Einverständniß mit
seinen Erben, die ganze Ausgabe leiten müßte), eine Charakteristik seines
spätern Lebens, namentlich in Bezug auf seine Berufsarbeiten, von denen das
Publicum noch sehr wenig weiß. Es wäre jetzt grade Zeit, an dieses Ma¬
terial zu denken.

2) Die biographischen Schilderungen aus.eben jenem Kreise, wie sie in


Grenzvoten II. 13S9. 25
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/203>, abgerufen am 22.12.2024.