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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Verdacht ^ daß er in der Judenstadt ein Lasterstücklein begangen hätte und in
dem geistlichen Haus eine Zufluchtstätte suche, antwortete Simon mit heiterm
Angesicht: hat man Argwohn wegen einer Missethat, so forsche man nach der
Wahrheit durch Ausrufen, wie es in der Judenstadt gewöhnlich ist. Wäre
ich mir einer Lasterthat bewußt, so hätte ich mehr Hoffnung unter Juden un¬
gestraft zu bleiben, als unter den Christen, denn ich bin ein Enkel des Moses
Abclcs, ihres Primators. Als man ihm aber wieder zusetzte, daß er gekom¬
men wäre, um unter den Christen eine Perücke, ein Deglein und alamodische
Kleider zu tragen, machte der Knabe ein saures Gesicht und sprach: ich muß
bekennen, daß ich lange Zeit keinen Judenkragcn getragen. Uebrigens ver¬
lange ich unter den Christen in keiner Kleidertracht zu prangen und will mit
alten Lumpen zufrieden sein. Nachdem er solche ernsthafte Antwort von sich
gegeben, fing er an die Handschuh von den Händen abzustreifen, den kleinen
Degen abzugürten, die Perücke vom Kopf zu reißen und das saubere Ober¬
röcklein aufzuhefteln, entschlossen, so es nöthig wäre, dem entblößten Jesus
unbekleidet nachzufolgen. Durch solche unerwartete Antwort und heldenhaften
Entschluß zur Armuth, trieb er den Anwesenden Zähren aus den Augen. Als
ihm aber befohlen wurde, sich wieder anzukleiden, zog ersieh bald wieder an
und bezeugte mit gewichtigen Worten, die er öfter wiederholte, daß er von
den Juden abtrete wegen ihres ärgerlichen Lebenswandels, sich aber den
Christen zugeselle, um sich seines Heils zu versichern, weil ihm wohl bewußt
wäre, daß es unmöglich sei, ohne Glauben selig zu werden. Als er aber
gefragt wurde, wer ihn gelehrt, daß der Glaube nothwendig sei, das ewige
Leben zu erwerben, sprach er sieben oder acht Mal: Gott, Gott, Gott allein,
wobei er ebenso oft seufzte und mit beiden Händen auf seine Brust schlug.
Jetzt trat er bald zu diesem, bald zu jenem Priester, füßle ihnen die Hände,
fiel ihnen um die Knie und rief: Patres verlasset mich nicht, verstoßet mich
nicht, schicket mich nicht wieder unter die Juden, unterweiset mich geschwind,
geschwind, und (als ahnte und schwebte ihm das auslesende Uebel vor) tau¬
fet mich geschwind. Als nun Simon die Versicherung bekam, daß er den
Lehrlingen im christlichen Glauben beigezählt werden sollte, schlug er in beide
Hände und hüpfte vor Freuden auf. Alle seine Rede ging ihm so reif und
bescheiden, hurtig und ohne alles Stammeln vom Munde, als hätte er es
vorher lange erwogen und aus dem Schreibtäflein auswendig gelernt, so daß
sich einer von den vier anwesenden Priestern mit Verwunderung zum andern
wandte und lateinisch fragte: dieser Knabe hat ein Mundwerk und Verstand,
wenn nicht über die Natur, doch wahrlich über sein Alter.

Unterdeß war die finstere Nacht herangekommen, da aber sür dieses neue
Nicodemerlein keine bequeme Nachtstätte vorhanden war, wurde er unter
innerlichem Widerstreben meines Gemüthes in das Christenhaus, aus welchem


Grenzboten IV. 13SS. 57

Verdacht ^ daß er in der Judenstadt ein Lasterstücklein begangen hätte und in
dem geistlichen Haus eine Zufluchtstätte suche, antwortete Simon mit heiterm
Angesicht: hat man Argwohn wegen einer Missethat, so forsche man nach der
Wahrheit durch Ausrufen, wie es in der Judenstadt gewöhnlich ist. Wäre
ich mir einer Lasterthat bewußt, so hätte ich mehr Hoffnung unter Juden un¬
gestraft zu bleiben, als unter den Christen, denn ich bin ein Enkel des Moses
Abclcs, ihres Primators. Als man ihm aber wieder zusetzte, daß er gekom¬
men wäre, um unter den Christen eine Perücke, ein Deglein und alamodische
Kleider zu tragen, machte der Knabe ein saures Gesicht und sprach: ich muß
bekennen, daß ich lange Zeit keinen Judenkragcn getragen. Uebrigens ver¬
lange ich unter den Christen in keiner Kleidertracht zu prangen und will mit
alten Lumpen zufrieden sein. Nachdem er solche ernsthafte Antwort von sich
gegeben, fing er an die Handschuh von den Händen abzustreifen, den kleinen
Degen abzugürten, die Perücke vom Kopf zu reißen und das saubere Ober¬
röcklein aufzuhefteln, entschlossen, so es nöthig wäre, dem entblößten Jesus
unbekleidet nachzufolgen. Durch solche unerwartete Antwort und heldenhaften
Entschluß zur Armuth, trieb er den Anwesenden Zähren aus den Augen. Als
ihm aber befohlen wurde, sich wieder anzukleiden, zog ersieh bald wieder an
und bezeugte mit gewichtigen Worten, die er öfter wiederholte, daß er von
den Juden abtrete wegen ihres ärgerlichen Lebenswandels, sich aber den
Christen zugeselle, um sich seines Heils zu versichern, weil ihm wohl bewußt
wäre, daß es unmöglich sei, ohne Glauben selig zu werden. Als er aber
gefragt wurde, wer ihn gelehrt, daß der Glaube nothwendig sei, das ewige
Leben zu erwerben, sprach er sieben oder acht Mal: Gott, Gott, Gott allein,
wobei er ebenso oft seufzte und mit beiden Händen auf seine Brust schlug.
Jetzt trat er bald zu diesem, bald zu jenem Priester, füßle ihnen die Hände,
fiel ihnen um die Knie und rief: Patres verlasset mich nicht, verstoßet mich
nicht, schicket mich nicht wieder unter die Juden, unterweiset mich geschwind,
geschwind, und (als ahnte und schwebte ihm das auslesende Uebel vor) tau¬
fet mich geschwind. Als nun Simon die Versicherung bekam, daß er den
Lehrlingen im christlichen Glauben beigezählt werden sollte, schlug er in beide
Hände und hüpfte vor Freuden auf. Alle seine Rede ging ihm so reif und
bescheiden, hurtig und ohne alles Stammeln vom Munde, als hätte er es
vorher lange erwogen und aus dem Schreibtäflein auswendig gelernt, so daß
sich einer von den vier anwesenden Priestern mit Verwunderung zum andern
wandte und lateinisch fragte: dieser Knabe hat ein Mundwerk und Verstand,
wenn nicht über die Natur, doch wahrlich über sein Alter.

Unterdeß war die finstere Nacht herangekommen, da aber sür dieses neue
Nicodemerlein keine bequeme Nachtstätte vorhanden war, wurde er unter
innerlichem Widerstreben meines Gemüthes in das Christenhaus, aus welchem


Grenzboten IV. 13SS. 57
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[0457] Verdacht ^ daß er in der Judenstadt ein Lasterstücklein begangen hätte und in dem geistlichen Haus eine Zufluchtstätte suche, antwortete Simon mit heiterm Angesicht: hat man Argwohn wegen einer Missethat, so forsche man nach der Wahrheit durch Ausrufen, wie es in der Judenstadt gewöhnlich ist. Wäre ich mir einer Lasterthat bewußt, so hätte ich mehr Hoffnung unter Juden un¬ gestraft zu bleiben, als unter den Christen, denn ich bin ein Enkel des Moses Abclcs, ihres Primators. Als man ihm aber wieder zusetzte, daß er gekom¬ men wäre, um unter den Christen eine Perücke, ein Deglein und alamodische Kleider zu tragen, machte der Knabe ein saures Gesicht und sprach: ich muß bekennen, daß ich lange Zeit keinen Judenkragcn getragen. Uebrigens ver¬ lange ich unter den Christen in keiner Kleidertracht zu prangen und will mit alten Lumpen zufrieden sein. Nachdem er solche ernsthafte Antwort von sich gegeben, fing er an die Handschuh von den Händen abzustreifen, den kleinen Degen abzugürten, die Perücke vom Kopf zu reißen und das saubere Ober¬ röcklein aufzuhefteln, entschlossen, so es nöthig wäre, dem entblößten Jesus unbekleidet nachzufolgen. Durch solche unerwartete Antwort und heldenhaften Entschluß zur Armuth, trieb er den Anwesenden Zähren aus den Augen. Als ihm aber befohlen wurde, sich wieder anzukleiden, zog ersieh bald wieder an und bezeugte mit gewichtigen Worten, die er öfter wiederholte, daß er von den Juden abtrete wegen ihres ärgerlichen Lebenswandels, sich aber den Christen zugeselle, um sich seines Heils zu versichern, weil ihm wohl bewußt wäre, daß es unmöglich sei, ohne Glauben selig zu werden. Als er aber gefragt wurde, wer ihn gelehrt, daß der Glaube nothwendig sei, das ewige Leben zu erwerben, sprach er sieben oder acht Mal: Gott, Gott, Gott allein, wobei er ebenso oft seufzte und mit beiden Händen auf seine Brust schlug. Jetzt trat er bald zu diesem, bald zu jenem Priester, füßle ihnen die Hände, fiel ihnen um die Knie und rief: Patres verlasset mich nicht, verstoßet mich nicht, schicket mich nicht wieder unter die Juden, unterweiset mich geschwind, geschwind, und (als ahnte und schwebte ihm das auslesende Uebel vor) tau¬ fet mich geschwind. Als nun Simon die Versicherung bekam, daß er den Lehrlingen im christlichen Glauben beigezählt werden sollte, schlug er in beide Hände und hüpfte vor Freuden auf. Alle seine Rede ging ihm so reif und bescheiden, hurtig und ohne alles Stammeln vom Munde, als hätte er es vorher lange erwogen und aus dem Schreibtäflein auswendig gelernt, so daß sich einer von den vier anwesenden Priestern mit Verwunderung zum andern wandte und lateinisch fragte: dieser Knabe hat ein Mundwerk und Verstand, wenn nicht über die Natur, doch wahrlich über sein Alter. Unterdeß war die finstere Nacht herangekommen, da aber sür dieses neue Nicodemerlein keine bequeme Nachtstätte vorhanden war, wurde er unter innerlichem Widerstreben meines Gemüthes in das Christenhaus, aus welchem Grenzboten IV. 13SS. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/457>, abgerufen am 26.07.2024.