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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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vergessen inachi. Wir vernehmen, daß Schwind bereits vor fünfzehn Jahren
sich mit diesem Bildmotive beschäftigt hat. ohne aber gleich die reckte Form
der Verkörperung zu finden. Erst bis ihm auch die feinsten Züge des Mär¬
chens lebendig vor der Phantasie standen und seine Empfindung das geheim-
nißvolle Wesen des Motives vollkommen bewältigt hatte, schritt er an die
Ausführung, die in überraschend kurzer Zeit zu Ende gebracht wurde. Auf dieje
Art kam die reise Weisheit und die unmittelbare Begeisterung gleichmäßig zu
ihrem Rechte, im vollkommnen Gleichgewicht finden wir sie auch in dem Werte,
dem besten, das Schwind bis jetzt' geschaffen. Wir kannten schwind schon
längst als einen Meister naiver Schilderung, wir schätzten in ihm und Ludwig
Richter, der leider auf der Ausstellung nicht den ihm gebührenden Raum -- und
ein Ehrenplatz mühte es sein -- einnimmt, die seltene Befähigung, einen recht
volksthümlichen Ton einzuschlagen, und ihre Gestalten aus unserem besten
Marke zu schneiden. Schwind halte sich noch den rechten Humor gerettet, der
das Kleine erhebt, ohne das Große zu verlästern, ihm war vor allem die
Gabe verliehen, zu unserm Herzen zu sprechen und unsere Empfindungen
lebendig zu erregen. Charaktere, die ein rauhes Schicksal etwas aus dem
Lotse gebracht, welche aber in ihrer abgeschlossenen Besonderheit doch noch
feststehen, versteht niemand so wahr und ergreifend zu schildern wie Schwind.
Aber die Fvrmsrcudigkeit. den Sinn für großartige oder rein anmuthige Be¬
wegungen hat Schwind niemals noch so glänzend entfaltet als in dem Rabcn-
märchen, niemals auch alle seine positiven Eigenschaften und Vorzüge so har¬
monisch vereinigt, wie diesmal.

Das erste Bild des aus fünfzehn Feldern bestehenden Aquarcllcyklns zeigt
uns oben, leicht skizzirt die einleitenden Scenen des Märchens, unten eine
Märchcnerzählerin. umringt von einem reichen Zuhörerkreise, von dem wir ver¬
muthen, daß in ihm der Meister alle seine Lieben verewigt hat. Diese gemalte
Widmung fällt vielleicht ein wenig aus dem Nahmen, der das Ganze um-
spmrm. heraus, doch respectiren wir sie als eine wahrhaft innige Herzens-
ergießung und halten mit jeder weitern Bemerkung zurück. Bei der Verviel¬
fältigung des Werkes im Stiche, die uns hoffentlich nicht lange wird vorent¬
halten bleiben, dürfte ohnehin das erste, blos für den engern Freundeskreis
des Künstlers bestimmte Bild ausfallen. Das zweite Bild hebt die Geschichte
der getreuen Schwester, die ihre Brüder durch beharrliches Spinnen und
Schweigen erlöst, von dem verhängnisvollen Augenblicke an. wo die Einsame
"on den, nahenden Jagdzuge entdeckt wird. Wir lassen den lustigen Jäger-
^oh an uns vorübereilcn. verweilen aber desto länger bei dem dritten Felde.
Schilderung des Königssohnes. der mitten im Waldesgrün die reizende
Jungfrau aussuchet. Walther von der Bogelweide kann nicht zarter und seelen-
voller von der minniglichen Mädchenschönheit singen, als sie hier Schwind in
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vergessen inachi. Wir vernehmen, daß Schwind bereits vor fünfzehn Jahren
sich mit diesem Bildmotive beschäftigt hat. ohne aber gleich die reckte Form
der Verkörperung zu finden. Erst bis ihm auch die feinsten Züge des Mär¬
chens lebendig vor der Phantasie standen und seine Empfindung das geheim-
nißvolle Wesen des Motives vollkommen bewältigt hatte, schritt er an die
Ausführung, die in überraschend kurzer Zeit zu Ende gebracht wurde. Auf dieje
Art kam die reise Weisheit und die unmittelbare Begeisterung gleichmäßig zu
ihrem Rechte, im vollkommnen Gleichgewicht finden wir sie auch in dem Werte,
dem besten, das Schwind bis jetzt' geschaffen. Wir kannten schwind schon
längst als einen Meister naiver Schilderung, wir schätzten in ihm und Ludwig
Richter, der leider auf der Ausstellung nicht den ihm gebührenden Raum — und
ein Ehrenplatz mühte es sein — einnimmt, die seltene Befähigung, einen recht
volksthümlichen Ton einzuschlagen, und ihre Gestalten aus unserem besten
Marke zu schneiden. Schwind halte sich noch den rechten Humor gerettet, der
das Kleine erhebt, ohne das Große zu verlästern, ihm war vor allem die
Gabe verliehen, zu unserm Herzen zu sprechen und unsere Empfindungen
lebendig zu erregen. Charaktere, die ein rauhes Schicksal etwas aus dem
Lotse gebracht, welche aber in ihrer abgeschlossenen Besonderheit doch noch
feststehen, versteht niemand so wahr und ergreifend zu schildern wie Schwind.
Aber die Fvrmsrcudigkeit. den Sinn für großartige oder rein anmuthige Be¬
wegungen hat Schwind niemals noch so glänzend entfaltet als in dem Rabcn-
märchen, niemals auch alle seine positiven Eigenschaften und Vorzüge so har¬
monisch vereinigt, wie diesmal.

Das erste Bild des aus fünfzehn Feldern bestehenden Aquarcllcyklns zeigt
uns oben, leicht skizzirt die einleitenden Scenen des Märchens, unten eine
Märchcnerzählerin. umringt von einem reichen Zuhörerkreise, von dem wir ver¬
muthen, daß in ihm der Meister alle seine Lieben verewigt hat. Diese gemalte
Widmung fällt vielleicht ein wenig aus dem Nahmen, der das Ganze um-
spmrm. heraus, doch respectiren wir sie als eine wahrhaft innige Herzens-
ergießung und halten mit jeder weitern Bemerkung zurück. Bei der Verviel¬
fältigung des Werkes im Stiche, die uns hoffentlich nicht lange wird vorent¬
halten bleiben, dürfte ohnehin das erste, blos für den engern Freundeskreis
des Künstlers bestimmte Bild ausfallen. Das zweite Bild hebt die Geschichte
der getreuen Schwester, die ihre Brüder durch beharrliches Spinnen und
Schweigen erlöst, von dem verhängnisvollen Augenblicke an. wo die Einsame
"on den, nahenden Jagdzuge entdeckt wird. Wir lassen den lustigen Jäger-
^oh an uns vorübereilcn. verweilen aber desto länger bei dem dritten Felde.
Schilderung des Königssohnes. der mitten im Waldesgrün die reizende
Jungfrau aussuchet. Walther von der Bogelweide kann nicht zarter und seelen-
voller von der minniglichen Mädchenschönheit singen, als sie hier Schwind in
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[0075] vergessen inachi. Wir vernehmen, daß Schwind bereits vor fünfzehn Jahren sich mit diesem Bildmotive beschäftigt hat. ohne aber gleich die reckte Form der Verkörperung zu finden. Erst bis ihm auch die feinsten Züge des Mär¬ chens lebendig vor der Phantasie standen und seine Empfindung das geheim- nißvolle Wesen des Motives vollkommen bewältigt hatte, schritt er an die Ausführung, die in überraschend kurzer Zeit zu Ende gebracht wurde. Auf dieje Art kam die reise Weisheit und die unmittelbare Begeisterung gleichmäßig zu ihrem Rechte, im vollkommnen Gleichgewicht finden wir sie auch in dem Werte, dem besten, das Schwind bis jetzt' geschaffen. Wir kannten schwind schon längst als einen Meister naiver Schilderung, wir schätzten in ihm und Ludwig Richter, der leider auf der Ausstellung nicht den ihm gebührenden Raum — und ein Ehrenplatz mühte es sein — einnimmt, die seltene Befähigung, einen recht volksthümlichen Ton einzuschlagen, und ihre Gestalten aus unserem besten Marke zu schneiden. Schwind halte sich noch den rechten Humor gerettet, der das Kleine erhebt, ohne das Große zu verlästern, ihm war vor allem die Gabe verliehen, zu unserm Herzen zu sprechen und unsere Empfindungen lebendig zu erregen. Charaktere, die ein rauhes Schicksal etwas aus dem Lotse gebracht, welche aber in ihrer abgeschlossenen Besonderheit doch noch feststehen, versteht niemand so wahr und ergreifend zu schildern wie Schwind. Aber die Fvrmsrcudigkeit. den Sinn für großartige oder rein anmuthige Be¬ wegungen hat Schwind niemals noch so glänzend entfaltet als in dem Rabcn- märchen, niemals auch alle seine positiven Eigenschaften und Vorzüge so har¬ monisch vereinigt, wie diesmal. Das erste Bild des aus fünfzehn Feldern bestehenden Aquarcllcyklns zeigt uns oben, leicht skizzirt die einleitenden Scenen des Märchens, unten eine Märchcnerzählerin. umringt von einem reichen Zuhörerkreise, von dem wir ver¬ muthen, daß in ihm der Meister alle seine Lieben verewigt hat. Diese gemalte Widmung fällt vielleicht ein wenig aus dem Nahmen, der das Ganze um- spmrm. heraus, doch respectiren wir sie als eine wahrhaft innige Herzens- ergießung und halten mit jeder weitern Bemerkung zurück. Bei der Verviel¬ fältigung des Werkes im Stiche, die uns hoffentlich nicht lange wird vorent¬ halten bleiben, dürfte ohnehin das erste, blos für den engern Freundeskreis des Künstlers bestimmte Bild ausfallen. Das zweite Bild hebt die Geschichte der getreuen Schwester, die ihre Brüder durch beharrliches Spinnen und Schweigen erlöst, von dem verhängnisvollen Augenblicke an. wo die Einsame "on den, nahenden Jagdzuge entdeckt wird. Wir lassen den lustigen Jäger- ^oh an uns vorübereilcn. verweilen aber desto länger bei dem dritten Felde. Schilderung des Königssohnes. der mitten im Waldesgrün die reizende Jungfrau aussuchet. Walther von der Bogelweide kann nicht zarter und seelen- voller von der minniglichen Mädchenschönheit singen, als sie hier Schwind in -* 9 -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/75>, abgerufen am 06.02.2025.