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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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er hergeführt worden war. wieder zurückgelassen, um die Nacht in. Ruhe bei
dem neugetauften Georg Kawka zu verbringen. Dieser wurde an die Pforte
des Collegiums gerufen und der Knabe wurde ihm mit dem ausdrücklichen
Befehl anvertraut, daß er ihn am nächsten Morgen in aller Früh wieder in
dem Collegium stellen solle, damit man ihn mit einer sichern Wohnung ver¬
sorge.

Unterdeß nahm Lazarus die Abwesenheit des Sohnes wahr; da er ihn
weder bei Freunden, noch bei andern Juden fand, fällte er bei sich das sichere
Urtheil, daß sein Sohn zu den Christen übergegangen sei. Am Sonntag früh
verfügte sich Lazarus in jenes Christenhaus des Handschuhmachers Hoffmann.
Er fand diesen nicht zu Hause, hielt mit dem Verlust des Sohnes und seinen
Schmerzen hinter dem Berge und bat des Handschuhmachers Ehefrau Anna
inständig, den Georg Kawka herbeizurufen, weil er mit ihm, der sein Schuld¬
ner sei, ein wichtiges Geschäft abzumachen hätte. Nach langer hebräischer
Unterhaltung mit Lazarus kam Georg Kawka eilfertig ins Collegium, aber
was mir am schmerzlichsten fiel, ohne Begleitung des christlichen Lehrlings.
Er schien sehr ängstlich beunruhigt, meldete aber mit keinem Wort die Unter¬
redung mit dem Vater, sondern sprach nur, daß Simon in seiner Herberge
nicht sicher genug sei, man hätte wol zu besorgen, daß er durch arglistige An¬
schläge der Juden herausgespielt werden möchte. Nach scharfem Verweise,
weil er den Knaben grade bei solcher Gefahr nicht nach gestrigen Befehl mit
sich gebracht, befahl ich ihm sofort nach Hause zu gehn und den Simon
herzuführen. Er versprach dies zwar, setzte es aber nicht ins Werk. Als
nun Georg Kawka zu Hause vorgab, daß er in die Kirche gehn wolle, flehte
Simon, als ahnte ihm etwas von bevorstehender Verrätherei mit Worten
und Thränen, daß Georg ihn nicht im Stich lasse und den Juden, welche
ihm heut unfehlbar nachstellen würden, zum Raube im Hause halte, sonder"
mit sich in die Kirche nehme, und so ins Collegium bringe. Da er aber
unter großen Schmerzen seines Gemüths wahrnahm, daß Georg Kawka mit
faulen Fischen handelte, zog er sich nach dessen Abgang wieder in seinen
Schlupfwinkel unter dem Dache zurück. Kaum hatte Georg seinen Fuß über
die Schwelle gesetzt, da kam Katharina Kanderowa, ein Zinsweib, vom Lande
in ihre gemiethete Kammer, bei welcher Simon seinen Schlupfwinkel hatte,
und sah den Knaben im jüdischen Röcklein, das er wieder anzulegen genö¬
thigt worden war. Da nun besagte Katharina soeben von den Juden, welche
um die Hausthür herumstanden, vernommen hatte, daß sie einen Judensohn
suchten, der dem Vater entflohen sei, und da sie nicht wußte, daß Simon
ein Lehrling im christlichen Glauben geworden war, zog sie ihn aus seinem
Winkel hervor und führte ihn gewaltthätig ins untere Vorhaus. Als der Vater
den Sohn erblickte, überreichte er dem ziemlich starken Weibe dreißig weiße


er hergeführt worden war. wieder zurückgelassen, um die Nacht in. Ruhe bei
dem neugetauften Georg Kawka zu verbringen. Dieser wurde an die Pforte
des Collegiums gerufen und der Knabe wurde ihm mit dem ausdrücklichen
Befehl anvertraut, daß er ihn am nächsten Morgen in aller Früh wieder in
dem Collegium stellen solle, damit man ihn mit einer sichern Wohnung ver¬
sorge.

Unterdeß nahm Lazarus die Abwesenheit des Sohnes wahr; da er ihn
weder bei Freunden, noch bei andern Juden fand, fällte er bei sich das sichere
Urtheil, daß sein Sohn zu den Christen übergegangen sei. Am Sonntag früh
verfügte sich Lazarus in jenes Christenhaus des Handschuhmachers Hoffmann.
Er fand diesen nicht zu Hause, hielt mit dem Verlust des Sohnes und seinen
Schmerzen hinter dem Berge und bat des Handschuhmachers Ehefrau Anna
inständig, den Georg Kawka herbeizurufen, weil er mit ihm, der sein Schuld¬
ner sei, ein wichtiges Geschäft abzumachen hätte. Nach langer hebräischer
Unterhaltung mit Lazarus kam Georg Kawka eilfertig ins Collegium, aber
was mir am schmerzlichsten fiel, ohne Begleitung des christlichen Lehrlings.
Er schien sehr ängstlich beunruhigt, meldete aber mit keinem Wort die Unter¬
redung mit dem Vater, sondern sprach nur, daß Simon in seiner Herberge
nicht sicher genug sei, man hätte wol zu besorgen, daß er durch arglistige An¬
schläge der Juden herausgespielt werden möchte. Nach scharfem Verweise,
weil er den Knaben grade bei solcher Gefahr nicht nach gestrigen Befehl mit
sich gebracht, befahl ich ihm sofort nach Hause zu gehn und den Simon
herzuführen. Er versprach dies zwar, setzte es aber nicht ins Werk. Als
nun Georg Kawka zu Hause vorgab, daß er in die Kirche gehn wolle, flehte
Simon, als ahnte ihm etwas von bevorstehender Verrätherei mit Worten
und Thränen, daß Georg ihn nicht im Stich lasse und den Juden, welche
ihm heut unfehlbar nachstellen würden, zum Raube im Hause halte, sonder»
mit sich in die Kirche nehme, und so ins Collegium bringe. Da er aber
unter großen Schmerzen seines Gemüths wahrnahm, daß Georg Kawka mit
faulen Fischen handelte, zog er sich nach dessen Abgang wieder in seinen
Schlupfwinkel unter dem Dache zurück. Kaum hatte Georg seinen Fuß über
die Schwelle gesetzt, da kam Katharina Kanderowa, ein Zinsweib, vom Lande
in ihre gemiethete Kammer, bei welcher Simon seinen Schlupfwinkel hatte,
und sah den Knaben im jüdischen Röcklein, das er wieder anzulegen genö¬
thigt worden war. Da nun besagte Katharina soeben von den Juden, welche
um die Hausthür herumstanden, vernommen hatte, daß sie einen Judensohn
suchten, der dem Vater entflohen sei, und da sie nicht wußte, daß Simon
ein Lehrling im christlichen Glauben geworden war, zog sie ihn aus seinem
Winkel hervor und führte ihn gewaltthätig ins untere Vorhaus. Als der Vater
den Sohn erblickte, überreichte er dem ziemlich starken Weibe dreißig weiße


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[0458] er hergeführt worden war. wieder zurückgelassen, um die Nacht in. Ruhe bei dem neugetauften Georg Kawka zu verbringen. Dieser wurde an die Pforte des Collegiums gerufen und der Knabe wurde ihm mit dem ausdrücklichen Befehl anvertraut, daß er ihn am nächsten Morgen in aller Früh wieder in dem Collegium stellen solle, damit man ihn mit einer sichern Wohnung ver¬ sorge. Unterdeß nahm Lazarus die Abwesenheit des Sohnes wahr; da er ihn weder bei Freunden, noch bei andern Juden fand, fällte er bei sich das sichere Urtheil, daß sein Sohn zu den Christen übergegangen sei. Am Sonntag früh verfügte sich Lazarus in jenes Christenhaus des Handschuhmachers Hoffmann. Er fand diesen nicht zu Hause, hielt mit dem Verlust des Sohnes und seinen Schmerzen hinter dem Berge und bat des Handschuhmachers Ehefrau Anna inständig, den Georg Kawka herbeizurufen, weil er mit ihm, der sein Schuld¬ ner sei, ein wichtiges Geschäft abzumachen hätte. Nach langer hebräischer Unterhaltung mit Lazarus kam Georg Kawka eilfertig ins Collegium, aber was mir am schmerzlichsten fiel, ohne Begleitung des christlichen Lehrlings. Er schien sehr ängstlich beunruhigt, meldete aber mit keinem Wort die Unter¬ redung mit dem Vater, sondern sprach nur, daß Simon in seiner Herberge nicht sicher genug sei, man hätte wol zu besorgen, daß er durch arglistige An¬ schläge der Juden herausgespielt werden möchte. Nach scharfem Verweise, weil er den Knaben grade bei solcher Gefahr nicht nach gestrigen Befehl mit sich gebracht, befahl ich ihm sofort nach Hause zu gehn und den Simon herzuführen. Er versprach dies zwar, setzte es aber nicht ins Werk. Als nun Georg Kawka zu Hause vorgab, daß er in die Kirche gehn wolle, flehte Simon, als ahnte ihm etwas von bevorstehender Verrätherei mit Worten und Thränen, daß Georg ihn nicht im Stich lasse und den Juden, welche ihm heut unfehlbar nachstellen würden, zum Raube im Hause halte, sonder» mit sich in die Kirche nehme, und so ins Collegium bringe. Da er aber unter großen Schmerzen seines Gemüths wahrnahm, daß Georg Kawka mit faulen Fischen handelte, zog er sich nach dessen Abgang wieder in seinen Schlupfwinkel unter dem Dache zurück. Kaum hatte Georg seinen Fuß über die Schwelle gesetzt, da kam Katharina Kanderowa, ein Zinsweib, vom Lande in ihre gemiethete Kammer, bei welcher Simon seinen Schlupfwinkel hatte, und sah den Knaben im jüdischen Röcklein, das er wieder anzulegen genö¬ thigt worden war. Da nun besagte Katharina soeben von den Juden, welche um die Hausthür herumstanden, vernommen hatte, daß sie einen Judensohn suchten, der dem Vater entflohen sei, und da sie nicht wußte, daß Simon ein Lehrling im christlichen Glauben geworden war, zog sie ihn aus seinem Winkel hervor und führte ihn gewaltthätig ins untere Vorhaus. Als der Vater den Sohn erblickte, überreichte er dem ziemlich starken Weibe dreißig weiße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/458>, abgerufen am 05.07.2024.