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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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einigen, der Papst war durch Zähigkeit diplomatischer Sieger geblieben, noch
mehr aber Oestreich, das den Conflict mit Frankreich vermieden, die Revo¬
lution niedergeworfen, die Reformen verhindert und fast sieben Jahre in den
Legationen blieb. Die Regierung Gregors ward eine der traurigsten Epochen
für den Kirchenstaat.

Wir sind in dieser Darstellung etwas ausführlicher gewesen, weil dieser
erste Versuch, mit der päpstlichen Regierung zu verhandeln, sich in seinen
Phasen wiederholen muß, sobald man der Curie Reformen aufnöthigen will,
grade so wie sich das klägliche Scheitern der aus eignem Antrieb unternom¬
menen Reformen wiederholen wird, welches das Loos von Pius dem Neunten
war. Wir müssen daher auch auf diesen fruchtlosen Versuch etwas näher
eingehen.

Je stärker der materielle Druck war, durch den man jede politische Be¬
wegung in Italien und jede reformatorische Bestrebung in der katholischen
Kirche zu vereiteln suchte, desto gewaltiger ward der Gegendruck, nachdem die
Zeit der großen Continentalkriege vorüber war. Je mehr die orthodoxe Par¬
tei sich dem Ultramontanismus in die Arme warf, desto mehr neigten die,
welche eine ernstliche Aenderung für nothwendig hielten, von reformatorischen
zu revolutionären Ideen. Die erste bedeutsame Erscheinung in dieser Bezie¬
hung war Lamennais. In seiner Zeitschrift l'Avenir stellte er den Satz auf,
das beste Mittel den Katholicismus zu beleben sei, ihn vom Staate gänzlich
zu trennen; die Kirche sollte auf alle Unterstützung des Budgets verzichten und
von den freiwilligen Gaben der Gläubigen leben. So werde sie wahrhaft
unabhängig werden. Die Geistlichkeit werde nur ein Haupt im Papste haben
und solle übrigens in Concilien selbst ihre Bischöfe wählen. Freiheit der
Presse, des Unterrichtswesens und Vereinsrechtcs sollten dies System vervoll¬
ständigen. Man sieht, es war eine vollständige Umwälzung., die Lamennais
vorschlug; war sie nun schon an sich unpraktisch und unmöglich, so war es
vollständig erstaunlich, daß er nach Rom ging und der Curie, welche
jede Hinneigung zu diesen Grundsätzen seit Jahrhunderten bekämpft hatte/
vorschlug, seine Ideen anzunehmen. Eine Encyclika Gregors, von einem ver¬
traulichen Briefe des Cardinal Pacca begleitet, verwarf diese Lehren auf das
nachdrücklichste, da sie den Geist des Aufruhrs und der Auflehnung gegen die
Souveräne heraufbeschwören müßten. Der weitere Streit und Abfall La¬
mennais in seinen Affaires de Rome liegt uns hier fern, wir erwähnten
seine Ideen nur, weil sie bald Anhänger in Italien gewannen, bei denen
der Zusammenhang der katholischen und weltlich-päpstlichen Interessen noch
schärfer hervortreten mußte. Piemont ward seit den vierziger Jahren der
Boden, von dem die Reformideen zuerst in der Theorie, dann in der Praxis
ausgingen. Drei hochbegabte Männer sind hier vor andern zu erwähnen,


einigen, der Papst war durch Zähigkeit diplomatischer Sieger geblieben, noch
mehr aber Oestreich, das den Conflict mit Frankreich vermieden, die Revo¬
lution niedergeworfen, die Reformen verhindert und fast sieben Jahre in den
Legationen blieb. Die Regierung Gregors ward eine der traurigsten Epochen
für den Kirchenstaat.

Wir sind in dieser Darstellung etwas ausführlicher gewesen, weil dieser
erste Versuch, mit der päpstlichen Regierung zu verhandeln, sich in seinen
Phasen wiederholen muß, sobald man der Curie Reformen aufnöthigen will,
grade so wie sich das klägliche Scheitern der aus eignem Antrieb unternom¬
menen Reformen wiederholen wird, welches das Loos von Pius dem Neunten
war. Wir müssen daher auch auf diesen fruchtlosen Versuch etwas näher
eingehen.

Je stärker der materielle Druck war, durch den man jede politische Be¬
wegung in Italien und jede reformatorische Bestrebung in der katholischen
Kirche zu vereiteln suchte, desto gewaltiger ward der Gegendruck, nachdem die
Zeit der großen Continentalkriege vorüber war. Je mehr die orthodoxe Par¬
tei sich dem Ultramontanismus in die Arme warf, desto mehr neigten die,
welche eine ernstliche Aenderung für nothwendig hielten, von reformatorischen
zu revolutionären Ideen. Die erste bedeutsame Erscheinung in dieser Bezie¬
hung war Lamennais. In seiner Zeitschrift l'Avenir stellte er den Satz auf,
das beste Mittel den Katholicismus zu beleben sei, ihn vom Staate gänzlich
zu trennen; die Kirche sollte auf alle Unterstützung des Budgets verzichten und
von den freiwilligen Gaben der Gläubigen leben. So werde sie wahrhaft
unabhängig werden. Die Geistlichkeit werde nur ein Haupt im Papste haben
und solle übrigens in Concilien selbst ihre Bischöfe wählen. Freiheit der
Presse, des Unterrichtswesens und Vereinsrechtcs sollten dies System vervoll¬
ständigen. Man sieht, es war eine vollständige Umwälzung., die Lamennais
vorschlug; war sie nun schon an sich unpraktisch und unmöglich, so war es
vollständig erstaunlich, daß er nach Rom ging und der Curie, welche
jede Hinneigung zu diesen Grundsätzen seit Jahrhunderten bekämpft hatte/
vorschlug, seine Ideen anzunehmen. Eine Encyclika Gregors, von einem ver¬
traulichen Briefe des Cardinal Pacca begleitet, verwarf diese Lehren auf das
nachdrücklichste, da sie den Geist des Aufruhrs und der Auflehnung gegen die
Souveräne heraufbeschwören müßten. Der weitere Streit und Abfall La¬
mennais in seinen Affaires de Rome liegt uns hier fern, wir erwähnten
seine Ideen nur, weil sie bald Anhänger in Italien gewannen, bei denen
der Zusammenhang der katholischen und weltlich-päpstlichen Interessen noch
schärfer hervortreten mußte. Piemont ward seit den vierziger Jahren der
Boden, von dem die Reformideen zuerst in der Theorie, dann in der Praxis
ausgingen. Drei hochbegabte Männer sind hier vor andern zu erwähnen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/190>, abgerufen am 22.12.2024.