Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.spricht und fordert das"Mithandeln der andern aus denjenigen Verhältnissen So war es auch im Anfang der heutigen Verwicklungen. Preußen sprach Grenzboten II. Is59. 19
spricht und fordert das»Mithandeln der andern aus denjenigen Verhältnissen So war es auch im Anfang der heutigen Verwicklungen. Preußen sprach Grenzboten II. Is59. 19
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107202"/> <p xml:id="ID_443" prev="#ID_442"> spricht und fordert das»Mithandeln der andern aus denjenigen Verhältnissen<lb/> heraus, welche sich seit der letzten gegenseitigen Begegnung bei ihr wieder<lb/> eingelebt haben. Der Eine hört den Andern nicht an, bis er seine Ansichten.<lb/> Ueberzeugungen, Vorschläge ganz ausgesprochen, sondern fällt ihm vorzeitig<lb/> ins Wort, als liefe er selbst Gefahr, das Wort zu verlieren. Dies gibt der<lb/> Meinungsverschiedenheit den gereizten Charakter.</p><lb/> <p xml:id="ID_444"> So war es auch im Anfang der heutigen Verwicklungen. Preußen sprach<lb/> aus hoffnungsvollen Aufschwung seiner innern Zustände heraus, der deutsche<lb/> Südwesten nicht. Preußen stand in lebhafter Bewegung des politischen und<lb/> socialen Lebens, der deutsche Südwesten sah in einem Krieg, in welchen<lb/> Deutschland erst nach einer gegebenen Zeit und unter gewissen Umständen ein¬<lb/> treten solle,'nur eine Periode, während welcher auch die einzige rechte Frische<lb/> seiner Lebensbewegungen, nämlich auf dem materiellen Gebiet, verdorrt sein<lb/> würde. Preußen endlich faßte seine Ueberzeugungen aus der Grundlage eines<lb/> Großstaates und ohne tägliche, stündliche Berührung mit dem westlichen Nach¬<lb/> bar, der Südwesten in der vom täglichen Verkehr bedingten Gereiztheit, mit<lb/> dem Bewußtsein eines aus kleinen, unschlüssiger, überrücksichtsvollen Staats¬<lb/> körpern ruhenden Daseins. Sollte diese Verschiedenheit der Standpunkte ohne<lb/> Einfluß auf die Gemüthsruhe bleiben, welche man einer unergründlichen<lb/> Kriegspolitik gegenüberstellt? So hatte man wol recht, wenn man dem Süd¬<lb/> westen vorwarf, er übertreibe die Besorgniß vor Deutschlands unmittelbarer<lb/> Gefährdung durch Frankreichs Politik und schieße mit seinem Verlangen nach<lb/> einer gewissermaßen initiativen Abwehrdrohung über das Ziel des Zweckmä¬<lb/> ßiger hinaus. Allein ebenso unrecht, als verletzend war sofort im ersten Mo¬<lb/> ment die Art dieser Belehrung, welche das Besserwissen der „thatsächlichen<lb/> Verhältnisse" wie eine norddeutsche Domäne ansah und den süddeutschen<lb/> Patriotismus von vornherein behandelte, als sei er die gefälschte Oriflamme<lb/> einer für absolut östreichische Interessen agitirenden Partei. Wer unter und<lb/> mit den Süddeutschen lebte und seine Beobachtungen nicht blos aus der höchst<lb/> unvollkommnen Vertretung des öffentlichen Geistes durch die nur in sehr ein¬<lb/> zelnen Organen seibststündige Presse schöpfte, der kann und konnte nicht an¬<lb/> ders sagen, als daß der süddeutsche Patriotismus echt, tüchtig, ohne Makel,<lb/> besonders anch ohne mißgünstige Nebengedanken gegen Preußen und die<lb/> norddeutschen Interessen sich kundgibt. Wenn er nach den officiellen Aeuße-<lb/> rungen in mehren Kammern ein wesentliches Gewicht auf das Zusammen¬<lb/> gehen mit Oestreich legt, so verkennt jene gewisse norddeutsche Gereiztheit seine<lb/> Lauterkeit, welche darin bereits eine Gegnerschaft gegen Preußen erblickt. Es<lb/> ist derselbe Fehler, welchen ehedem die Manteuffelsche Politik activ verfolgte,<lb/> indem sie jede moralische oder materielle Beeinträchtigung Oestreichs einem<lb/> Machtgewinn Preußens gleich erachtete.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. Is59. 19</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
spricht und fordert das»Mithandeln der andern aus denjenigen Verhältnissen
heraus, welche sich seit der letzten gegenseitigen Begegnung bei ihr wieder
eingelebt haben. Der Eine hört den Andern nicht an, bis er seine Ansichten.
Ueberzeugungen, Vorschläge ganz ausgesprochen, sondern fällt ihm vorzeitig
ins Wort, als liefe er selbst Gefahr, das Wort zu verlieren. Dies gibt der
Meinungsverschiedenheit den gereizten Charakter.
So war es auch im Anfang der heutigen Verwicklungen. Preußen sprach
aus hoffnungsvollen Aufschwung seiner innern Zustände heraus, der deutsche
Südwesten nicht. Preußen stand in lebhafter Bewegung des politischen und
socialen Lebens, der deutsche Südwesten sah in einem Krieg, in welchen
Deutschland erst nach einer gegebenen Zeit und unter gewissen Umständen ein¬
treten solle,'nur eine Periode, während welcher auch die einzige rechte Frische
seiner Lebensbewegungen, nämlich auf dem materiellen Gebiet, verdorrt sein
würde. Preußen endlich faßte seine Ueberzeugungen aus der Grundlage eines
Großstaates und ohne tägliche, stündliche Berührung mit dem westlichen Nach¬
bar, der Südwesten in der vom täglichen Verkehr bedingten Gereiztheit, mit
dem Bewußtsein eines aus kleinen, unschlüssiger, überrücksichtsvollen Staats¬
körpern ruhenden Daseins. Sollte diese Verschiedenheit der Standpunkte ohne
Einfluß auf die Gemüthsruhe bleiben, welche man einer unergründlichen
Kriegspolitik gegenüberstellt? So hatte man wol recht, wenn man dem Süd¬
westen vorwarf, er übertreibe die Besorgniß vor Deutschlands unmittelbarer
Gefährdung durch Frankreichs Politik und schieße mit seinem Verlangen nach
einer gewissermaßen initiativen Abwehrdrohung über das Ziel des Zweckmä¬
ßiger hinaus. Allein ebenso unrecht, als verletzend war sofort im ersten Mo¬
ment die Art dieser Belehrung, welche das Besserwissen der „thatsächlichen
Verhältnisse" wie eine norddeutsche Domäne ansah und den süddeutschen
Patriotismus von vornherein behandelte, als sei er die gefälschte Oriflamme
einer für absolut östreichische Interessen agitirenden Partei. Wer unter und
mit den Süddeutschen lebte und seine Beobachtungen nicht blos aus der höchst
unvollkommnen Vertretung des öffentlichen Geistes durch die nur in sehr ein¬
zelnen Organen seibststündige Presse schöpfte, der kann und konnte nicht an¬
ders sagen, als daß der süddeutsche Patriotismus echt, tüchtig, ohne Makel,
besonders anch ohne mißgünstige Nebengedanken gegen Preußen und die
norddeutschen Interessen sich kundgibt. Wenn er nach den officiellen Aeuße-
rungen in mehren Kammern ein wesentliches Gewicht auf das Zusammen¬
gehen mit Oestreich legt, so verkennt jene gewisse norddeutsche Gereiztheit seine
Lauterkeit, welche darin bereits eine Gegnerschaft gegen Preußen erblickt. Es
ist derselbe Fehler, welchen ehedem die Manteuffelsche Politik activ verfolgte,
indem sie jede moralische oder materielle Beeinträchtigung Oestreichs einem
Machtgewinn Preußens gleich erachtete.
Grenzboten II. Is59. 19
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