Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Theil mehr zumuten, als er halten kann. Das preußische Ministerium han¬
delte 1852 in Abhängigreit von Oestreich, welches die Schleswig-holsteinische
Sache im EinVerständniß mit dem ihm damals befreundeten Rußland nach
Analogie der östreichischen Staatsverhältnisse und im Geiste der deutschen
Reaction ordnete, die in den Herzogtümern nicht einmal den ses-tus puo
:rude anzuerkennen geneigt war. Wie diese Reaction über Schleswig-Holstein
dachte, zeigt Beseler an den Worten eines ihrer bekannteren Vertreter, die
wir -- ihre Genauigkeit, an der wir zweifeln möchten, vorausgesetzt -- als
charakteristisch mittheilen.

"Im Jahr 1853 bemühten sich zwei Schleswig-Holsteiner bei den deut¬
schen Regierungen, für viele ihrer Berufsgenossen eine Verbesserung der trau¬
rigen Lage derselben zu bewirken. Am 23. Mai empfing sie der königlich
baierische Ministerpräsident Freiherr von der Pfordten und erwiderte auf ihre
Anträge: die deutschen Regierungen haben die Sache der Herzogtümer nicht
richtig aufgefaßt, und durch ihre Unterstützung ist ihre Lage verschlimmert
worden. Sie sind verleitet und aufgeregt durch Advocaten und Professoren.
Als ihm hierauf das Erforderliche gesagt war, sprach er weiter: Einerlei, die
Herzogtümer sind dänische Provinzen, und wenn ich holsteinischer Minister
wäre, würde ich das Land danisiren, selbst wenn eine Völkerwanderung dar¬
aus entstände. Es ist die Politik der Nothwendigkeit, welche hier befolgt
werden muß. Rußland will es, und so muß es geschehen."

Die frühern Ansichten und Thaten des Freiherrn von der Pfordten stim¬
men damit nicht überein. Wir kommen auf sie und anderes im Lebensgange
des Betreffenden vielleicht später einmal zu sprechen. Hier kam es nicht auf
die Person, sondern nur darauf an, die Reaction über Schleswig-Holstein
sich äußern zu hören; denn wenn wir auch mit Beseler glauben dürfen,
daß die wunderbare Unbefangenheit in den angeführten Aeußerungen nach
Form wie nach Inhalt das Eigenthum des Herrn von der Pfordten sein
konnte, so wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß sie nur ein potenzirter
Ausdruck der Stimmung der damals in Deutschland maßgebenden Kreise war.

So wurde es möglich, daß Dänemark seinen Willen durchsetzte. Ihm
wurden die Herzogtümer zu Füßen gelegt, und fast ein Wunder war es,
daß es sich zu dem Versprechen herbeiließ, das Herzogtum Schleswig nicht
dem Königreich einzuverleiben. Seitdem hat sich aber in immer weiter"
Kreisen die Ansicht Geltung verschafft, daß man damals in Schleswig-Holstein
nicht blos wichtige Interessen ohne Noth geopfert, sondern auch die Ehre
Deutschlands aus den Augen verloren habe. Dieses drückende Bewußtsein
Wird das, deutsche Volk nur so lange nicht zu Wandel schaffender That werden
lassen, als dasselbe sich noch nicht in der Lage befindet, sein Interesse zu ver¬
treten und sich Genugthuung zu verschaffen. "Kein Unbefangener wird es


Theil mehr zumuten, als er halten kann. Das preußische Ministerium han¬
delte 1852 in Abhängigreit von Oestreich, welches die Schleswig-holsteinische
Sache im EinVerständniß mit dem ihm damals befreundeten Rußland nach
Analogie der östreichischen Staatsverhältnisse und im Geiste der deutschen
Reaction ordnete, die in den Herzogtümern nicht einmal den ses-tus puo
:rude anzuerkennen geneigt war. Wie diese Reaction über Schleswig-Holstein
dachte, zeigt Beseler an den Worten eines ihrer bekannteren Vertreter, die
wir — ihre Genauigkeit, an der wir zweifeln möchten, vorausgesetzt — als
charakteristisch mittheilen.

»Im Jahr 1853 bemühten sich zwei Schleswig-Holsteiner bei den deut¬
schen Regierungen, für viele ihrer Berufsgenossen eine Verbesserung der trau¬
rigen Lage derselben zu bewirken. Am 23. Mai empfing sie der königlich
baierische Ministerpräsident Freiherr von der Pfordten und erwiderte auf ihre
Anträge: die deutschen Regierungen haben die Sache der Herzogtümer nicht
richtig aufgefaßt, und durch ihre Unterstützung ist ihre Lage verschlimmert
worden. Sie sind verleitet und aufgeregt durch Advocaten und Professoren.
Als ihm hierauf das Erforderliche gesagt war, sprach er weiter: Einerlei, die
Herzogtümer sind dänische Provinzen, und wenn ich holsteinischer Minister
wäre, würde ich das Land danisiren, selbst wenn eine Völkerwanderung dar¬
aus entstände. Es ist die Politik der Nothwendigkeit, welche hier befolgt
werden muß. Rußland will es, und so muß es geschehen."

Die frühern Ansichten und Thaten des Freiherrn von der Pfordten stim¬
men damit nicht überein. Wir kommen auf sie und anderes im Lebensgange
des Betreffenden vielleicht später einmal zu sprechen. Hier kam es nicht auf
die Person, sondern nur darauf an, die Reaction über Schleswig-Holstein
sich äußern zu hören; denn wenn wir auch mit Beseler glauben dürfen,
daß die wunderbare Unbefangenheit in den angeführten Aeußerungen nach
Form wie nach Inhalt das Eigenthum des Herrn von der Pfordten sein
konnte, so wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß sie nur ein potenzirter
Ausdruck der Stimmung der damals in Deutschland maßgebenden Kreise war.

So wurde es möglich, daß Dänemark seinen Willen durchsetzte. Ihm
wurden die Herzogtümer zu Füßen gelegt, und fast ein Wunder war es,
daß es sich zu dem Versprechen herbeiließ, das Herzogtum Schleswig nicht
dem Königreich einzuverleiben. Seitdem hat sich aber in immer weiter»
Kreisen die Ansicht Geltung verschafft, daß man damals in Schleswig-Holstein
nicht blos wichtige Interessen ohne Noth geopfert, sondern auch die Ehre
Deutschlands aus den Augen verloren habe. Dieses drückende Bewußtsein
Wird das, deutsche Volk nur so lange nicht zu Wandel schaffender That werden
lassen, als dasselbe sich noch nicht in der Lage befindet, sein Interesse zu ver¬
treten und sich Genugthuung zu verschaffen. „Kein Unbefangener wird es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266303"/>
          <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406"> Theil mehr zumuten, als er halten kann. Das preußische Ministerium han¬<lb/>
delte 1852 in Abhängigreit von Oestreich, welches die Schleswig-holsteinische<lb/>
Sache im EinVerständniß mit dem ihm damals befreundeten Rußland nach<lb/>
Analogie der östreichischen Staatsverhältnisse und im Geiste der deutschen<lb/>
Reaction ordnete, die in den Herzogtümern nicht einmal den ses-tus puo<lb/>
:rude anzuerkennen geneigt war. Wie diese Reaction über Schleswig-Holstein<lb/>
dachte, zeigt Beseler an den Worten eines ihrer bekannteren Vertreter, die<lb/>
wir &#x2014; ihre Genauigkeit, an der wir zweifeln möchten, vorausgesetzt &#x2014; als<lb/>
charakteristisch mittheilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1408"> »Im Jahr 1853 bemühten sich zwei Schleswig-Holsteiner bei den deut¬<lb/>
schen Regierungen, für viele ihrer Berufsgenossen eine Verbesserung der trau¬<lb/>
rigen Lage derselben zu bewirken. Am 23. Mai empfing sie der königlich<lb/>
baierische Ministerpräsident Freiherr von der Pfordten und erwiderte auf ihre<lb/>
Anträge: die deutschen Regierungen haben die Sache der Herzogtümer nicht<lb/>
richtig aufgefaßt, und durch ihre Unterstützung ist ihre Lage verschlimmert<lb/>
worden. Sie sind verleitet und aufgeregt durch Advocaten und Professoren.<lb/>
Als ihm hierauf das Erforderliche gesagt war, sprach er weiter: Einerlei, die<lb/>
Herzogtümer sind dänische Provinzen, und wenn ich holsteinischer Minister<lb/>
wäre, würde ich das Land danisiren, selbst wenn eine Völkerwanderung dar¬<lb/>
aus entstände. Es ist die Politik der Nothwendigkeit, welche hier befolgt<lb/>
werden muß.  Rußland will es, und so muß es geschehen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1409"> Die frühern Ansichten und Thaten des Freiherrn von der Pfordten stim¬<lb/>
men damit nicht überein. Wir kommen auf sie und anderes im Lebensgange<lb/>
des Betreffenden vielleicht später einmal zu sprechen. Hier kam es nicht auf<lb/>
die Person, sondern nur darauf an, die Reaction über Schleswig-Holstein<lb/>
sich äußern zu hören; denn wenn wir auch mit Beseler glauben dürfen,<lb/>
daß die wunderbare Unbefangenheit in den angeführten Aeußerungen nach<lb/>
Form wie nach Inhalt das Eigenthum des Herrn von der Pfordten sein<lb/>
konnte, so wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß sie nur ein potenzirter<lb/>
Ausdruck der Stimmung der damals in Deutschland maßgebenden Kreise war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> So wurde es möglich, daß Dänemark seinen Willen durchsetzte. Ihm<lb/>
wurden die Herzogtümer zu Füßen gelegt, und fast ein Wunder war es,<lb/>
daß es sich zu dem Versprechen herbeiließ, das Herzogtum Schleswig nicht<lb/>
dem Königreich einzuverleiben. Seitdem hat sich aber in immer weiter»<lb/>
Kreisen die Ansicht Geltung verschafft, daß man damals in Schleswig-Holstein<lb/>
nicht blos wichtige Interessen ohne Noth geopfert, sondern auch die Ehre<lb/>
Deutschlands aus den Augen verloren habe. Dieses drückende Bewußtsein<lb/>
Wird das, deutsche Volk nur so lange nicht zu Wandel schaffender That werden<lb/>
lassen, als dasselbe sich noch nicht in der Lage befindet, sein Interesse zu ver¬<lb/>
treten und sich Genugthuung zu verschaffen.  &#x201E;Kein Unbefangener wird es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] Theil mehr zumuten, als er halten kann. Das preußische Ministerium han¬ delte 1852 in Abhängigreit von Oestreich, welches die Schleswig-holsteinische Sache im EinVerständniß mit dem ihm damals befreundeten Rußland nach Analogie der östreichischen Staatsverhältnisse und im Geiste der deutschen Reaction ordnete, die in den Herzogtümern nicht einmal den ses-tus puo :rude anzuerkennen geneigt war. Wie diese Reaction über Schleswig-Holstein dachte, zeigt Beseler an den Worten eines ihrer bekannteren Vertreter, die wir — ihre Genauigkeit, an der wir zweifeln möchten, vorausgesetzt — als charakteristisch mittheilen. »Im Jahr 1853 bemühten sich zwei Schleswig-Holsteiner bei den deut¬ schen Regierungen, für viele ihrer Berufsgenossen eine Verbesserung der trau¬ rigen Lage derselben zu bewirken. Am 23. Mai empfing sie der königlich baierische Ministerpräsident Freiherr von der Pfordten und erwiderte auf ihre Anträge: die deutschen Regierungen haben die Sache der Herzogtümer nicht richtig aufgefaßt, und durch ihre Unterstützung ist ihre Lage verschlimmert worden. Sie sind verleitet und aufgeregt durch Advocaten und Professoren. Als ihm hierauf das Erforderliche gesagt war, sprach er weiter: Einerlei, die Herzogtümer sind dänische Provinzen, und wenn ich holsteinischer Minister wäre, würde ich das Land danisiren, selbst wenn eine Völkerwanderung dar¬ aus entstände. Es ist die Politik der Nothwendigkeit, welche hier befolgt werden muß. Rußland will es, und so muß es geschehen." Die frühern Ansichten und Thaten des Freiherrn von der Pfordten stim¬ men damit nicht überein. Wir kommen auf sie und anderes im Lebensgange des Betreffenden vielleicht später einmal zu sprechen. Hier kam es nicht auf die Person, sondern nur darauf an, die Reaction über Schleswig-Holstein sich äußern zu hören; denn wenn wir auch mit Beseler glauben dürfen, daß die wunderbare Unbefangenheit in den angeführten Aeußerungen nach Form wie nach Inhalt das Eigenthum des Herrn von der Pfordten sein konnte, so wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß sie nur ein potenzirter Ausdruck der Stimmung der damals in Deutschland maßgebenden Kreise war. So wurde es möglich, daß Dänemark seinen Willen durchsetzte. Ihm wurden die Herzogtümer zu Füßen gelegt, und fast ein Wunder war es, daß es sich zu dem Versprechen herbeiließ, das Herzogtum Schleswig nicht dem Königreich einzuverleiben. Seitdem hat sich aber in immer weiter» Kreisen die Ansicht Geltung verschafft, daß man damals in Schleswig-Holstein nicht blos wichtige Interessen ohne Noth geopfert, sondern auch die Ehre Deutschlands aus den Augen verloren habe. Dieses drückende Bewußtsein Wird das, deutsche Volk nur so lange nicht zu Wandel schaffender That werden lassen, als dasselbe sich noch nicht in der Lage befindet, sein Interesse zu ver¬ treten und sich Genugthuung zu verschaffen. „Kein Unbefangener wird es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/494>, abgerufen am 26.07.2024.