Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man aus einigen Geschlechtern eine Art Adel, der sich mit Geld und Verrath
an der nationalen Sache erkaufen ließ, und der. mit Einfluß auf Kreise ver¬
bunden, welche die Fremden nicht als ihre Domäne in Anspruch nahmen,
Factionen im Gefolge hatte, welche noch jetzt nicht völlig aufgehört haben.
Es ist bei diesem System kein Wunder, wenn die jonischen Griechen jetzt in
dem Rufe stehen, an Treulosigkeit, Truglist und Ränkesucht nur von den Fa-
nariotcn übertroffen zu werden.

Bei dem Fall Venedigs im Jahre 1792 übergab der Friede von Campo
Formio die jonischen Inseln an die französische Republik und dieselben wur¬
den von Truppen der letzteren besetzt, die indeß sehr bald von einer russisch-
türkischen Expedition wieder vertrieben wurden. Nach den Bestimmungen eines
Vertrags zwischen dem Zar und dem Sultan wurden die Inseln zu einem Staat
umgeschaffen, der unter der Suzeränetät der Pforte stehen und den Namen
der Siebeninselrepublik führen sollte. Dieser Plan aber scheiterte an den
Factionen. In dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren hatten sich alle sieben
Inseln des Aufruhrs gegen die Centralregierung schuldig gemacht, während zu
gleicher Zeit jede einzelne Insel sich wiederholt gegen ihre Lvcalrcgierung empört
hatte. Greuelthaten gleich denen der Corcyräer im peloponnesischen Kriege waren
an der Tagesordnung, in Zarte kamen in einem Jahre nicht weniger als 360
Meuchelmorde aus politischen Gründen vor, eine ungeheure Zahl bei nicht ganz
40,000 Einwohnern. Erschrocken über diesen Stand der Dinge schickten die Russisch¬
gesinnten in Jahre 1802 einen gewissen Naranzi als Gesandtennach Petersburg,
um die Einmischung des russischen Kaisers zu erflehen und der Anarchie ein
Ziel zu setzen. Naranzi erhielt Auftrag, zu erklären, daß die Jonier bereit
wären, sich mit blinder Ergebung jedwede Verfassung gefallen zu lassen, die
man ihnen geben würde, daß sie wünschten, dieselbe möge "das Werk der
anbetungswürdigen Hand" des Autokraten selbst oder wenigstens "eines ein¬
zigen Gesetzgebers" sein, und daß der Kaiser geruhen möge, dieselbe "durch
eine Streitmacht russischer Krieger mit Nachdruck zu stützen." Infolge dieser
Bitte beauftragte der Zar seinen Bevollmächtigten Graf Mocenigo, einen Zan-
tioten. die Verfassung von 1800 umzugestalten, und unter dessen Auspicien
wurde 1803 eine neue Regierung eingerichtet. Aber schon in Jahre 1807
trat Nußland die Inseln an Frankreich ab. und die Siebeninselrepublik "hörte
auf zu existiren" und wurde dem französischen Kniserreich einverleibt. 1809
und 1810 wurden sämmtliche Inseln mit Ausnahme von Paxo und Korfu von
einer britischen Expedition erobert, welche von den Joniern allenthalben mit Jubel
willkommen geheißen wurde. Paxo siel 1814; Korfu. welches seiner starken
Festungswerke wegen nicht angegriffen worden war, wurde bis zum Fall Na¬
poleons strenger Blokade unterworfen. Einer der ersten Acte der Restau¬
ration in Frankreich war die Uebergabe der Insel an England. Endlich wurde


59*

man aus einigen Geschlechtern eine Art Adel, der sich mit Geld und Verrath
an der nationalen Sache erkaufen ließ, und der. mit Einfluß auf Kreise ver¬
bunden, welche die Fremden nicht als ihre Domäne in Anspruch nahmen,
Factionen im Gefolge hatte, welche noch jetzt nicht völlig aufgehört haben.
Es ist bei diesem System kein Wunder, wenn die jonischen Griechen jetzt in
dem Rufe stehen, an Treulosigkeit, Truglist und Ränkesucht nur von den Fa-
nariotcn übertroffen zu werden.

Bei dem Fall Venedigs im Jahre 1792 übergab der Friede von Campo
Formio die jonischen Inseln an die französische Republik und dieselben wur¬
den von Truppen der letzteren besetzt, die indeß sehr bald von einer russisch-
türkischen Expedition wieder vertrieben wurden. Nach den Bestimmungen eines
Vertrags zwischen dem Zar und dem Sultan wurden die Inseln zu einem Staat
umgeschaffen, der unter der Suzeränetät der Pforte stehen und den Namen
der Siebeninselrepublik führen sollte. Dieser Plan aber scheiterte an den
Factionen. In dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren hatten sich alle sieben
Inseln des Aufruhrs gegen die Centralregierung schuldig gemacht, während zu
gleicher Zeit jede einzelne Insel sich wiederholt gegen ihre Lvcalrcgierung empört
hatte. Greuelthaten gleich denen der Corcyräer im peloponnesischen Kriege waren
an der Tagesordnung, in Zarte kamen in einem Jahre nicht weniger als 360
Meuchelmorde aus politischen Gründen vor, eine ungeheure Zahl bei nicht ganz
40,000 Einwohnern. Erschrocken über diesen Stand der Dinge schickten die Russisch¬
gesinnten in Jahre 1802 einen gewissen Naranzi als Gesandtennach Petersburg,
um die Einmischung des russischen Kaisers zu erflehen und der Anarchie ein
Ziel zu setzen. Naranzi erhielt Auftrag, zu erklären, daß die Jonier bereit
wären, sich mit blinder Ergebung jedwede Verfassung gefallen zu lassen, die
man ihnen geben würde, daß sie wünschten, dieselbe möge „das Werk der
anbetungswürdigen Hand" des Autokraten selbst oder wenigstens „eines ein¬
zigen Gesetzgebers" sein, und daß der Kaiser geruhen möge, dieselbe „durch
eine Streitmacht russischer Krieger mit Nachdruck zu stützen." Infolge dieser
Bitte beauftragte der Zar seinen Bevollmächtigten Graf Mocenigo, einen Zan-
tioten. die Verfassung von 1800 umzugestalten, und unter dessen Auspicien
wurde 1803 eine neue Regierung eingerichtet. Aber schon in Jahre 1807
trat Nußland die Inseln an Frankreich ab. und die Siebeninselrepublik „hörte
auf zu existiren" und wurde dem französischen Kniserreich einverleibt. 1809
und 1810 wurden sämmtliche Inseln mit Ausnahme von Paxo und Korfu von
einer britischen Expedition erobert, welche von den Joniern allenthalben mit Jubel
willkommen geheißen wurde. Paxo siel 1814; Korfu. welches seiner starken
Festungswerke wegen nicht angegriffen worden war, wurde bis zum Fall Na¬
poleons strenger Blokade unterworfen. Einer der ersten Acte der Restau¬
ration in Frankreich war die Uebergabe der Insel an England. Endlich wurde


59*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266284"/>
          <p xml:id="ID_1352" prev="#ID_1351"> man aus einigen Geschlechtern eine Art Adel, der sich mit Geld und Verrath<lb/>
an der nationalen Sache erkaufen ließ, und der. mit Einfluß auf Kreise ver¬<lb/>
bunden, welche die Fremden nicht als ihre Domäne in Anspruch nahmen,<lb/>
Factionen im Gefolge hatte, welche noch jetzt nicht völlig aufgehört haben.<lb/>
Es ist bei diesem System kein Wunder, wenn die jonischen Griechen jetzt in<lb/>
dem Rufe stehen, an Treulosigkeit, Truglist und Ränkesucht nur von den Fa-<lb/>
nariotcn übertroffen zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Bei dem Fall Venedigs im Jahre 1792 übergab der Friede von Campo<lb/>
Formio die jonischen Inseln an die französische Republik und dieselben wur¬<lb/>
den von Truppen der letzteren besetzt, die indeß sehr bald von einer russisch-<lb/>
türkischen Expedition wieder vertrieben wurden. Nach den Bestimmungen eines<lb/>
Vertrags zwischen dem Zar und dem Sultan wurden die Inseln zu einem Staat<lb/>
umgeschaffen, der unter der Suzeränetät der Pforte stehen und den Namen<lb/>
der Siebeninselrepublik führen sollte. Dieser Plan aber scheiterte an den<lb/>
Factionen. In dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren hatten sich alle sieben<lb/>
Inseln des Aufruhrs gegen die Centralregierung schuldig gemacht, während zu<lb/>
gleicher Zeit jede einzelne Insel sich wiederholt gegen ihre Lvcalrcgierung empört<lb/>
hatte. Greuelthaten gleich denen der Corcyräer im peloponnesischen Kriege waren<lb/>
an der Tagesordnung, in Zarte kamen in einem Jahre nicht weniger als 360<lb/>
Meuchelmorde aus politischen Gründen vor, eine ungeheure Zahl bei nicht ganz<lb/>
40,000 Einwohnern. Erschrocken über diesen Stand der Dinge schickten die Russisch¬<lb/>
gesinnten in Jahre 1802 einen gewissen Naranzi als Gesandtennach Petersburg,<lb/>
um die Einmischung des russischen Kaisers zu erflehen und der Anarchie ein<lb/>
Ziel zu setzen. Naranzi erhielt Auftrag, zu erklären, daß die Jonier bereit<lb/>
wären, sich mit blinder Ergebung jedwede Verfassung gefallen zu lassen, die<lb/>
man ihnen geben würde, daß sie wünschten, dieselbe möge &#x201E;das Werk der<lb/>
anbetungswürdigen Hand" des Autokraten selbst oder wenigstens &#x201E;eines ein¬<lb/>
zigen Gesetzgebers" sein, und daß der Kaiser geruhen möge, dieselbe &#x201E;durch<lb/>
eine Streitmacht russischer Krieger mit Nachdruck zu stützen." Infolge dieser<lb/>
Bitte beauftragte der Zar seinen Bevollmächtigten Graf Mocenigo, einen Zan-<lb/>
tioten. die Verfassung von 1800 umzugestalten, und unter dessen Auspicien<lb/>
wurde 1803 eine neue Regierung eingerichtet. Aber schon in Jahre 1807<lb/>
trat Nußland die Inseln an Frankreich ab. und die Siebeninselrepublik &#x201E;hörte<lb/>
auf zu existiren" und wurde dem französischen Kniserreich einverleibt. 1809<lb/>
und 1810 wurden sämmtliche Inseln mit Ausnahme von Paxo und Korfu von<lb/>
einer britischen Expedition erobert, welche von den Joniern allenthalben mit Jubel<lb/>
willkommen geheißen wurde. Paxo siel 1814; Korfu. welches seiner starken<lb/>
Festungswerke wegen nicht angegriffen worden war, wurde bis zum Fall Na¬<lb/>
poleons strenger Blokade unterworfen. Einer der ersten Acte der Restau¬<lb/>
ration in Frankreich war die Uebergabe der Insel an England.  Endlich wurde</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 59*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] man aus einigen Geschlechtern eine Art Adel, der sich mit Geld und Verrath an der nationalen Sache erkaufen ließ, und der. mit Einfluß auf Kreise ver¬ bunden, welche die Fremden nicht als ihre Domäne in Anspruch nahmen, Factionen im Gefolge hatte, welche noch jetzt nicht völlig aufgehört haben. Es ist bei diesem System kein Wunder, wenn die jonischen Griechen jetzt in dem Rufe stehen, an Treulosigkeit, Truglist und Ränkesucht nur von den Fa- nariotcn übertroffen zu werden. Bei dem Fall Venedigs im Jahre 1792 übergab der Friede von Campo Formio die jonischen Inseln an die französische Republik und dieselben wur¬ den von Truppen der letzteren besetzt, die indeß sehr bald von einer russisch- türkischen Expedition wieder vertrieben wurden. Nach den Bestimmungen eines Vertrags zwischen dem Zar und dem Sultan wurden die Inseln zu einem Staat umgeschaffen, der unter der Suzeränetät der Pforte stehen und den Namen der Siebeninselrepublik führen sollte. Dieser Plan aber scheiterte an den Factionen. In dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren hatten sich alle sieben Inseln des Aufruhrs gegen die Centralregierung schuldig gemacht, während zu gleicher Zeit jede einzelne Insel sich wiederholt gegen ihre Lvcalrcgierung empört hatte. Greuelthaten gleich denen der Corcyräer im peloponnesischen Kriege waren an der Tagesordnung, in Zarte kamen in einem Jahre nicht weniger als 360 Meuchelmorde aus politischen Gründen vor, eine ungeheure Zahl bei nicht ganz 40,000 Einwohnern. Erschrocken über diesen Stand der Dinge schickten die Russisch¬ gesinnten in Jahre 1802 einen gewissen Naranzi als Gesandtennach Petersburg, um die Einmischung des russischen Kaisers zu erflehen und der Anarchie ein Ziel zu setzen. Naranzi erhielt Auftrag, zu erklären, daß die Jonier bereit wären, sich mit blinder Ergebung jedwede Verfassung gefallen zu lassen, die man ihnen geben würde, daß sie wünschten, dieselbe möge „das Werk der anbetungswürdigen Hand" des Autokraten selbst oder wenigstens „eines ein¬ zigen Gesetzgebers" sein, und daß der Kaiser geruhen möge, dieselbe „durch eine Streitmacht russischer Krieger mit Nachdruck zu stützen." Infolge dieser Bitte beauftragte der Zar seinen Bevollmächtigten Graf Mocenigo, einen Zan- tioten. die Verfassung von 1800 umzugestalten, und unter dessen Auspicien wurde 1803 eine neue Regierung eingerichtet. Aber schon in Jahre 1807 trat Nußland die Inseln an Frankreich ab. und die Siebeninselrepublik „hörte auf zu existiren" und wurde dem französischen Kniserreich einverleibt. 1809 und 1810 wurden sämmtliche Inseln mit Ausnahme von Paxo und Korfu von einer britischen Expedition erobert, welche von den Joniern allenthalben mit Jubel willkommen geheißen wurde. Paxo siel 1814; Korfu. welches seiner starken Festungswerke wegen nicht angegriffen worden war, wurde bis zum Fall Na¬ poleons strenger Blokade unterworfen. Einer der ersten Acte der Restau¬ ration in Frankreich war die Uebergabe der Insel an England. Endlich wurde 59*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/475>, abgerufen am 05.07.2024.