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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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machst, und da du so gut mit den Händen reden kannst, ist dir eine andere
Sprache leicht entbehrlich." Die zweite Anekdote betrifft einen Fürsten aus einem
barbarischen Lande, der an Neros Hof gekommen war. Er sah denselben
Tänzer einige Pantomimen so deutlich ausführen, daß er alles verstand, wie-
wol ihm die Worte des Gesanges verloren gingen. Als er sich nun vom
Kaiser beurlaubte und ihm dieser sagte, er möchte sich von ihm ausbilde",
was er wollte, es solle ihm mit Vergnügen gewährt werden, erwiderte er:
"Du würdest mich sehr glücklich machen, wenn du mir den Pantomimen
schenken wolltest." Und was willst du in deinem Lande mit ihm anfangen?
fragte Nero. "Ich habe." antwortete der Fremde, "verschiedene Nachbarn,
die eine andere Sprache reden, und es findet sich nicht immer sogleich ein
Dolmetscher; so oft ich nun einen brauche, sollte er diesen Leuten durch Ge-
berden meinen Willen erklären." -- Kaum läßt sich aber auch der ungemessene
Beifall, den dieses Spiel fand, der ausschweifende Eiser aller Classen sür
dasselbe schildern. Hohe und Niedere, Alt und Jung, Männer wie Weiber
glühten von Leidenschaft für diese Darstellung, und zuweilen artete die Be¬
geisterung des Publicums in Raserei aus. So geschah es, daß einst zu Lu-
cians Zeit ein Tänzer den "rasenden Ajax" gab und sich dabei ganz wie ein
Rasender geberdete, einem Taktschläger die Kleider vom Leibe riß. einem
Flötenspieler die Flöte aus dem Munde nahm und damit dem sich seines
Sieges freuenden Ulysses ein Loch in den Kops schlug. Die Zuschauer ließen
sich aber auch anstecken, sprangen auf. schrien wie die Unsinnigen und warfen
ihre Kleider von sich! -- Zu Hause ahmte man Stellungen und Gesten nach,
trällerte die Melodien der Chöre, und die Gefährlichkeit der Pantomimen für
das schöne Geschlecht übersteigt noch die unserer Ballettänzerinnen Männern
von Distinction gegenüber. Aergerlich sagt.der Philosoph Seneca: "Wie
ängstlich ist man bemüht, daß ja nicht der Name irgend eines Pantomimen
untergehe! Fest begründet durch viele Nachfolger steht das Haus des Pylades
und Bathyllos; groß ist die Zahl der Schüler, groß die der Lehrer dieser
Künste. In allen Häusern der Stadt erdröhnen die Breter der Bühne; auf
ihnen drehen sich stampfend Männer und Weiber. Beide Geschlechter wett¬
eifern in der Ehre, die Pantomimen auf der Straße zu begleiten." Besonders
die letzten Worte deuteln auf den Umschlag hin, den die öffentliche Meinung
hinsichtlich des Makels, der von Alters her an den Schauspielern haftete,
bald erfuhr. Augustus ließ zwar die entehrende Strafe der Peitschung sogar
an dem Liebling des Volkes, Hylas, noch vollziehen, und Tiberius erneuerte
die alten Verbote: daß kein Senator die Häuser der Pantomimen betreten,
daß kein römischer Ritter in Begleitung derselben sich blicken lassen oder
anderswo als im Theater ihren Vorstellungen beiwohnen sollte, und daß die
Prätoren die Excesse der Claque und der Factionen mit dem Exil bestrafen


machst, und da du so gut mit den Händen reden kannst, ist dir eine andere
Sprache leicht entbehrlich." Die zweite Anekdote betrifft einen Fürsten aus einem
barbarischen Lande, der an Neros Hof gekommen war. Er sah denselben
Tänzer einige Pantomimen so deutlich ausführen, daß er alles verstand, wie-
wol ihm die Worte des Gesanges verloren gingen. Als er sich nun vom
Kaiser beurlaubte und ihm dieser sagte, er möchte sich von ihm ausbilde»,
was er wollte, es solle ihm mit Vergnügen gewährt werden, erwiderte er:
„Du würdest mich sehr glücklich machen, wenn du mir den Pantomimen
schenken wolltest." Und was willst du in deinem Lande mit ihm anfangen?
fragte Nero. „Ich habe." antwortete der Fremde, „verschiedene Nachbarn,
die eine andere Sprache reden, und es findet sich nicht immer sogleich ein
Dolmetscher; so oft ich nun einen brauche, sollte er diesen Leuten durch Ge-
berden meinen Willen erklären." — Kaum läßt sich aber auch der ungemessene
Beifall, den dieses Spiel fand, der ausschweifende Eiser aller Classen sür
dasselbe schildern. Hohe und Niedere, Alt und Jung, Männer wie Weiber
glühten von Leidenschaft für diese Darstellung, und zuweilen artete die Be¬
geisterung des Publicums in Raserei aus. So geschah es, daß einst zu Lu-
cians Zeit ein Tänzer den „rasenden Ajax" gab und sich dabei ganz wie ein
Rasender geberdete, einem Taktschläger die Kleider vom Leibe riß. einem
Flötenspieler die Flöte aus dem Munde nahm und damit dem sich seines
Sieges freuenden Ulysses ein Loch in den Kops schlug. Die Zuschauer ließen
sich aber auch anstecken, sprangen auf. schrien wie die Unsinnigen und warfen
ihre Kleider von sich! — Zu Hause ahmte man Stellungen und Gesten nach,
trällerte die Melodien der Chöre, und die Gefährlichkeit der Pantomimen für
das schöne Geschlecht übersteigt noch die unserer Ballettänzerinnen Männern
von Distinction gegenüber. Aergerlich sagt.der Philosoph Seneca: „Wie
ängstlich ist man bemüht, daß ja nicht der Name irgend eines Pantomimen
untergehe! Fest begründet durch viele Nachfolger steht das Haus des Pylades
und Bathyllos; groß ist die Zahl der Schüler, groß die der Lehrer dieser
Künste. In allen Häusern der Stadt erdröhnen die Breter der Bühne; auf
ihnen drehen sich stampfend Männer und Weiber. Beide Geschlechter wett¬
eifern in der Ehre, die Pantomimen auf der Straße zu begleiten." Besonders
die letzten Worte deuteln auf den Umschlag hin, den die öffentliche Meinung
hinsichtlich des Makels, der von Alters her an den Schauspielern haftete,
bald erfuhr. Augustus ließ zwar die entehrende Strafe der Peitschung sogar
an dem Liebling des Volkes, Hylas, noch vollziehen, und Tiberius erneuerte
die alten Verbote: daß kein Senator die Häuser der Pantomimen betreten,
daß kein römischer Ritter in Begleitung derselben sich blicken lassen oder
anderswo als im Theater ihren Vorstellungen beiwohnen sollte, und daß die
Prätoren die Excesse der Claque und der Factionen mit dem Exil bestrafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/522>, abgerufen am 26.07.2024.