Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

überliefern. Denn die freie Kirche bedeutet bei dem dermaligen Zustand der
Kirchenverfassung auf beiden Seiten nichts weiter als das freie Walten der
geistlichen Oberen über ihre Pfarrkinder. Wir construiren jetzt eine künstliche
Ehe. welche dem Volk stets fremd bleibt. Wer eine ordentliche Ehe will, muß
sie bei der Kirche nachsuchen, die nach ihren Dogmen gewahren und versagen
soll. Für den gewissenhaften schwächern Theil, für die Masse des Volks, auf
die es ankommt, bleibt nichts übrig, als sich zu fügen." -- "Ein preußischer
Staat, der so ein neues Lvrxus Oatlrolieorum und LvlMMlieoi'um von unten
auf erzeugt und nährt, kann nicht der zukünftige deutsche Staat sein, der vor
allen Dingen einheitlicher und gerechter Herr sein muß." -- "Pflicht des
Königs ist. das was er für Recht hält, zu vertreten gegen die kirchlichen Ge¬
walten." -- Aber: "wie ist es praktisch möglich, eine Kirchengewalt zur Nach¬
giebigkeit zu nöthigen?" -- Es ist ein Satz des englischen Staatsrechts: "daß
die Geistlichen durch Strafbefehle auch zu Pfarramtshandlungen gezwungen,
wegen Competenzüberschreitungen gestraft werden; eine andere Weise, einen
verfassungsmäßigen Staat verfassungsmäßig zu regieren, gibt es überhaupt
nicht." "Es ist der einzige Weg, der Negierung die Mittel wiederzugeben,
um zu regieren, d. h. um die königlichen Pflichten zu erfüllen, die erfüllt
werden müssen, um die Einheit des deutschen Volks zu erhalten."

Dieses Glaubenssystem ist, grade herausgesagt, das System des aufge¬
klärten Despotismus; daß der Redner zwischen die königliche Gewalt und die
Kirche noch "freie Korporationen" einschieben will, ändert an der Sache um
so weniger, da für den bestimmten Fall vollständig unklar gelassen ist, wie
diese vermittelnden Korporationen beschaffen sein sollen.

Indessen sind wir nicht gemeint, uns durch Namen schrecken zu lassen;
wenn der aufgeklärte Despotismus für den bestimmten Fall das zweckmäßigste
Mittel, und vor allem ausführbar ist, so werden uns abstracte Principien
nicht unbedingt bestimmen. Malen wir uns die Sache aus, und zwar hier
zunächst in Bezug auf den Punkt, auf den alles ankommt, auf die katholische
Kirche; denn daß mit dem bloßen Zwang gegen die protestantischen Geistlichen
noch nichts ausgemacht ist, dürfen wir nicht erst erwähnen.

Der Staat scheiterte bereits an dem gelindesten Conflict, an dem Conflict,
Wo er wenigstens theilweise im Recht war: an der Frage über Einsegnung
der gemischten Ehen. -- Nun sollen aber die katholischen Geistlichen gezwungen
werden, u. a. folgende Ehen einzusegnen: Ehen in verbotenen Graden; Ehen
Geschiedener, während die Ehe nach dem katholischen Lehrbegriff den Cha¬
rakter der Jndelibilitüt hat; Ehen von Priestern, die ihr Amt niederlegen, welches
kanonisch gleichfalls unauslöschlich ist. -- Das sind nur einzelne Conflicte, sie
genügen aber, zu beweisen, daß alle diese Zumuthungen an katholische Geist¬
liche Ausflüsse der entsetzlichsten Tyrannei wären, einer Tyrannei, wie sie in


überliefern. Denn die freie Kirche bedeutet bei dem dermaligen Zustand der
Kirchenverfassung auf beiden Seiten nichts weiter als das freie Walten der
geistlichen Oberen über ihre Pfarrkinder. Wir construiren jetzt eine künstliche
Ehe. welche dem Volk stets fremd bleibt. Wer eine ordentliche Ehe will, muß
sie bei der Kirche nachsuchen, die nach ihren Dogmen gewahren und versagen
soll. Für den gewissenhaften schwächern Theil, für die Masse des Volks, auf
die es ankommt, bleibt nichts übrig, als sich zu fügen." — „Ein preußischer
Staat, der so ein neues Lvrxus Oatlrolieorum und LvlMMlieoi'um von unten
auf erzeugt und nährt, kann nicht der zukünftige deutsche Staat sein, der vor
allen Dingen einheitlicher und gerechter Herr sein muß." — „Pflicht des
Königs ist. das was er für Recht hält, zu vertreten gegen die kirchlichen Ge¬
walten." — Aber: „wie ist es praktisch möglich, eine Kirchengewalt zur Nach¬
giebigkeit zu nöthigen?" — Es ist ein Satz des englischen Staatsrechts: „daß
die Geistlichen durch Strafbefehle auch zu Pfarramtshandlungen gezwungen,
wegen Competenzüberschreitungen gestraft werden; eine andere Weise, einen
verfassungsmäßigen Staat verfassungsmäßig zu regieren, gibt es überhaupt
nicht." „Es ist der einzige Weg, der Negierung die Mittel wiederzugeben,
um zu regieren, d. h. um die königlichen Pflichten zu erfüllen, die erfüllt
werden müssen, um die Einheit des deutschen Volks zu erhalten."

Dieses Glaubenssystem ist, grade herausgesagt, das System des aufge¬
klärten Despotismus; daß der Redner zwischen die königliche Gewalt und die
Kirche noch „freie Korporationen" einschieben will, ändert an der Sache um
so weniger, da für den bestimmten Fall vollständig unklar gelassen ist, wie
diese vermittelnden Korporationen beschaffen sein sollen.

Indessen sind wir nicht gemeint, uns durch Namen schrecken zu lassen;
wenn der aufgeklärte Despotismus für den bestimmten Fall das zweckmäßigste
Mittel, und vor allem ausführbar ist, so werden uns abstracte Principien
nicht unbedingt bestimmen. Malen wir uns die Sache aus, und zwar hier
zunächst in Bezug auf den Punkt, auf den alles ankommt, auf die katholische
Kirche; denn daß mit dem bloßen Zwang gegen die protestantischen Geistlichen
noch nichts ausgemacht ist, dürfen wir nicht erst erwähnen.

Der Staat scheiterte bereits an dem gelindesten Conflict, an dem Conflict,
Wo er wenigstens theilweise im Recht war: an der Frage über Einsegnung
der gemischten Ehen. — Nun sollen aber die katholischen Geistlichen gezwungen
werden, u. a. folgende Ehen einzusegnen: Ehen in verbotenen Graden; Ehen
Geschiedener, während die Ehe nach dem katholischen Lehrbegriff den Cha¬
rakter der Jndelibilitüt hat; Ehen von Priestern, die ihr Amt niederlegen, welches
kanonisch gleichfalls unauslöschlich ist. — Das sind nur einzelne Conflicte, sie
genügen aber, zu beweisen, daß alle diese Zumuthungen an katholische Geist¬
liche Ausflüsse der entsetzlichsten Tyrannei wären, einer Tyrannei, wie sie in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107160"/>
          <p xml:id="ID_304" prev="#ID_303"> überliefern. Denn die freie Kirche bedeutet bei dem dermaligen Zustand der<lb/>
Kirchenverfassung auf beiden Seiten nichts weiter als das freie Walten der<lb/>
geistlichen Oberen über ihre Pfarrkinder. Wir construiren jetzt eine künstliche<lb/>
Ehe. welche dem Volk stets fremd bleibt. Wer eine ordentliche Ehe will, muß<lb/>
sie bei der Kirche nachsuchen, die nach ihren Dogmen gewahren und versagen<lb/>
soll. Für den gewissenhaften schwächern Theil, für die Masse des Volks, auf<lb/>
die es ankommt, bleibt nichts übrig, als sich zu fügen." &#x2014; &#x201E;Ein preußischer<lb/>
Staat, der so ein neues Lvrxus Oatlrolieorum und LvlMMlieoi'um von unten<lb/>
auf erzeugt und nährt, kann nicht der zukünftige deutsche Staat sein, der vor<lb/>
allen Dingen einheitlicher und gerechter Herr sein muß." &#x2014; &#x201E;Pflicht des<lb/>
Königs ist. das was er für Recht hält, zu vertreten gegen die kirchlichen Ge¬<lb/>
walten." &#x2014; Aber: &#x201E;wie ist es praktisch möglich, eine Kirchengewalt zur Nach¬<lb/>
giebigkeit zu nöthigen?" &#x2014; Es ist ein Satz des englischen Staatsrechts: &#x201E;daß<lb/>
die Geistlichen durch Strafbefehle auch zu Pfarramtshandlungen gezwungen,<lb/>
wegen Competenzüberschreitungen gestraft werden; eine andere Weise, einen<lb/>
verfassungsmäßigen Staat verfassungsmäßig zu regieren, gibt es überhaupt<lb/>
nicht." &#x201E;Es ist der einzige Weg, der Negierung die Mittel wiederzugeben,<lb/>
um zu regieren, d. h. um die königlichen Pflichten zu erfüllen, die erfüllt<lb/>
werden müssen, um die Einheit des deutschen Volks zu erhalten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_305"> Dieses Glaubenssystem ist, grade herausgesagt, das System des aufge¬<lb/>
klärten Despotismus; daß der Redner zwischen die königliche Gewalt und die<lb/>
Kirche noch &#x201E;freie Korporationen" einschieben will, ändert an der Sache um<lb/>
so weniger, da für den bestimmten Fall vollständig unklar gelassen ist, wie<lb/>
diese vermittelnden Korporationen beschaffen sein sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_306"> Indessen sind wir nicht gemeint, uns durch Namen schrecken zu lassen;<lb/>
wenn der aufgeklärte Despotismus für den bestimmten Fall das zweckmäßigste<lb/>
Mittel, und vor allem ausführbar ist, so werden uns abstracte Principien<lb/>
nicht unbedingt bestimmen. Malen wir uns die Sache aus, und zwar hier<lb/>
zunächst in Bezug auf den Punkt, auf den alles ankommt, auf die katholische<lb/>
Kirche; denn daß mit dem bloßen Zwang gegen die protestantischen Geistlichen<lb/>
noch nichts ausgemacht ist, dürfen wir nicht erst erwähnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_307" next="#ID_308"> Der Staat scheiterte bereits an dem gelindesten Conflict, an dem Conflict,<lb/>
Wo er wenigstens theilweise im Recht war: an der Frage über Einsegnung<lb/>
der gemischten Ehen. &#x2014; Nun sollen aber die katholischen Geistlichen gezwungen<lb/>
werden, u. a. folgende Ehen einzusegnen: Ehen in verbotenen Graden; Ehen<lb/>
Geschiedener, während die Ehe nach dem katholischen Lehrbegriff den Cha¬<lb/>
rakter der Jndelibilitüt hat; Ehen von Priestern, die ihr Amt niederlegen, welches<lb/>
kanonisch gleichfalls unauslöschlich ist. &#x2014; Das sind nur einzelne Conflicte, sie<lb/>
genügen aber, zu beweisen, daß alle diese Zumuthungen an katholische Geist¬<lb/>
liche Ausflüsse der entsetzlichsten Tyrannei wären, einer Tyrannei, wie sie in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] überliefern. Denn die freie Kirche bedeutet bei dem dermaligen Zustand der Kirchenverfassung auf beiden Seiten nichts weiter als das freie Walten der geistlichen Oberen über ihre Pfarrkinder. Wir construiren jetzt eine künstliche Ehe. welche dem Volk stets fremd bleibt. Wer eine ordentliche Ehe will, muß sie bei der Kirche nachsuchen, die nach ihren Dogmen gewahren und versagen soll. Für den gewissenhaften schwächern Theil, für die Masse des Volks, auf die es ankommt, bleibt nichts übrig, als sich zu fügen." — „Ein preußischer Staat, der so ein neues Lvrxus Oatlrolieorum und LvlMMlieoi'um von unten auf erzeugt und nährt, kann nicht der zukünftige deutsche Staat sein, der vor allen Dingen einheitlicher und gerechter Herr sein muß." — „Pflicht des Königs ist. das was er für Recht hält, zu vertreten gegen die kirchlichen Ge¬ walten." — Aber: „wie ist es praktisch möglich, eine Kirchengewalt zur Nach¬ giebigkeit zu nöthigen?" — Es ist ein Satz des englischen Staatsrechts: „daß die Geistlichen durch Strafbefehle auch zu Pfarramtshandlungen gezwungen, wegen Competenzüberschreitungen gestraft werden; eine andere Weise, einen verfassungsmäßigen Staat verfassungsmäßig zu regieren, gibt es überhaupt nicht." „Es ist der einzige Weg, der Negierung die Mittel wiederzugeben, um zu regieren, d. h. um die königlichen Pflichten zu erfüllen, die erfüllt werden müssen, um die Einheit des deutschen Volks zu erhalten." Dieses Glaubenssystem ist, grade herausgesagt, das System des aufge¬ klärten Despotismus; daß der Redner zwischen die königliche Gewalt und die Kirche noch „freie Korporationen" einschieben will, ändert an der Sache um so weniger, da für den bestimmten Fall vollständig unklar gelassen ist, wie diese vermittelnden Korporationen beschaffen sein sollen. Indessen sind wir nicht gemeint, uns durch Namen schrecken zu lassen; wenn der aufgeklärte Despotismus für den bestimmten Fall das zweckmäßigste Mittel, und vor allem ausführbar ist, so werden uns abstracte Principien nicht unbedingt bestimmen. Malen wir uns die Sache aus, und zwar hier zunächst in Bezug auf den Punkt, auf den alles ankommt, auf die katholische Kirche; denn daß mit dem bloßen Zwang gegen die protestantischen Geistlichen noch nichts ausgemacht ist, dürfen wir nicht erst erwähnen. Der Staat scheiterte bereits an dem gelindesten Conflict, an dem Conflict, Wo er wenigstens theilweise im Recht war: an der Frage über Einsegnung der gemischten Ehen. — Nun sollen aber die katholischen Geistlichen gezwungen werden, u. a. folgende Ehen einzusegnen: Ehen in verbotenen Graden; Ehen Geschiedener, während die Ehe nach dem katholischen Lehrbegriff den Cha¬ rakter der Jndelibilitüt hat; Ehen von Priestern, die ihr Amt niederlegen, welches kanonisch gleichfalls unauslöschlich ist. — Das sind nur einzelne Conflicte, sie genügen aber, zu beweisen, daß alle diese Zumuthungen an katholische Geist¬ liche Ausflüsse der entsetzlichsten Tyrannei wären, einer Tyrannei, wie sie in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/113>, abgerufen am 22.12.2024.