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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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dem Verlornen, Sehnsucht nach dem Ungekannten. Unerreichbarem, Mißmuth,
Invectiven gegen Hindernisse jeder Art, Kampf gegen Mißgunst, Neid und
Verfolgung die klare Quelle trübt. Wie schwer ist es daher, dem Talent jeder
Art und jeden Grades begreiflich zu machen, daß die Muse das Leben
zwar gern begleitet, aber es keineswegs zu leiten versteht."




Das neue ministerielle Organ, die Preußische Zeitung, bringt einen Artikel über
die Angelegenheiten der Donaufürstenthümer, dessen Auffassung sehr wesentlich von
der des frühern Ministeriums abweicht. Auch diese veränderte Auffassung der aus¬
wärtigen Politik begrüßen wir mit Befriedigung, nicht blos weil sie der Sache selbst
entsprechender ist, sondern hauptsächlich weil sie die preußischen Interessen besser ver¬
tritt. Denn Preußen kann doch unmöglich feine Haltung in dieser Frage ausschlie߬
lich nach der Rücksicht auf die Walachen oder Rumänen abmessen, eine Rücksicht, die
ohnehin bei keiner der vier Großmächte vorwiegt, welche dabei ein näheres Interesse
haben. Es handelt sich hier um einen europäischen Conflict, in welchem Nußland
und Frankreich auf der einen, Oestreich ans der andern Seite steht, und in diesem
Conflict Partei zu nehmen, muß Preußen durch mächtigere Gründe bestimmt werden,
als durch die Berücksichtigung einer Bevölkerung, die es nichts angeht. Die Frage
verdient um so mehr eine Erörterung, da die Konstellation voraussichtlich noch längere
Zeit dieselbe bleiben wird.

Zwar geben wir aus das Kriegsgeschrei der französischen Journale gegen Oestreich
nicht viel. Im Gegentheil sind wir eher geneigt, wenn in Paris recht nachdrücklich
aus eine bestimmte Eventualität hingewiesen wird, das Entgegengesetzte derselben für
wahrscheinlich zu halten. Allein die Natur der Sache selbst ist bedrohlich genug.
In Italien steht der sardinische Staat und mit ihm der überwiegende Theil der
Gesammtbevölkerung dieser Halbinsel in beständiger Spannung gegen Oestreich. In
der Türkei sind die Interessen Rußlands und Oestreichs diametral entgegengesetzt.
Das französische Volk verlangt eine Beschäftigung für seine Phantasie, es will die
Erinnerung an den älteren Napoleon wieder auffrischen, und da dem Kaiser augen¬
scheinlich daran liegt, einen Punkt zu finden, wo er Ruhm gewinnen kann, ohne
in unmittelbaren Conflict mit England zu gerathen, so laßt sich nicht leicht absehn,
wo er diesen Punkt anders auffinden sollte, als in einem Conflict mit Oestreich,
namentlich in Bezug auf Italien. Bei einer solchen Disposition der Kräfte und
Stimmungen kann man keinen Augenblick sicher fein, daß nicht durch einen unbe¬
rechenbaren Zufall ein Krieg herbeigeführt wird, den ursprünglich keiner der Be¬
theiligten gewollt hat. Nicht anders war es bei der großen orientalischen Ver-


dem Verlornen, Sehnsucht nach dem Ungekannten. Unerreichbarem, Mißmuth,
Invectiven gegen Hindernisse jeder Art, Kampf gegen Mißgunst, Neid und
Verfolgung die klare Quelle trübt. Wie schwer ist es daher, dem Talent jeder
Art und jeden Grades begreiflich zu machen, daß die Muse das Leben
zwar gern begleitet, aber es keineswegs zu leiten versteht."




Das neue ministerielle Organ, die Preußische Zeitung, bringt einen Artikel über
die Angelegenheiten der Donaufürstenthümer, dessen Auffassung sehr wesentlich von
der des frühern Ministeriums abweicht. Auch diese veränderte Auffassung der aus¬
wärtigen Politik begrüßen wir mit Befriedigung, nicht blos weil sie der Sache selbst
entsprechender ist, sondern hauptsächlich weil sie die preußischen Interessen besser ver¬
tritt. Denn Preußen kann doch unmöglich feine Haltung in dieser Frage ausschlie߬
lich nach der Rücksicht auf die Walachen oder Rumänen abmessen, eine Rücksicht, die
ohnehin bei keiner der vier Großmächte vorwiegt, welche dabei ein näheres Interesse
haben. Es handelt sich hier um einen europäischen Conflict, in welchem Nußland
und Frankreich auf der einen, Oestreich ans der andern Seite steht, und in diesem
Conflict Partei zu nehmen, muß Preußen durch mächtigere Gründe bestimmt werden,
als durch die Berücksichtigung einer Bevölkerung, die es nichts angeht. Die Frage
verdient um so mehr eine Erörterung, da die Konstellation voraussichtlich noch längere
Zeit dieselbe bleiben wird.

Zwar geben wir aus das Kriegsgeschrei der französischen Journale gegen Oestreich
nicht viel. Im Gegentheil sind wir eher geneigt, wenn in Paris recht nachdrücklich
aus eine bestimmte Eventualität hingewiesen wird, das Entgegengesetzte derselben für
wahrscheinlich zu halten. Allein die Natur der Sache selbst ist bedrohlich genug.
In Italien steht der sardinische Staat und mit ihm der überwiegende Theil der
Gesammtbevölkerung dieser Halbinsel in beständiger Spannung gegen Oestreich. In
der Türkei sind die Interessen Rußlands und Oestreichs diametral entgegengesetzt.
Das französische Volk verlangt eine Beschäftigung für seine Phantasie, es will die
Erinnerung an den älteren Napoleon wieder auffrischen, und da dem Kaiser augen¬
scheinlich daran liegt, einen Punkt zu finden, wo er Ruhm gewinnen kann, ohne
in unmittelbaren Conflict mit England zu gerathen, so laßt sich nicht leicht absehn,
wo er diesen Punkt anders auffinden sollte, als in einem Conflict mit Oestreich,
namentlich in Bezug auf Italien. Bei einer solchen Disposition der Kräfte und
Stimmungen kann man keinen Augenblick sicher fein, daß nicht durch einen unbe¬
rechenbaren Zufall ein Krieg herbeigeführt wird, den ursprünglich keiner der Be¬
theiligten gewollt hat. Nicht anders war es bei der großen orientalischen Ver-


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[0444] dem Verlornen, Sehnsucht nach dem Ungekannten. Unerreichbarem, Mißmuth, Invectiven gegen Hindernisse jeder Art, Kampf gegen Mißgunst, Neid und Verfolgung die klare Quelle trübt. Wie schwer ist es daher, dem Talent jeder Art und jeden Grades begreiflich zu machen, daß die Muse das Leben zwar gern begleitet, aber es keineswegs zu leiten versteht." Das neue ministerielle Organ, die Preußische Zeitung, bringt einen Artikel über die Angelegenheiten der Donaufürstenthümer, dessen Auffassung sehr wesentlich von der des frühern Ministeriums abweicht. Auch diese veränderte Auffassung der aus¬ wärtigen Politik begrüßen wir mit Befriedigung, nicht blos weil sie der Sache selbst entsprechender ist, sondern hauptsächlich weil sie die preußischen Interessen besser ver¬ tritt. Denn Preußen kann doch unmöglich feine Haltung in dieser Frage ausschlie߬ lich nach der Rücksicht auf die Walachen oder Rumänen abmessen, eine Rücksicht, die ohnehin bei keiner der vier Großmächte vorwiegt, welche dabei ein näheres Interesse haben. Es handelt sich hier um einen europäischen Conflict, in welchem Nußland und Frankreich auf der einen, Oestreich ans der andern Seite steht, und in diesem Conflict Partei zu nehmen, muß Preußen durch mächtigere Gründe bestimmt werden, als durch die Berücksichtigung einer Bevölkerung, die es nichts angeht. Die Frage verdient um so mehr eine Erörterung, da die Konstellation voraussichtlich noch längere Zeit dieselbe bleiben wird. Zwar geben wir aus das Kriegsgeschrei der französischen Journale gegen Oestreich nicht viel. Im Gegentheil sind wir eher geneigt, wenn in Paris recht nachdrücklich aus eine bestimmte Eventualität hingewiesen wird, das Entgegengesetzte derselben für wahrscheinlich zu halten. Allein die Natur der Sache selbst ist bedrohlich genug. In Italien steht der sardinische Staat und mit ihm der überwiegende Theil der Gesammtbevölkerung dieser Halbinsel in beständiger Spannung gegen Oestreich. In der Türkei sind die Interessen Rußlands und Oestreichs diametral entgegengesetzt. Das französische Volk verlangt eine Beschäftigung für seine Phantasie, es will die Erinnerung an den älteren Napoleon wieder auffrischen, und da dem Kaiser augen¬ scheinlich daran liegt, einen Punkt zu finden, wo er Ruhm gewinnen kann, ohne in unmittelbaren Conflict mit England zu gerathen, so laßt sich nicht leicht absehn, wo er diesen Punkt anders auffinden sollte, als in einem Conflict mit Oestreich, namentlich in Bezug auf Italien. Bei einer solchen Disposition der Kräfte und Stimmungen kann man keinen Augenblick sicher fein, daß nicht durch einen unbe¬ rechenbaren Zufall ein Krieg herbeigeführt wird, den ursprünglich keiner der Be¬ theiligten gewollt hat. Nicht anders war es bei der großen orientalischen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/444>, abgerufen am 02.07.2024.