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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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meinte erst in neuester Zeit "zu der Erlaubniß gebracht, einen Thurm bauen
zu dürfen. Sie ist sofort an den Bau gegangen und jetzt überragt ein schlan¬
ker Spitzthurm die birnenförmige Thurmkuppel, welche so lange als Zeugniß
der bevorzugten katholischen Minorität dem protestantischen Kirchlein Legen¬
überstand.

Alle diese Kennzeichen auflebenden protestantischen Geistes stehen mit dem
zunehmenden Eiser auf der entgegengesetzten Seite in nahe liegendem Zusam¬
menhang und mögen zum Theil als Früchte des unbeliebtesten Dinges gelten,
welches es innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle gibt: des Cvncordats.

Weit rühriger aber doch ist man katholischer Seits; mau wird nicht
müde im Abhalten von Missionen, im Stiften von Vereinen, im Wallfahrten-
anordnen, im Errichten von Marienstatuen, in kleinen Preßscharmntzeln.

Große gelbe Kreuze mit goldener Inschrift: Misjion von 1856 oder
1857 oder 1858 begrüßen auf Weg und Steg den Wanderer, der nach stei¬
nscher Alpenluft verlangt, und verkünden, daß Jesuitenmissionen dort abgehal¬
ten wurden. Armenvereine der Frauen, Aloysiusvereine der Männer sollen der
einreihenden Lauheit im Gebet und dem Geschmack für einen kräftigen Trunk
nach oder gar statt des Kirchgangs entgegenarbeiten. Die Frauen "vom guten
Hirten" wirken in ihrer Weise gegen den unkirchlichen Sinn junger oder schon
gefallner Mädchen. In Anger gibt es eine ihrer Anstalten, deren Seelenzahl
schon auf 800 gestiegen ist. Mit den Gefallnen verkehrt in Bezug auf ihre
begangenen Fehltritte nur ein Mann, ein unverheiratheter. der Beichtvater.
Der Paulus-, der Bonifaciusverein gebieten über ansehnliche Mittel und rüh¬
rige Kräfte.

Was die Wallfahrten betrifft, so ist Steiermark bekanntlich in dieser Rich¬
tung besonders reichlich bedacht. Im Jahre 1857 war es Mariazell, welches
eine ganze Legion Pilger in Bewegung setzte. 1858 ist Maria Straßengel
wegen seines 700jährigen Jubiläums und des damit verbundenen vollständi¬
gen Ablasses vorzugsweise besucht worden. Der "Oestreichische Volksfreund"
zählt nicht weniger als 200,000 Wallfahrer. Dieses Kirchlein zu Maria
Straßengel, dem ein naturwüchsiges Tannencrueifix seine Hauptbedeutung gab,
wurde unter Josephs Negierung im Jahr 1788 abgebrochen, "wegen Wall-
sahrtaberglauben", wie es damals hieß. Mariazell wurde im Jahr 1858
trotz jener nach Straßenget gewanderter 200,000, noch von etwa 60,000
Pilgern besucht.

Im Allgemeinen thun die mitziehenden Geistlichen, von denen die Wall¬
fahrten angeregt werden, das Mögliche, um Zucht und Ordnung zu halten,
und man muß es ihrem Einflüsse namentlrch danken, daß trotz der sonst weit¬
verbreiteten Sonntagsräusche sogar die Heimkehrenden nnr in wenigen Aus-
nahmsfällen ihrem Durste zu viel nachgeben. Dies ist immer ein beachtens-


meinte erst in neuester Zeit «zu der Erlaubniß gebracht, einen Thurm bauen
zu dürfen. Sie ist sofort an den Bau gegangen und jetzt überragt ein schlan¬
ker Spitzthurm die birnenförmige Thurmkuppel, welche so lange als Zeugniß
der bevorzugten katholischen Minorität dem protestantischen Kirchlein Legen¬
überstand.

Alle diese Kennzeichen auflebenden protestantischen Geistes stehen mit dem
zunehmenden Eiser auf der entgegengesetzten Seite in nahe liegendem Zusam¬
menhang und mögen zum Theil als Früchte des unbeliebtesten Dinges gelten,
welches es innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle gibt: des Cvncordats.

Weit rühriger aber doch ist man katholischer Seits; mau wird nicht
müde im Abhalten von Missionen, im Stiften von Vereinen, im Wallfahrten-
anordnen, im Errichten von Marienstatuen, in kleinen Preßscharmntzeln.

Große gelbe Kreuze mit goldener Inschrift: Misjion von 1856 oder
1857 oder 1858 begrüßen auf Weg und Steg den Wanderer, der nach stei¬
nscher Alpenluft verlangt, und verkünden, daß Jesuitenmissionen dort abgehal¬
ten wurden. Armenvereine der Frauen, Aloysiusvereine der Männer sollen der
einreihenden Lauheit im Gebet und dem Geschmack für einen kräftigen Trunk
nach oder gar statt des Kirchgangs entgegenarbeiten. Die Frauen „vom guten
Hirten" wirken in ihrer Weise gegen den unkirchlichen Sinn junger oder schon
gefallner Mädchen. In Anger gibt es eine ihrer Anstalten, deren Seelenzahl
schon auf 800 gestiegen ist. Mit den Gefallnen verkehrt in Bezug auf ihre
begangenen Fehltritte nur ein Mann, ein unverheiratheter. der Beichtvater.
Der Paulus-, der Bonifaciusverein gebieten über ansehnliche Mittel und rüh¬
rige Kräfte.

Was die Wallfahrten betrifft, so ist Steiermark bekanntlich in dieser Rich¬
tung besonders reichlich bedacht. Im Jahre 1857 war es Mariazell, welches
eine ganze Legion Pilger in Bewegung setzte. 1858 ist Maria Straßengel
wegen seines 700jährigen Jubiläums und des damit verbundenen vollständi¬
gen Ablasses vorzugsweise besucht worden. Der „Oestreichische Volksfreund"
zählt nicht weniger als 200,000 Wallfahrer. Dieses Kirchlein zu Maria
Straßengel, dem ein naturwüchsiges Tannencrueifix seine Hauptbedeutung gab,
wurde unter Josephs Negierung im Jahr 1788 abgebrochen, „wegen Wall-
sahrtaberglauben", wie es damals hieß. Mariazell wurde im Jahr 1858
trotz jener nach Straßenget gewanderter 200,000, noch von etwa 60,000
Pilgern besucht.

Im Allgemeinen thun die mitziehenden Geistlichen, von denen die Wall¬
fahrten angeregt werden, das Mögliche, um Zucht und Ordnung zu halten,
und man muß es ihrem Einflüsse namentlrch danken, daß trotz der sonst weit¬
verbreiteten Sonntagsräusche sogar die Heimkehrenden nnr in wenigen Aus-
nahmsfällen ihrem Durste zu viel nachgeben. Dies ist immer ein beachtens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/512>, abgerufen am 06.02.2025.