Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als solche, sondern als specifisch preußische, sächsische.-hannoversche ze. Haupt¬
punkte im Auge hüte. Das Publicum beider Hälften des Vaterlandes gegen¬
seitig auf dem Laufenden ihres ganzen Lebens zu erhalten, versäumt man hier
wie dort; ja der gesammte Südwesten und Süden Deutschlands besitzt nicht
einmal ein Organ, welches sich der Aufgabe vorwiegend widmet, die politi¬
schen und socialen Lebensvorgänge in Deutschland parteilos aus kulturhisto¬
rischen Standpunkte mit seinen Beobachtungen. Betrachtungen und Erläute¬
rungen zu begleiten. Dieser Mangel einer ständigen gegenseitigen Verständigung
durch die Presse wird sich vielleicht heben, weil das Bedürfniß danach allmä-
lig auch in solchen Kreisen erwacht, welche der Politik fernstehn; praktische
Anfänge dazu macht man ja auch schon längere Zeit auf volkswirtschaft¬
lichen Gebiet.

Dagegen kann sich gewiß kein nüchterner Politiker der schmerzlichen Ueber¬
zeugung verschließen, daß von einer lebendigen Nationalvertretung ganz Deutsch¬
lands, selbst blos Bundesdeutschlands, unsere Gegenwart ferner steht, als das
ganze Menschenalter seit Erschaffung des Bundestags. Die Nothwendigkeit
einer Bundesreform stellt freilich, keine officielle Politik der Bundesstaaten mehr
in principielle Abrede; aber mit jedem Jahr mehr erstarkt die wunderbare
Uebereinstimmung ihrer Leiter in der Versicherung, "der geeignete Moment"
sei dafür noch nicht vorhanden. Ueberdies haben noch vor zwei Jahren
Preußen und Oestreich feierlich erklärt, daß sie niemals auf eine "Bundesreform
mit parlamentarischer Grundlage" eingehen würden. Trotz der Veränderungen,
welche unterdessen in Preußen vorgegangen sind, ist auch heute keineswegs
anzunehmen, daß man dort einer solchen Umgestaltung des deutschen Central-
organs viel günstiger als damals gesinnt ist. An Oestreich ist natürlich gar
nicht zu denken, so lange es in seinem Innern keine ständischen Institutionen
besitzt. Wahrhaft komisch nimmt sich also die praktische Fähigkeit derjenigen
gutmeinenden Politiker aus, welche allen Ernstes den Vorschlag machen, jetzt
grübe den "kühnen Griff" einer solchen Reform zu thun, da so ziemlich über¬
all die Kanonen vorgefahren sind, um die erste Salve eines Krieges erdröh¬
nen zu lassen, von dem wir kaum recht wissen, wo und warum er beginnt,
noch weniger wann und wie er endet, sondern nur. daß er aller Wahrschein¬
lichkeit nach ein Weltkrieg wird.

So lange nun diese Mängel einer stetigen und consequenten gegenseitigen
Vertretung zwischen den geographisch geschiedenen Gauen unseres Gesammt-
Vaterlandes fortbestehen, werden wir bei außerordentlichen Zeitumständen stets
von neuem auf die Gegensätze der Meinungen über die nächste nationale
Nothwendigkeit stoßen. Der Beginn der nothwendigen Gemeinsamkeit wird
stets ein Hader scheinen, aber immerhin met)r scheinen, als sein. Denn jede
Hälfte des Vaterlandes (von eigentlichen Parteien kann man nicht reden)


als solche, sondern als specifisch preußische, sächsische.-hannoversche ze. Haupt¬
punkte im Auge hüte. Das Publicum beider Hälften des Vaterlandes gegen¬
seitig auf dem Laufenden ihres ganzen Lebens zu erhalten, versäumt man hier
wie dort; ja der gesammte Südwesten und Süden Deutschlands besitzt nicht
einmal ein Organ, welches sich der Aufgabe vorwiegend widmet, die politi¬
schen und socialen Lebensvorgänge in Deutschland parteilos aus kulturhisto¬
rischen Standpunkte mit seinen Beobachtungen. Betrachtungen und Erläute¬
rungen zu begleiten. Dieser Mangel einer ständigen gegenseitigen Verständigung
durch die Presse wird sich vielleicht heben, weil das Bedürfniß danach allmä-
lig auch in solchen Kreisen erwacht, welche der Politik fernstehn; praktische
Anfänge dazu macht man ja auch schon längere Zeit auf volkswirtschaft¬
lichen Gebiet.

Dagegen kann sich gewiß kein nüchterner Politiker der schmerzlichen Ueber¬
zeugung verschließen, daß von einer lebendigen Nationalvertretung ganz Deutsch¬
lands, selbst blos Bundesdeutschlands, unsere Gegenwart ferner steht, als das
ganze Menschenalter seit Erschaffung des Bundestags. Die Nothwendigkeit
einer Bundesreform stellt freilich, keine officielle Politik der Bundesstaaten mehr
in principielle Abrede; aber mit jedem Jahr mehr erstarkt die wunderbare
Uebereinstimmung ihrer Leiter in der Versicherung, „der geeignete Moment"
sei dafür noch nicht vorhanden. Ueberdies haben noch vor zwei Jahren
Preußen und Oestreich feierlich erklärt, daß sie niemals auf eine „Bundesreform
mit parlamentarischer Grundlage" eingehen würden. Trotz der Veränderungen,
welche unterdessen in Preußen vorgegangen sind, ist auch heute keineswegs
anzunehmen, daß man dort einer solchen Umgestaltung des deutschen Central-
organs viel günstiger als damals gesinnt ist. An Oestreich ist natürlich gar
nicht zu denken, so lange es in seinem Innern keine ständischen Institutionen
besitzt. Wahrhaft komisch nimmt sich also die praktische Fähigkeit derjenigen
gutmeinenden Politiker aus, welche allen Ernstes den Vorschlag machen, jetzt
grübe den „kühnen Griff" einer solchen Reform zu thun, da so ziemlich über¬
all die Kanonen vorgefahren sind, um die erste Salve eines Krieges erdröh¬
nen zu lassen, von dem wir kaum recht wissen, wo und warum er beginnt,
noch weniger wann und wie er endet, sondern nur. daß er aller Wahrschein¬
lichkeit nach ein Weltkrieg wird.

So lange nun diese Mängel einer stetigen und consequenten gegenseitigen
Vertretung zwischen den geographisch geschiedenen Gauen unseres Gesammt-
Vaterlandes fortbestehen, werden wir bei außerordentlichen Zeitumständen stets
von neuem auf die Gegensätze der Meinungen über die nächste nationale
Nothwendigkeit stoßen. Der Beginn der nothwendigen Gemeinsamkeit wird
stets ein Hader scheinen, aber immerhin met)r scheinen, als sein. Denn jede
Hälfte des Vaterlandes (von eigentlichen Parteien kann man nicht reden)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107201"/>
          <p xml:id="ID_440" prev="#ID_439"> als solche, sondern als specifisch preußische, sächsische.-hannoversche ze. Haupt¬<lb/>
punkte im Auge hüte. Das Publicum beider Hälften des Vaterlandes gegen¬<lb/>
seitig auf dem Laufenden ihres ganzen Lebens zu erhalten, versäumt man hier<lb/>
wie dort; ja der gesammte Südwesten und Süden Deutschlands besitzt nicht<lb/>
einmal ein Organ, welches sich der Aufgabe vorwiegend widmet, die politi¬<lb/>
schen und socialen Lebensvorgänge in Deutschland parteilos aus kulturhisto¬<lb/>
rischen Standpunkte mit seinen Beobachtungen. Betrachtungen und Erläute¬<lb/>
rungen zu begleiten. Dieser Mangel einer ständigen gegenseitigen Verständigung<lb/>
durch die Presse wird sich vielleicht heben, weil das Bedürfniß danach allmä-<lb/>
lig auch in solchen Kreisen erwacht, welche der Politik fernstehn; praktische<lb/>
Anfänge dazu macht man ja auch schon längere Zeit auf volkswirtschaft¬<lb/>
lichen Gebiet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_441"> Dagegen kann sich gewiß kein nüchterner Politiker der schmerzlichen Ueber¬<lb/>
zeugung verschließen, daß von einer lebendigen Nationalvertretung ganz Deutsch¬<lb/>
lands, selbst blos Bundesdeutschlands, unsere Gegenwart ferner steht, als das<lb/>
ganze Menschenalter seit Erschaffung des Bundestags. Die Nothwendigkeit<lb/>
einer Bundesreform stellt freilich, keine officielle Politik der Bundesstaaten mehr<lb/>
in principielle Abrede; aber mit jedem Jahr mehr erstarkt die wunderbare<lb/>
Uebereinstimmung ihrer Leiter in der Versicherung, &#x201E;der geeignete Moment"<lb/>
sei dafür noch nicht vorhanden. Ueberdies haben noch vor zwei Jahren<lb/>
Preußen und Oestreich feierlich erklärt, daß sie niemals auf eine &#x201E;Bundesreform<lb/>
mit parlamentarischer Grundlage" eingehen würden. Trotz der Veränderungen,<lb/>
welche unterdessen in Preußen vorgegangen sind, ist auch heute keineswegs<lb/>
anzunehmen, daß man dort einer solchen Umgestaltung des deutschen Central-<lb/>
organs viel günstiger als damals gesinnt ist. An Oestreich ist natürlich gar<lb/>
nicht zu denken, so lange es in seinem Innern keine ständischen Institutionen<lb/>
besitzt. Wahrhaft komisch nimmt sich also die praktische Fähigkeit derjenigen<lb/>
gutmeinenden Politiker aus, welche allen Ernstes den Vorschlag machen, jetzt<lb/>
grübe den &#x201E;kühnen Griff" einer solchen Reform zu thun, da so ziemlich über¬<lb/>
all die Kanonen vorgefahren sind, um die erste Salve eines Krieges erdröh¬<lb/>
nen zu lassen, von dem wir kaum recht wissen, wo und warum er beginnt,<lb/>
noch weniger wann und wie er endet, sondern nur. daß er aller Wahrschein¬<lb/>
lichkeit nach ein Weltkrieg wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_442" next="#ID_443"> So lange nun diese Mängel einer stetigen und consequenten gegenseitigen<lb/>
Vertretung zwischen den geographisch geschiedenen Gauen unseres Gesammt-<lb/>
Vaterlandes fortbestehen, werden wir bei außerordentlichen Zeitumständen stets<lb/>
von neuem auf die Gegensätze der Meinungen über die nächste nationale<lb/>
Nothwendigkeit stoßen. Der Beginn der nothwendigen Gemeinsamkeit wird<lb/>
stets ein Hader scheinen, aber immerhin met)r scheinen, als sein. Denn jede<lb/>
Hälfte des Vaterlandes (von eigentlichen Parteien kann man nicht reden)</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] als solche, sondern als specifisch preußische, sächsische.-hannoversche ze. Haupt¬ punkte im Auge hüte. Das Publicum beider Hälften des Vaterlandes gegen¬ seitig auf dem Laufenden ihres ganzen Lebens zu erhalten, versäumt man hier wie dort; ja der gesammte Südwesten und Süden Deutschlands besitzt nicht einmal ein Organ, welches sich der Aufgabe vorwiegend widmet, die politi¬ schen und socialen Lebensvorgänge in Deutschland parteilos aus kulturhisto¬ rischen Standpunkte mit seinen Beobachtungen. Betrachtungen und Erläute¬ rungen zu begleiten. Dieser Mangel einer ständigen gegenseitigen Verständigung durch die Presse wird sich vielleicht heben, weil das Bedürfniß danach allmä- lig auch in solchen Kreisen erwacht, welche der Politik fernstehn; praktische Anfänge dazu macht man ja auch schon längere Zeit auf volkswirtschaft¬ lichen Gebiet. Dagegen kann sich gewiß kein nüchterner Politiker der schmerzlichen Ueber¬ zeugung verschließen, daß von einer lebendigen Nationalvertretung ganz Deutsch¬ lands, selbst blos Bundesdeutschlands, unsere Gegenwart ferner steht, als das ganze Menschenalter seit Erschaffung des Bundestags. Die Nothwendigkeit einer Bundesreform stellt freilich, keine officielle Politik der Bundesstaaten mehr in principielle Abrede; aber mit jedem Jahr mehr erstarkt die wunderbare Uebereinstimmung ihrer Leiter in der Versicherung, „der geeignete Moment" sei dafür noch nicht vorhanden. Ueberdies haben noch vor zwei Jahren Preußen und Oestreich feierlich erklärt, daß sie niemals auf eine „Bundesreform mit parlamentarischer Grundlage" eingehen würden. Trotz der Veränderungen, welche unterdessen in Preußen vorgegangen sind, ist auch heute keineswegs anzunehmen, daß man dort einer solchen Umgestaltung des deutschen Central- organs viel günstiger als damals gesinnt ist. An Oestreich ist natürlich gar nicht zu denken, so lange es in seinem Innern keine ständischen Institutionen besitzt. Wahrhaft komisch nimmt sich also die praktische Fähigkeit derjenigen gutmeinenden Politiker aus, welche allen Ernstes den Vorschlag machen, jetzt grübe den „kühnen Griff" einer solchen Reform zu thun, da so ziemlich über¬ all die Kanonen vorgefahren sind, um die erste Salve eines Krieges erdröh¬ nen zu lassen, von dem wir kaum recht wissen, wo und warum er beginnt, noch weniger wann und wie er endet, sondern nur. daß er aller Wahrschein¬ lichkeit nach ein Weltkrieg wird. So lange nun diese Mängel einer stetigen und consequenten gegenseitigen Vertretung zwischen den geographisch geschiedenen Gauen unseres Gesammt- Vaterlandes fortbestehen, werden wir bei außerordentlichen Zeitumständen stets von neuem auf die Gegensätze der Meinungen über die nächste nationale Nothwendigkeit stoßen. Der Beginn der nothwendigen Gemeinsamkeit wird stets ein Hader scheinen, aber immerhin met)r scheinen, als sein. Denn jede Hälfte des Vaterlandes (von eigentlichen Parteien kann man nicht reden)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/154>, abgerufen am 22.12.2024.