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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Romantiker, der Albumsreisenden, der Kunstenthusiasten (2 B, S. 351). Ja er
verspürt bei sich Anwandlungen, in denen er eine lustige Findet in einer deut¬
schen Sonntagsschenke, oder eine Gartenmusik inmitten fröhlicher, behaglich
sonntagstrinkender Menschen dem Wege nach der Pyramide des Cestius und
seinen melancholischen Rohrpflanzungen an den Seiten unbedingt vorzuziehn
sich geneigt findet. "Mögen die Romantiker Ah xur saug- diese Anwand¬
lungen Nicolaitisch finden -- immerhin" (2 B. S. 253). Wir hoffen, daß das
Geschlecht dieser Romantiker nachgrade aussterben dürfte. Mit einer warmen
Sympathie für den italienischen Nationnlcharaktcr und einer fast zärtlichen
Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Volks verbindet sich bei Stahr
ein leidenschaftlicher Haß gegen seine Unterdrücker, gegen den Despotismus
und das Priesterregiment. Zu seiner Stimmung paßten Silvio Pelileo und
Byron, wie zu der des classischen Idealismus Horaz, Properz und Ovid,
zu der der romantischen Periode die Dichter des Cinquecento. Jeder¬
mann, der die verfaulten Zustände des Kirchenstaats, die asiatische Wirthschaft
im Königreich Neapel kennt, wird mit dein Verfasser im Ganzen überein¬
stimmen, und selbst wenn die Gegenwart leidlich wäre, so käme man nicht
zum ungetrübten Genuß dieser bunten Bilder, weil eine noch nicht fern lie¬
gende furchtbare Vergangenheit ihre schwarzen Schatten darein wirft. Doch
läßt sich Stahr zuweilen etwas zu sehr von seiner unbedingten Antipathie
gegen den Katholicismus hinreißen, dem es auch im gegenwärtigen Italien
nicht blos an guten Intentionen, sondern auch an guten Wirkungen keines¬
wegs fehlt, und ist zu geneigt, Uebelstände auf die Rechnung des Pfaffen-
thums zu setzen, an denen es unseres Erachtens unschuldig ist. Z. B. "Es
hat etwas Niederschlagendes, wenn alles um uns her bei dem unbedeutendsten
Dienste, nach jeder Frage, die man an sie richtet, mit der Antwort zugleich
schon die Hand entgegenstreckt. Ich finde die Hauptquelle dieses traurigen
Charakterzuges in der Religion des Volks. Da ihr Gott, ihre Madonnen,
ihre Heiligen sie durch ihre Pfaffen und Mönche täglich in Kontribution setzen,
sich jede Hilfe und jeden Dienst schon vor der Leistung direct und indirect be¬
zahlen lassen, warum sollten die Menschen es nicht ebenso machen?" (1 B. S. 306).
Die einfache Erwägung, daß diese Habsucht sich einerseits in den unbesuchten
Theilen Italiens so gut wie gar nicht, andererseits aber in allen vielbesuchten
Ländern kundgibt, wo es kein Psaffenthum gibt, wie in Aegypten, zeigt, wie
unrichtig diese Herleitung ist.

Eine Uebersicht, wie die hier versuchte, hinterläßt einen trüben Eindruck:
denn als Gesnmmteindruck ergibt sich aus diesen seit einem Jahrhundert fort¬
gesetzten Beschreibungen, daß sich die trostlosen Zustände des Landes in dieser
Zeit wenig verbessert, in mancher Hinsicht verschlechtert haben, im Wesent¬
lichen aber unverändert geblieben sind. Die Hoffnungen auf eine Wicderaus-


Romantiker, der Albumsreisenden, der Kunstenthusiasten (2 B, S. 351). Ja er
verspürt bei sich Anwandlungen, in denen er eine lustige Findet in einer deut¬
schen Sonntagsschenke, oder eine Gartenmusik inmitten fröhlicher, behaglich
sonntagstrinkender Menschen dem Wege nach der Pyramide des Cestius und
seinen melancholischen Rohrpflanzungen an den Seiten unbedingt vorzuziehn
sich geneigt findet. „Mögen die Romantiker Ah xur saug- diese Anwand¬
lungen Nicolaitisch finden — immerhin" (2 B. S. 253). Wir hoffen, daß das
Geschlecht dieser Romantiker nachgrade aussterben dürfte. Mit einer warmen
Sympathie für den italienischen Nationnlcharaktcr und einer fast zärtlichen
Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Volks verbindet sich bei Stahr
ein leidenschaftlicher Haß gegen seine Unterdrücker, gegen den Despotismus
und das Priesterregiment. Zu seiner Stimmung paßten Silvio Pelileo und
Byron, wie zu der des classischen Idealismus Horaz, Properz und Ovid,
zu der der romantischen Periode die Dichter des Cinquecento. Jeder¬
mann, der die verfaulten Zustände des Kirchenstaats, die asiatische Wirthschaft
im Königreich Neapel kennt, wird mit dein Verfasser im Ganzen überein¬
stimmen, und selbst wenn die Gegenwart leidlich wäre, so käme man nicht
zum ungetrübten Genuß dieser bunten Bilder, weil eine noch nicht fern lie¬
gende furchtbare Vergangenheit ihre schwarzen Schatten darein wirft. Doch
läßt sich Stahr zuweilen etwas zu sehr von seiner unbedingten Antipathie
gegen den Katholicismus hinreißen, dem es auch im gegenwärtigen Italien
nicht blos an guten Intentionen, sondern auch an guten Wirkungen keines¬
wegs fehlt, und ist zu geneigt, Uebelstände auf die Rechnung des Pfaffen-
thums zu setzen, an denen es unseres Erachtens unschuldig ist. Z. B. „Es
hat etwas Niederschlagendes, wenn alles um uns her bei dem unbedeutendsten
Dienste, nach jeder Frage, die man an sie richtet, mit der Antwort zugleich
schon die Hand entgegenstreckt. Ich finde die Hauptquelle dieses traurigen
Charakterzuges in der Religion des Volks. Da ihr Gott, ihre Madonnen,
ihre Heiligen sie durch ihre Pfaffen und Mönche täglich in Kontribution setzen,
sich jede Hilfe und jeden Dienst schon vor der Leistung direct und indirect be¬
zahlen lassen, warum sollten die Menschen es nicht ebenso machen?" (1 B. S. 306).
Die einfache Erwägung, daß diese Habsucht sich einerseits in den unbesuchten
Theilen Italiens so gut wie gar nicht, andererseits aber in allen vielbesuchten
Ländern kundgibt, wo es kein Psaffenthum gibt, wie in Aegypten, zeigt, wie
unrichtig diese Herleitung ist.

Eine Uebersicht, wie die hier versuchte, hinterläßt einen trüben Eindruck:
denn als Gesnmmteindruck ergibt sich aus diesen seit einem Jahrhundert fort¬
gesetzten Beschreibungen, daß sich die trostlosen Zustände des Landes in dieser
Zeit wenig verbessert, in mancher Hinsicht verschlechtert haben, im Wesent¬
lichen aber unverändert geblieben sind. Die Hoffnungen auf eine Wicderaus-


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[0508] Romantiker, der Albumsreisenden, der Kunstenthusiasten (2 B, S. 351). Ja er verspürt bei sich Anwandlungen, in denen er eine lustige Findet in einer deut¬ schen Sonntagsschenke, oder eine Gartenmusik inmitten fröhlicher, behaglich sonntagstrinkender Menschen dem Wege nach der Pyramide des Cestius und seinen melancholischen Rohrpflanzungen an den Seiten unbedingt vorzuziehn sich geneigt findet. „Mögen die Romantiker Ah xur saug- diese Anwand¬ lungen Nicolaitisch finden — immerhin" (2 B. S. 253). Wir hoffen, daß das Geschlecht dieser Romantiker nachgrade aussterben dürfte. Mit einer warmen Sympathie für den italienischen Nationnlcharaktcr und einer fast zärtlichen Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Volks verbindet sich bei Stahr ein leidenschaftlicher Haß gegen seine Unterdrücker, gegen den Despotismus und das Priesterregiment. Zu seiner Stimmung paßten Silvio Pelileo und Byron, wie zu der des classischen Idealismus Horaz, Properz und Ovid, zu der der romantischen Periode die Dichter des Cinquecento. Jeder¬ mann, der die verfaulten Zustände des Kirchenstaats, die asiatische Wirthschaft im Königreich Neapel kennt, wird mit dein Verfasser im Ganzen überein¬ stimmen, und selbst wenn die Gegenwart leidlich wäre, so käme man nicht zum ungetrübten Genuß dieser bunten Bilder, weil eine noch nicht fern lie¬ gende furchtbare Vergangenheit ihre schwarzen Schatten darein wirft. Doch läßt sich Stahr zuweilen etwas zu sehr von seiner unbedingten Antipathie gegen den Katholicismus hinreißen, dem es auch im gegenwärtigen Italien nicht blos an guten Intentionen, sondern auch an guten Wirkungen keines¬ wegs fehlt, und ist zu geneigt, Uebelstände auf die Rechnung des Pfaffen- thums zu setzen, an denen es unseres Erachtens unschuldig ist. Z. B. „Es hat etwas Niederschlagendes, wenn alles um uns her bei dem unbedeutendsten Dienste, nach jeder Frage, die man an sie richtet, mit der Antwort zugleich schon die Hand entgegenstreckt. Ich finde die Hauptquelle dieses traurigen Charakterzuges in der Religion des Volks. Da ihr Gott, ihre Madonnen, ihre Heiligen sie durch ihre Pfaffen und Mönche täglich in Kontribution setzen, sich jede Hilfe und jeden Dienst schon vor der Leistung direct und indirect be¬ zahlen lassen, warum sollten die Menschen es nicht ebenso machen?" (1 B. S. 306). Die einfache Erwägung, daß diese Habsucht sich einerseits in den unbesuchten Theilen Italiens so gut wie gar nicht, andererseits aber in allen vielbesuchten Ländern kundgibt, wo es kein Psaffenthum gibt, wie in Aegypten, zeigt, wie unrichtig diese Herleitung ist. Eine Uebersicht, wie die hier versuchte, hinterläßt einen trüben Eindruck: denn als Gesnmmteindruck ergibt sich aus diesen seit einem Jahrhundert fort¬ gesetzten Beschreibungen, daß sich die trostlosen Zustände des Landes in dieser Zeit wenig verbessert, in mancher Hinsicht verschlechtert haben, im Wesent¬ lichen aber unverändert geblieben sind. Die Hoffnungen auf eine Wicderaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/508>, abgerufen am 05.07.2024.