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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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und demgemäß werden in Gratz von Dr. Eduard Trümmer in dortiger theo¬
logischer Lehranstalt Vorträge über Mcthaphysik gehalten. Man weiß bei
alledem, daß die von der Naturwissenschaft revidirte Geschichte von Erschaf¬
fung der Welt bestimmte Lehren in Frage stellt, von welchen nun und nimmer
abgewichen werden kann, daß nach dieser Seite hin erst ganz kürzlich ableh¬
nende Verfügungen getroffen sind, und daß somit an eine Annäherung zwi¬
schen Dogma und Forschung nicht zu denken ist. Je mehr daher die Wissen¬
schaft in die Massen dringt, um so mehr tritt die Versteinerung auf der
andern Seite zu Tage.

Es kann nicht fehlen, daß bei so bewandten Umständen die Entwickelung
des Volksgeistes in den verschiedenen Kronlündcrn eine sehr verschiedene sein
muß. Ungarn mit seinen 2,500,000 Protestanten, Siebenbürgen mit nahe an
600,000 Evangelischen werden eine andere Straße gehen als z. B. Salzburg,
das erst im vorigen Jahrhundert Wohlstand und Fleiß in der Emigration
der 70,000 Protestanten über die Grenze trieb, oder Steiermark, das schon im
16. Jahrhundert alles nichtkatholische aus dem Lande jagte.

Das letztre Land ist für uns im Norden nach dieser Beziehung hin
von besonderem Interesse. Ganz Steiermark stand einmal auf dem Punkte,
dem Protestantismus gewonnen zu werden. Ueber die Hälfte des Bürger¬
standes, ein großer Theil der Bauern und so ziemlich der ganze angesehenere
Adel war protestantisch gesinnt. Auf dem augsburger Reichstage im Jahr
1547 forderte der Landeshauptmann, Freiherr Johann Ungnad selbst freie
Religionsübung. und unter dem Druck der türkischen Grenzcinfälle-in den Jah¬
ren 1575 und 1578 wurde das Zugeständnis; wirklich erreicht. Schon früher,
etwa seit 1530, hatte die Reformation in Steiermark ihren Anfang genommen.
Allmälig waren 73 ländliche Gemeinden dem Latein abtrünnig geworden und
celebrirteu das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Auf allen Schlössern der
Landstände gab es protestantische Schulen und Seelsorgcstationen. Es ist be¬
kannt genug, wie bald dieser neue Geist gebändigt wurde. Der jugendliche
Ferdinand, durch Jesuiten dazu angefeuert, nahm den Toleranzbrief seines
Vaters zurück; am 23. September 1598 beraubte man die Gemeinden
ihrer Prediger, bald darauf verbrannte man 40,000 Bücher protestan¬
tischen Inhalts, und nicht viel später zwang man 30,000 Steirer. welche
nicht wieder dem Papst huldigen wollten, Hab und Gut zu verkaufen, den
zehnten Theil daheim zu lassen und mit dem Nest sich eine neue Heimath
zu suchen.

Im Ganzen hat solcher Art der Protestantismus in Steiermark etwa
hundert Jahre lang bestanden, und da ein weit größrer Theil, als die Zahl
der Ausgewanderten beträgt, zum Katholicismus zurückkehrte, so ist eine be¬
trächtliche Menge ketzerischer Samenkörner am Wege liegen geblieben.


und demgemäß werden in Gratz von Dr. Eduard Trümmer in dortiger theo¬
logischer Lehranstalt Vorträge über Mcthaphysik gehalten. Man weiß bei
alledem, daß die von der Naturwissenschaft revidirte Geschichte von Erschaf¬
fung der Welt bestimmte Lehren in Frage stellt, von welchen nun und nimmer
abgewichen werden kann, daß nach dieser Seite hin erst ganz kürzlich ableh¬
nende Verfügungen getroffen sind, und daß somit an eine Annäherung zwi¬
schen Dogma und Forschung nicht zu denken ist. Je mehr daher die Wissen¬
schaft in die Massen dringt, um so mehr tritt die Versteinerung auf der
andern Seite zu Tage.

Es kann nicht fehlen, daß bei so bewandten Umständen die Entwickelung
des Volksgeistes in den verschiedenen Kronlündcrn eine sehr verschiedene sein
muß. Ungarn mit seinen 2,500,000 Protestanten, Siebenbürgen mit nahe an
600,000 Evangelischen werden eine andere Straße gehen als z. B. Salzburg,
das erst im vorigen Jahrhundert Wohlstand und Fleiß in der Emigration
der 70,000 Protestanten über die Grenze trieb, oder Steiermark, das schon im
16. Jahrhundert alles nichtkatholische aus dem Lande jagte.

Das letztre Land ist für uns im Norden nach dieser Beziehung hin
von besonderem Interesse. Ganz Steiermark stand einmal auf dem Punkte,
dem Protestantismus gewonnen zu werden. Ueber die Hälfte des Bürger¬
standes, ein großer Theil der Bauern und so ziemlich der ganze angesehenere
Adel war protestantisch gesinnt. Auf dem augsburger Reichstage im Jahr
1547 forderte der Landeshauptmann, Freiherr Johann Ungnad selbst freie
Religionsübung. und unter dem Druck der türkischen Grenzcinfälle-in den Jah¬
ren 1575 und 1578 wurde das Zugeständnis; wirklich erreicht. Schon früher,
etwa seit 1530, hatte die Reformation in Steiermark ihren Anfang genommen.
Allmälig waren 73 ländliche Gemeinden dem Latein abtrünnig geworden und
celebrirteu das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Auf allen Schlössern der
Landstände gab es protestantische Schulen und Seelsorgcstationen. Es ist be¬
kannt genug, wie bald dieser neue Geist gebändigt wurde. Der jugendliche
Ferdinand, durch Jesuiten dazu angefeuert, nahm den Toleranzbrief seines
Vaters zurück; am 23. September 1598 beraubte man die Gemeinden
ihrer Prediger, bald darauf verbrannte man 40,000 Bücher protestan¬
tischen Inhalts, und nicht viel später zwang man 30,000 Steirer. welche
nicht wieder dem Papst huldigen wollten, Hab und Gut zu verkaufen, den
zehnten Theil daheim zu lassen und mit dem Nest sich eine neue Heimath
zu suchen.

Im Ganzen hat solcher Art der Protestantismus in Steiermark etwa
hundert Jahre lang bestanden, und da ein weit größrer Theil, als die Zahl
der Ausgewanderten beträgt, zum Katholicismus zurückkehrte, so ist eine be¬
trächtliche Menge ketzerischer Samenkörner am Wege liegen geblieben.


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[0510] und demgemäß werden in Gratz von Dr. Eduard Trümmer in dortiger theo¬ logischer Lehranstalt Vorträge über Mcthaphysik gehalten. Man weiß bei alledem, daß die von der Naturwissenschaft revidirte Geschichte von Erschaf¬ fung der Welt bestimmte Lehren in Frage stellt, von welchen nun und nimmer abgewichen werden kann, daß nach dieser Seite hin erst ganz kürzlich ableh¬ nende Verfügungen getroffen sind, und daß somit an eine Annäherung zwi¬ schen Dogma und Forschung nicht zu denken ist. Je mehr daher die Wissen¬ schaft in die Massen dringt, um so mehr tritt die Versteinerung auf der andern Seite zu Tage. Es kann nicht fehlen, daß bei so bewandten Umständen die Entwickelung des Volksgeistes in den verschiedenen Kronlündcrn eine sehr verschiedene sein muß. Ungarn mit seinen 2,500,000 Protestanten, Siebenbürgen mit nahe an 600,000 Evangelischen werden eine andere Straße gehen als z. B. Salzburg, das erst im vorigen Jahrhundert Wohlstand und Fleiß in der Emigration der 70,000 Protestanten über die Grenze trieb, oder Steiermark, das schon im 16. Jahrhundert alles nichtkatholische aus dem Lande jagte. Das letztre Land ist für uns im Norden nach dieser Beziehung hin von besonderem Interesse. Ganz Steiermark stand einmal auf dem Punkte, dem Protestantismus gewonnen zu werden. Ueber die Hälfte des Bürger¬ standes, ein großer Theil der Bauern und so ziemlich der ganze angesehenere Adel war protestantisch gesinnt. Auf dem augsburger Reichstage im Jahr 1547 forderte der Landeshauptmann, Freiherr Johann Ungnad selbst freie Religionsübung. und unter dem Druck der türkischen Grenzcinfälle-in den Jah¬ ren 1575 und 1578 wurde das Zugeständnis; wirklich erreicht. Schon früher, etwa seit 1530, hatte die Reformation in Steiermark ihren Anfang genommen. Allmälig waren 73 ländliche Gemeinden dem Latein abtrünnig geworden und celebrirteu das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Auf allen Schlössern der Landstände gab es protestantische Schulen und Seelsorgcstationen. Es ist be¬ kannt genug, wie bald dieser neue Geist gebändigt wurde. Der jugendliche Ferdinand, durch Jesuiten dazu angefeuert, nahm den Toleranzbrief seines Vaters zurück; am 23. September 1598 beraubte man die Gemeinden ihrer Prediger, bald darauf verbrannte man 40,000 Bücher protestan¬ tischen Inhalts, und nicht viel später zwang man 30,000 Steirer. welche nicht wieder dem Papst huldigen wollten, Hab und Gut zu verkaufen, den zehnten Theil daheim zu lassen und mit dem Nest sich eine neue Heimath zu suchen. Im Ganzen hat solcher Art der Protestantismus in Steiermark etwa hundert Jahre lang bestanden, und da ein weit größrer Theil, als die Zahl der Ausgewanderten beträgt, zum Katholicismus zurückkehrte, so ist eine be¬ trächtliche Menge ketzerischer Samenkörner am Wege liegen geblieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/510>, abgerufen am 26.07.2024.