Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.Weihnachtsliteratilr. > Voer de Gocrn. Kindcrreime alt und neu von Klaus Grotb. Mit 52 Holz¬ Weihnachtsliteratilr. > Voer de Gocrn. Kindcrreime alt und neu von Klaus Grotb. Mit 52 Holz¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266294"/> </div> <div n="1"> <head> Weihnachtsliteratilr.<lb/> ></head><lb/> <p xml:id="ID_1385" next="#ID_1386"> Voer de Gocrn. Kindcrreime alt und neu von Klaus Grotb. Mit 52 Holz¬<lb/> schnitten nach Originalzeichnungen von Ludwig Richter. Leipzig, Georg Wigcmds<lb/> Verlag. Fol, — Billig steht dies elegante sehr schön ausgestattete Buch obenan. Die<lb/> niederdeutschen Kindcrreime sind zum Theil aus dem Mund des Volkes gesammelt,<lb/> zum größten Theil mit der liebenswürdigen Laune und Schalkhaftigkeit, welche den<lb/> Dichter auszeichnet, erfunden, unter den Holzschnitten Richters sind mehre, welche<lb/> den besten Zeichnungen des Meisters an die Seite zu stellen sind. Den neuesten<lb/> niederdeutschen Versen ist eine Uebersetzung im Schriftdeutsch zugefügt. Wieder gibt<lb/> dies Werk Gelegenheit, an kleinster, scheinbar kunst- und formloser Poesie Klang¬<lb/> fülle, Wort- und Bildcrrcichthum, und Kraft im epigrammatischen Ausdruck zu be¬<lb/> wundern, die schönen Vorzüge des Niederdeutschen. Und wer aus andern deutschen<lb/> Stimmen und aus unserer Kunstpoesie an die Gedichte von Klaus Grvth tritt, der<lb/> wird, wenn ihm erst die Empfindung für das fremdartige Schöne der Brudersprache<lb/> gekommen ist. mit Erstaunen sehn, daß das Verhältniß des niederdeutschen Dichters<lb/> zu seiner Sprache ein sehr anderes ist, als bei den Dichtern des Culturdcutsch. Aehn-<lb/> lich wie bei den Romanen wirkt der sinnliche Reiz der Sprache viel mächtiger auf<lb/> die Seele des Schaffenden und des Hörers, viel feiner hört das Ohr den Wohlklang<lb/> eines poetischen Satzes, Wechsel der Vocale, und charakterisirende Consonanten. Im<lb/> Gegensatz aber zu den romanischen Sprachen und darin dem Englischen ebenbürtig,<lb/> hat das niederdeutsche einen großartigen Reichthum an solchen Wörtern, Haupt-<lb/> und Zeitwörtern, welche charakteristische Schattirungen einer Vorstellung, oft mit<lb/> besonders komischer oder gemüthlicher Farbe ausdrücken. Unserer Schriftsprache fehlt<lb/> die Fülle solcher Ausdrücke sehr, sie sind bei uns in den einzelnen Dialecten stecken<lb/> geblieben, haben deshalb dem verwöhnten Sinn häufig einen ungehörigen Beige¬<lb/> schmack und sind für den Dichter wenig und nur mit größter Vorsicht zu gebrau¬<lb/> chen. Der Leipziger, Franke, Rheinländer, Schlesier, erinnere sich z. B. an die zahl¬<lb/> reichen Verba seines Dialects, welche das Fortbewegen eines Körpers, oder welche<lb/> ein Geräusch specialisiren, wie groß ist die Zahl derselben, wie wenige sind in den<lb/> Codex der Schrift- und Dichtersprache aufgenommen, und wie bedenklich erscheint<lb/> ihm selbst die Aufnahme derselben. Im Niederdeutschen ist diesen sehr zahlreichen<lb/> Wörtern ursprünglicher Adel und Schönheit unverkümmert, und grade sie geben<lb/> dem poetischen Ausdruck eine Lebendigkeit, Kraft und Energie, die der hochdeutsche<lb/> Dichter oft peinlich vermißt. Die Bedeutung von Klaus Groth liegt nun unter<lb/> anderen darin, daß in ihm der rccipirendc und schöpferische Sprachsinn ganz vor¬<lb/> züglich entwickelt ist. Niemand schreibt im Niederdeutschen so schön, und macht so<lb/> wohlklingende Verse, als er. Und die Sprache seiner Heimath mit ihren eigenthüm¬<lb/> lichen Schönheiten ist durch ihn seinen Landsleuten, wie den übrigen Deutschen, in<lb/> eine neue Beleuchtung gesetzt, die man wol Verklärung nennen darf. Das setzt<lb/> allerdings voraus, daß er auch sonst ein wahrer Dichter ist. Den Umfang seines<lb/> Talentes zu kritisiren, haben wir kaum Veranlassung, bescheiden hielt er sich in einem<lb/> Kreise, indem er souverän gebietet; wenn seine hochdeutschen Gedichte nicht immer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0485]
Weihnachtsliteratilr.
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Voer de Gocrn. Kindcrreime alt und neu von Klaus Grotb. Mit 52 Holz¬
schnitten nach Originalzeichnungen von Ludwig Richter. Leipzig, Georg Wigcmds
Verlag. Fol, — Billig steht dies elegante sehr schön ausgestattete Buch obenan. Die
niederdeutschen Kindcrreime sind zum Theil aus dem Mund des Volkes gesammelt,
zum größten Theil mit der liebenswürdigen Laune und Schalkhaftigkeit, welche den
Dichter auszeichnet, erfunden, unter den Holzschnitten Richters sind mehre, welche
den besten Zeichnungen des Meisters an die Seite zu stellen sind. Den neuesten
niederdeutschen Versen ist eine Uebersetzung im Schriftdeutsch zugefügt. Wieder gibt
dies Werk Gelegenheit, an kleinster, scheinbar kunst- und formloser Poesie Klang¬
fülle, Wort- und Bildcrrcichthum, und Kraft im epigrammatischen Ausdruck zu be¬
wundern, die schönen Vorzüge des Niederdeutschen. Und wer aus andern deutschen
Stimmen und aus unserer Kunstpoesie an die Gedichte von Klaus Grvth tritt, der
wird, wenn ihm erst die Empfindung für das fremdartige Schöne der Brudersprache
gekommen ist. mit Erstaunen sehn, daß das Verhältniß des niederdeutschen Dichters
zu seiner Sprache ein sehr anderes ist, als bei den Dichtern des Culturdcutsch. Aehn-
lich wie bei den Romanen wirkt der sinnliche Reiz der Sprache viel mächtiger auf
die Seele des Schaffenden und des Hörers, viel feiner hört das Ohr den Wohlklang
eines poetischen Satzes, Wechsel der Vocale, und charakterisirende Consonanten. Im
Gegensatz aber zu den romanischen Sprachen und darin dem Englischen ebenbürtig,
hat das niederdeutsche einen großartigen Reichthum an solchen Wörtern, Haupt-
und Zeitwörtern, welche charakteristische Schattirungen einer Vorstellung, oft mit
besonders komischer oder gemüthlicher Farbe ausdrücken. Unserer Schriftsprache fehlt
die Fülle solcher Ausdrücke sehr, sie sind bei uns in den einzelnen Dialecten stecken
geblieben, haben deshalb dem verwöhnten Sinn häufig einen ungehörigen Beige¬
schmack und sind für den Dichter wenig und nur mit größter Vorsicht zu gebrau¬
chen. Der Leipziger, Franke, Rheinländer, Schlesier, erinnere sich z. B. an die zahl¬
reichen Verba seines Dialects, welche das Fortbewegen eines Körpers, oder welche
ein Geräusch specialisiren, wie groß ist die Zahl derselben, wie wenige sind in den
Codex der Schrift- und Dichtersprache aufgenommen, und wie bedenklich erscheint
ihm selbst die Aufnahme derselben. Im Niederdeutschen ist diesen sehr zahlreichen
Wörtern ursprünglicher Adel und Schönheit unverkümmert, und grade sie geben
dem poetischen Ausdruck eine Lebendigkeit, Kraft und Energie, die der hochdeutsche
Dichter oft peinlich vermißt. Die Bedeutung von Klaus Groth liegt nun unter
anderen darin, daß in ihm der rccipirendc und schöpferische Sprachsinn ganz vor¬
züglich entwickelt ist. Niemand schreibt im Niederdeutschen so schön, und macht so
wohlklingende Verse, als er. Und die Sprache seiner Heimath mit ihren eigenthüm¬
lichen Schönheiten ist durch ihn seinen Landsleuten, wie den übrigen Deutschen, in
eine neue Beleuchtung gesetzt, die man wol Verklärung nennen darf. Das setzt
allerdings voraus, daß er auch sonst ein wahrer Dichter ist. Den Umfang seines
Talentes zu kritisiren, haben wir kaum Veranlassung, bescheiden hielt er sich in einem
Kreise, indem er souverän gebietet; wenn seine hochdeutschen Gedichte nicht immer
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