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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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tragung auf Zeit, bald auf immer; bald zu Eigenthum oder Lchmecht, bald
zu Pfandrecht. Auch die Verpfändungen waren im Wesentlichen nichts Anderes
als Veräußerungen für immer, denn nur selten kamen bessere, reichere Zeiten
für die Kaiser, um die verpfändeten Neichsgüter bei den Gläubigern wieder
einzulösen. -- Aus den Händen der Landesherrn kam dann der Judenschutz,
ebenso wie die andern Regalien, an ihre Vasallen und wurde ein Gegenstand
des Verkehrs. Ein Beispiel statt vieler: König Adolph hatte dem Herrn Got-
frid von Merenberg 200 Mark jährliche Einkünfte von den Juden Frankfurts
zu Lehen gegeben und dieser wiederum verlieh von ihnen vier Mark dem
Ritter Heinrich von Sachsenhauser.

Später versuchten es allerdings die Kaiser, sich wieder in den Besitz
dieser wichtigen finanziellen Quelle zu setzen; König Wenzel beanspruchte im
Jahr 1383 von allen Fürsten und Städten den zehnten Theil der Juden zu
erhalten, aber wir erfahren nicht, daß er in seinem Bestreben besonders glück¬
lich gewesen sei. In der Reichspolizeiordnung von 1548 wurde eingeschärft,
daß niemand Rechte über die Juden haben könne, als wer sie von dem Kaiser
empfangen habe und sich darüber ausweisen könne.

Den Landesherrn gegenüber war ihre Stellung nicht gesicherter, als dem
Kaiser gegenüber. Sie sind jetzt landesherrliche Kammerknechte und zahlen
nicht blos die regelmäßigen Steuern, sondern müßen Geld hergeben, sobald
die Landesherrn desselben bedürfen. Um sich für die Kosten seiner Reise nach
Rom zu entschädigen, ließ der Erzbischof von Magdeburg einmal zur Zeit
des Laubhüttenfestes die Juden zu Halle und Magdeburg gefangen nehmen,
ihre Häuser erbrechen und ihnen ihr Gold und Silber nehmen. Der Raub
wurde auf 100,000 Mark geschätzt. Privilegien, welche man ihnen gegeben
hatte, wurden für nichts geachtet und selbst die Kaiser zwangen bisweilen die
Juden, die Urkunden herauszugeben, welche sie in Händen hatten.

Kaiser und Landesherrn, welche auf der einen Seite das Vorrecht der
Juden, Geld auf Zinsen zu leihen, anerkannten, vernichteten auf der andern
Seite zum Vortheil der Schuldner öfter die Forderungen der Juden durch
ihren bloßen kaiserlichen Willen. Es spricht sich hier wiederum der Gedanke
aus, daß der Jude der unumschränkten Willkür des Kaisers oder Schutzherrn
unterworfen ist und daß es in der kaiserlichen und landesherrlichen Machtvoll¬
kommenheit steht, die ihm eingeräumten Rechte und Privilegien für nicht ge¬
geben zu betrachten. Derartige Schuldentilgungen waren zunächst eine Er¬
findung der Päpste: Eugenius der Dritte erließ im Jahr 1147 allen Pilgern,
welche das heilige Land zu erobern auszogen, ihre Schulden an die Juden;
Innocenz der Dritte gebot im Jahr 1215, den Kreuzrittern, welche zur Zah¬
lung unfähig waren, ein Moratorium zu gewähren und hob für die Zeit ihrer
Abwesenheit den Lauf der Zinsen auf. Aehnlich verfuhren Kaiser und Landes-


tragung auf Zeit, bald auf immer; bald zu Eigenthum oder Lchmecht, bald
zu Pfandrecht. Auch die Verpfändungen waren im Wesentlichen nichts Anderes
als Veräußerungen für immer, denn nur selten kamen bessere, reichere Zeiten
für die Kaiser, um die verpfändeten Neichsgüter bei den Gläubigern wieder
einzulösen. — Aus den Händen der Landesherrn kam dann der Judenschutz,
ebenso wie die andern Regalien, an ihre Vasallen und wurde ein Gegenstand
des Verkehrs. Ein Beispiel statt vieler: König Adolph hatte dem Herrn Got-
frid von Merenberg 200 Mark jährliche Einkünfte von den Juden Frankfurts
zu Lehen gegeben und dieser wiederum verlieh von ihnen vier Mark dem
Ritter Heinrich von Sachsenhauser.

Später versuchten es allerdings die Kaiser, sich wieder in den Besitz
dieser wichtigen finanziellen Quelle zu setzen; König Wenzel beanspruchte im
Jahr 1383 von allen Fürsten und Städten den zehnten Theil der Juden zu
erhalten, aber wir erfahren nicht, daß er in seinem Bestreben besonders glück¬
lich gewesen sei. In der Reichspolizeiordnung von 1548 wurde eingeschärft,
daß niemand Rechte über die Juden haben könne, als wer sie von dem Kaiser
empfangen habe und sich darüber ausweisen könne.

Den Landesherrn gegenüber war ihre Stellung nicht gesicherter, als dem
Kaiser gegenüber. Sie sind jetzt landesherrliche Kammerknechte und zahlen
nicht blos die regelmäßigen Steuern, sondern müßen Geld hergeben, sobald
die Landesherrn desselben bedürfen. Um sich für die Kosten seiner Reise nach
Rom zu entschädigen, ließ der Erzbischof von Magdeburg einmal zur Zeit
des Laubhüttenfestes die Juden zu Halle und Magdeburg gefangen nehmen,
ihre Häuser erbrechen und ihnen ihr Gold und Silber nehmen. Der Raub
wurde auf 100,000 Mark geschätzt. Privilegien, welche man ihnen gegeben
hatte, wurden für nichts geachtet und selbst die Kaiser zwangen bisweilen die
Juden, die Urkunden herauszugeben, welche sie in Händen hatten.

Kaiser und Landesherrn, welche auf der einen Seite das Vorrecht der
Juden, Geld auf Zinsen zu leihen, anerkannten, vernichteten auf der andern
Seite zum Vortheil der Schuldner öfter die Forderungen der Juden durch
ihren bloßen kaiserlichen Willen. Es spricht sich hier wiederum der Gedanke
aus, daß der Jude der unumschränkten Willkür des Kaisers oder Schutzherrn
unterworfen ist und daß es in der kaiserlichen und landesherrlichen Machtvoll¬
kommenheit steht, die ihm eingeräumten Rechte und Privilegien für nicht ge¬
geben zu betrachten. Derartige Schuldentilgungen waren zunächst eine Er¬
findung der Päpste: Eugenius der Dritte erließ im Jahr 1147 allen Pilgern,
welche das heilige Land zu erobern auszogen, ihre Schulden an die Juden;
Innocenz der Dritte gebot im Jahr 1215, den Kreuzrittern, welche zur Zah¬
lung unfähig waren, ein Moratorium zu gewähren und hob für die Zeit ihrer
Abwesenheit den Lauf der Zinsen auf. Aehnlich verfuhren Kaiser und Landes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/137>, abgerufen am 22.12.2024.