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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sind sehr mäßig und bestehen fast ausschließlich in Ein- und Ausfuhrzöllen,
directe und Municipalsteuern aller Art sind beinahe ganz unbekannt.. Endlich
ist auch der griechischen Sprache ihr Recht widerfahren, indem sie seit 1851
bei allen öffentlichen Verhandlungen und in allen Regierungscrlassen so wie
in den Gerichtshöfen gebraucht wird, während bis dahin die italienische im
Gebrauch war.

1848 und 1849 führte LordSeaton, damals Lordobercommissär, bedeu¬
tende Veränderungen in die jonischc Verfassung ein, von denen wir nur
Wahlen durch Ballotirung, Ausdehnung des Wahlrechts und Preßfreiheit
nennen. Die Beziehungen zwischen der Schutzmacht und den Joniern sind nach
diesen Reformen nicht so freundlich gewesen, als vorher. Die alten Factionen reg¬
ten sich wieder lebhaft, und der Jnstinct der Nationalität hat. vorzüglich auf
den südlichen Inseln, den Wunsch nach Vereinigung mit dem Königreich Griechen¬
land wiederholt laut-werden lassen. 1849 kam es auf Cephalonia zu einem
Aufstand, dessen Triebfedern indeß weniger in patriotischen Tendenzen als in
Bestrebungen zu suchen waren, die wider das neunte und zehnte Gebot liefen.
Die Rebellen waren wenig besser als Räuber, und der damalige Lordobercom¬
missär Ward ließ ihren Anführern mit Recht die Strafe von Räubern zu Theil
werden. Seitdem hat man sich auf Geschrei in der Presse und auf Demon¬
strationen in der gesetzgebenden Versammlung beschränkt und nebenher im
Privatleben versucht, den englischen Beamten und Offizieren das Leben zu
erschweren. Die verständigen Jonier aber wissen, daß damit nichts erreicht
wird, daß man mit seinen Wünschen nach Vereinigung mit den Stammes¬
brüdern im Osten zu warten hat, bis die Behauptung Korfus für England
und für das europäische Gleichgewicht überhaupt nicht mehr nothwendig ist,
und daß man in der Zwischenzeit wohlthut, sich der vielen praktischen Vor¬
theile, welche die Verbindung mit England bietet, ohne Rückhalt zu erfreuen.

Wir knüpfen hieran einen Ueberblick über die jonische Verfassung. Die
Gesetzgebung besteht aus dem Lordobercommissär (^Ano"??,^), einem Senat
(^"^o-^") und einer Abgeordnetenkammer (Fo-^). Der Lordobercommissär
hat das Recht des Einspruchs gegen alle Beschlüsse des Senats und der Ab¬
geordneten, besorgt die auswärtigen Beziehungen des Landes und hat unter
seiner unmittelbaren Leitung die Departements der Polizei und des Sanitäts¬
wesens. Er wird auf jeder der sechs südlichen Inseln durch einen englischen
Beamten vertreten, welcher den Titel Resident (griechisch Eparchos) führt und
der Localregierung seiner Insel in der Weise vorsteht, wie der Obercommissür
der Centralregierung. Der Senat ist das Oberhaus der Gesetzgebung und
zugleich der -ausübende Staatsrath. Alle Aemter mit wenigen Ausnahmen
werden durch ihn vergeben (der Lordobercommissär hat die Ernennungen zu
bestätigen) und alle Verordnungen für die Localregierungen gehen von ihm


sind sehr mäßig und bestehen fast ausschließlich in Ein- und Ausfuhrzöllen,
directe und Municipalsteuern aller Art sind beinahe ganz unbekannt.. Endlich
ist auch der griechischen Sprache ihr Recht widerfahren, indem sie seit 1851
bei allen öffentlichen Verhandlungen und in allen Regierungscrlassen so wie
in den Gerichtshöfen gebraucht wird, während bis dahin die italienische im
Gebrauch war.

1848 und 1849 führte LordSeaton, damals Lordobercommissär, bedeu¬
tende Veränderungen in die jonischc Verfassung ein, von denen wir nur
Wahlen durch Ballotirung, Ausdehnung des Wahlrechts und Preßfreiheit
nennen. Die Beziehungen zwischen der Schutzmacht und den Joniern sind nach
diesen Reformen nicht so freundlich gewesen, als vorher. Die alten Factionen reg¬
ten sich wieder lebhaft, und der Jnstinct der Nationalität hat. vorzüglich auf
den südlichen Inseln, den Wunsch nach Vereinigung mit dem Königreich Griechen¬
land wiederholt laut-werden lassen. 1849 kam es auf Cephalonia zu einem
Aufstand, dessen Triebfedern indeß weniger in patriotischen Tendenzen als in
Bestrebungen zu suchen waren, die wider das neunte und zehnte Gebot liefen.
Die Rebellen waren wenig besser als Räuber, und der damalige Lordobercom¬
missär Ward ließ ihren Anführern mit Recht die Strafe von Räubern zu Theil
werden. Seitdem hat man sich auf Geschrei in der Presse und auf Demon¬
strationen in der gesetzgebenden Versammlung beschränkt und nebenher im
Privatleben versucht, den englischen Beamten und Offizieren das Leben zu
erschweren. Die verständigen Jonier aber wissen, daß damit nichts erreicht
wird, daß man mit seinen Wünschen nach Vereinigung mit den Stammes¬
brüdern im Osten zu warten hat, bis die Behauptung Korfus für England
und für das europäische Gleichgewicht überhaupt nicht mehr nothwendig ist,
und daß man in der Zwischenzeit wohlthut, sich der vielen praktischen Vor¬
theile, welche die Verbindung mit England bietet, ohne Rückhalt zu erfreuen.

Wir knüpfen hieran einen Ueberblick über die jonische Verfassung. Die
Gesetzgebung besteht aus dem Lordobercommissär (^Ano«??,^), einem Senat
(^"^o-^«) und einer Abgeordnetenkammer (Fo-^). Der Lordobercommissär
hat das Recht des Einspruchs gegen alle Beschlüsse des Senats und der Ab¬
geordneten, besorgt die auswärtigen Beziehungen des Landes und hat unter
seiner unmittelbaren Leitung die Departements der Polizei und des Sanitäts¬
wesens. Er wird auf jeder der sechs südlichen Inseln durch einen englischen
Beamten vertreten, welcher den Titel Resident (griechisch Eparchos) führt und
der Localregierung seiner Insel in der Weise vorsteht, wie der Obercommissür
der Centralregierung. Der Senat ist das Oberhaus der Gesetzgebung und
zugleich der -ausübende Staatsrath. Alle Aemter mit wenigen Ausnahmen
werden durch ihn vergeben (der Lordobercommissär hat die Ernennungen zu
bestätigen) und alle Verordnungen für die Localregierungen gehen von ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/477>, abgerufen am 01.10.2024.