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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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wen hasten, unsere Phantasie anrege, oder ob nur der plastische Formen¬
gehalt die Schönheit bestimme, ist wieder entbrannt. Auch Parteinamen hat
man glücklich gefunden, in den beiden Worten: Idealismus und Realismus
wohlfeile Mäntelchen entdeckt, unter welchen man Freund und Gegner rasch
unterbringen kann und je länger man kämpft, je hitziger man ficht, desto
unklarer werden die Köpfe, desto verworrener die Begriffe. Die lange Zurück¬
setzung hat viele der sogenannten Idealisten im Innern verbittert, so daß sie
dem Colorit auch nicht die geringste künstlerische Wirkungskraft zugestehen
'wollen, die malerischen Effecte, die Charakteristik durch die Farbe nicht blos
für ein Spiel, sondern auch für ein leichtes Spiel erklären. Seltsam, daß
dann so viele zwar die Lust, so wenige aber den Muth haben, dieses-leichte
Spiel zu beginnen. Sie haben in manchen Fällen ein volles Recht zu dem
Vorwurf, daß der Kopf ihrer Gegner einen photographischen Apparat statt
der Phantasie berge, und diese für den Fleiß, den sie auf die genaue Repro-
duction silberner Leuchter, metallner Buchbeschläge, damascirter Schwertklin¬
gen u. s. w. verwenden, sich durch leblose Allgemeinheit des Ausdruckes in
den Hauptfiguren schadlos halten. Wenn sie aber solche zufällige Mängel des
einen oder andern Bildes ausschließlich dem Kunstprincip als Schuld anrechnen,
als ob dasselbe zu jenem Verfahren nöthige, so betrügen sie sich nur selbst
und offenbaren Unredlichkeit oder Unwissenheit. Sie wollen nicht wissen oder
wissen wirklich nicht, daß Rembrandt und die spätern Niederländer überhaupt,
die Spanier des 17. Jahrhunderts und die Venetianer das gerade Gegentheil
der Kunstvcrderber bilden.

Die da sagen, in der Malerei komme es vorzugsweise auf die Poesie
der Gedanken, auf'die Gewalt und Bedeutung des Stoffes an. müßten uns
eigentlich erst sagen. welches Recht denn die Malerei auf das Dasein als be¬
sondere Kunstgattung besitze. Wenn uns der Künstler über seine hohen In¬
tentionen einfach verständigte, wenn er auf irgend welche Weise, -- conven-
tionelle Zeichen würden den Zweck vollkommen erfüllen -- die Vorstellung
seiner poetischen Gedanken in uns erweckte, so hätte er allen Anforderungen
ein sein Künstlerthum genügt. Nach dieser Aesthetik ist alle weitere Entwick¬
lung der Malerei seit dem Ausleben der byzantinischen Kunst eine überflüssige
Kraftverschwendung gewesen. Welche verwickelten Gedankensysteme haben die¬
selben nicht als Motive der Darstellung gewählt, mit welcher Kühnheit wu߬
ten sie nicht auch die entlegensten Himmelsgestalten der Erinnerung nahe zu
rücken, wie sinnreich erfanden sie zwischen dem Inhalt des Bildes und seiner
räumlichen Umgebung bestimmte Beziehungen. Für den kirchlich Gläubigen
enthalten die byzantinischen Werke eine Fülle stofflicher Poesie, einen unend¬
lichen Reichthum hoher Gedanken. Bedarf es zur Vollendung eines Gemäl¬
des nur solcher, so ist nicht abzusehen, warum wir nicht zu dieser Richtung


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wen hasten, unsere Phantasie anrege, oder ob nur der plastische Formen¬
gehalt die Schönheit bestimme, ist wieder entbrannt. Auch Parteinamen hat
man glücklich gefunden, in den beiden Worten: Idealismus und Realismus
wohlfeile Mäntelchen entdeckt, unter welchen man Freund und Gegner rasch
unterbringen kann und je länger man kämpft, je hitziger man ficht, desto
unklarer werden die Köpfe, desto verworrener die Begriffe. Die lange Zurück¬
setzung hat viele der sogenannten Idealisten im Innern verbittert, so daß sie
dem Colorit auch nicht die geringste künstlerische Wirkungskraft zugestehen
'wollen, die malerischen Effecte, die Charakteristik durch die Farbe nicht blos
für ein Spiel, sondern auch für ein leichtes Spiel erklären. Seltsam, daß
dann so viele zwar die Lust, so wenige aber den Muth haben, dieses-leichte
Spiel zu beginnen. Sie haben in manchen Fällen ein volles Recht zu dem
Vorwurf, daß der Kopf ihrer Gegner einen photographischen Apparat statt
der Phantasie berge, und diese für den Fleiß, den sie auf die genaue Repro-
duction silberner Leuchter, metallner Buchbeschläge, damascirter Schwertklin¬
gen u. s. w. verwenden, sich durch leblose Allgemeinheit des Ausdruckes in
den Hauptfiguren schadlos halten. Wenn sie aber solche zufällige Mängel des
einen oder andern Bildes ausschließlich dem Kunstprincip als Schuld anrechnen,
als ob dasselbe zu jenem Verfahren nöthige, so betrügen sie sich nur selbst
und offenbaren Unredlichkeit oder Unwissenheit. Sie wollen nicht wissen oder
wissen wirklich nicht, daß Rembrandt und die spätern Niederländer überhaupt,
die Spanier des 17. Jahrhunderts und die Venetianer das gerade Gegentheil
der Kunstvcrderber bilden.

Die da sagen, in der Malerei komme es vorzugsweise auf die Poesie
der Gedanken, auf'die Gewalt und Bedeutung des Stoffes an. müßten uns
eigentlich erst sagen. welches Recht denn die Malerei auf das Dasein als be¬
sondere Kunstgattung besitze. Wenn uns der Künstler über seine hohen In¬
tentionen einfach verständigte, wenn er auf irgend welche Weise, — conven-
tionelle Zeichen würden den Zweck vollkommen erfüllen — die Vorstellung
seiner poetischen Gedanken in uns erweckte, so hätte er allen Anforderungen
ein sein Künstlerthum genügt. Nach dieser Aesthetik ist alle weitere Entwick¬
lung der Malerei seit dem Ausleben der byzantinischen Kunst eine überflüssige
Kraftverschwendung gewesen. Welche verwickelten Gedankensysteme haben die¬
selben nicht als Motive der Darstellung gewählt, mit welcher Kühnheit wu߬
ten sie nicht auch die entlegensten Himmelsgestalten der Erinnerung nahe zu
rücken, wie sinnreich erfanden sie zwischen dem Inhalt des Bildes und seiner
räumlichen Umgebung bestimmte Beziehungen. Für den kirchlich Gläubigen
enthalten die byzantinischen Werke eine Fülle stofflicher Poesie, einen unend¬
lichen Reichthum hoher Gedanken. Bedarf es zur Vollendung eines Gemäl¬
des nur solcher, so ist nicht abzusehen, warum wir nicht zu dieser Richtung


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[0067] wen hasten, unsere Phantasie anrege, oder ob nur der plastische Formen¬ gehalt die Schönheit bestimme, ist wieder entbrannt. Auch Parteinamen hat man glücklich gefunden, in den beiden Worten: Idealismus und Realismus wohlfeile Mäntelchen entdeckt, unter welchen man Freund und Gegner rasch unterbringen kann und je länger man kämpft, je hitziger man ficht, desto unklarer werden die Köpfe, desto verworrener die Begriffe. Die lange Zurück¬ setzung hat viele der sogenannten Idealisten im Innern verbittert, so daß sie dem Colorit auch nicht die geringste künstlerische Wirkungskraft zugestehen 'wollen, die malerischen Effecte, die Charakteristik durch die Farbe nicht blos für ein Spiel, sondern auch für ein leichtes Spiel erklären. Seltsam, daß dann so viele zwar die Lust, so wenige aber den Muth haben, dieses-leichte Spiel zu beginnen. Sie haben in manchen Fällen ein volles Recht zu dem Vorwurf, daß der Kopf ihrer Gegner einen photographischen Apparat statt der Phantasie berge, und diese für den Fleiß, den sie auf die genaue Repro- duction silberner Leuchter, metallner Buchbeschläge, damascirter Schwertklin¬ gen u. s. w. verwenden, sich durch leblose Allgemeinheit des Ausdruckes in den Hauptfiguren schadlos halten. Wenn sie aber solche zufällige Mängel des einen oder andern Bildes ausschließlich dem Kunstprincip als Schuld anrechnen, als ob dasselbe zu jenem Verfahren nöthige, so betrügen sie sich nur selbst und offenbaren Unredlichkeit oder Unwissenheit. Sie wollen nicht wissen oder wissen wirklich nicht, daß Rembrandt und die spätern Niederländer überhaupt, die Spanier des 17. Jahrhunderts und die Venetianer das gerade Gegentheil der Kunstvcrderber bilden. Die da sagen, in der Malerei komme es vorzugsweise auf die Poesie der Gedanken, auf'die Gewalt und Bedeutung des Stoffes an. müßten uns eigentlich erst sagen. welches Recht denn die Malerei auf das Dasein als be¬ sondere Kunstgattung besitze. Wenn uns der Künstler über seine hohen In¬ tentionen einfach verständigte, wenn er auf irgend welche Weise, — conven- tionelle Zeichen würden den Zweck vollkommen erfüllen — die Vorstellung seiner poetischen Gedanken in uns erweckte, so hätte er allen Anforderungen ein sein Künstlerthum genügt. Nach dieser Aesthetik ist alle weitere Entwick¬ lung der Malerei seit dem Ausleben der byzantinischen Kunst eine überflüssige Kraftverschwendung gewesen. Welche verwickelten Gedankensysteme haben die¬ selben nicht als Motive der Darstellung gewählt, mit welcher Kühnheit wu߬ ten sie nicht auch die entlegensten Himmelsgestalten der Erinnerung nahe zu rücken, wie sinnreich erfanden sie zwischen dem Inhalt des Bildes und seiner räumlichen Umgebung bestimmte Beziehungen. Für den kirchlich Gläubigen enthalten die byzantinischen Werke eine Fülle stofflicher Poesie, einen unend¬ lichen Reichthum hoher Gedanken. Bedarf es zur Vollendung eines Gemäl¬ des nur solcher, so ist nicht abzusehen, warum wir nicht zu dieser Richtung 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/67>, abgerufen am 06.02.2025.