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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Geld geliehen. Diesen besucht er, um ihn.zu bezahlen. Strömfeld hat
durch einen Zufall die Entdeckung gemacht (in nicht ordnungsmäßiger aber
doch nicht grade unehrenhafter Weise), daß eine Eisenbahnconcession ertheilt
werden soll, er jammert darüber, daß er kein Capital besitzt, um diese Ent¬
deckung zu einem unermeßlichen Gewinn benutzen zu können. Von hier an
lassen wir den Verfasser selber sprechen.

"Bei aller Theilnahme für Stromfelds Schmerz und seine betrübte Lage
mußte ich das Unlogische seiner Denkweise mißbilligen und seinen Schmerz,
daß ihm eine unehrenhafte Handlung nicht denselben Nutzen bringe, den ein
Reicherer. Mächtigerer vielleicht daraus gezogen haben würde; vermied jedoch
jede Bemerkung, die nur seinen gereizten Zustand verschlimmert hätte, und
entfernte mich. Erst vor der Hausthür siel mir ein, daß ich doch gekommen
war, ihm das Darlehn zurückzustellen und ein Gedankenblitz zuckte vor mir:
Wie, wenn ich jetzt mit dem Gelde Buchwalds die Mittheilung Stromfelds
zu seinem und meinem Vortheil benutzte? Schon wollte ich umkehren, um
den Unglücklichen zu trösten, als mich der Gedanke zurückhielt, daß erstens
Strömfeld keine Gelegenheit gegeben werden dürfe, sich einer unrechten That
zu freuen, und daß ich mich auch vor allem vergewissern müsse, daß die Idee,
durch den Ankauf jener Actien einen bedeutenden und sichern Gewinn zu er¬
zielen, keine bloße Chimäre sei, um nicht den Vorsatz der Rücksendung des
Geldes an Buchwald aufgeben zu müssen. Auch war es mein fester Entschluß,
mich nicht in Börsenspicle einzulassen, wie sie Strömfeld eigentlich im Sinn
hatte, sondern das Papier fest zu kaufen und ruhig abzuwarten."

Kurz der Graf Dei Ponti benutzt die ihm von Strömfeld mitgetheilte
Kenntniß, ohne demselben etwas mitzutheilen, um mit den 5000 Gulden des
Bankiers zu speculiren. Nachdem er damit etwas über eine Million gewonnen,
schickt er die 5000 Gulden dem Bankier in einem verächtlichen Schreiben zurück.

Mochte man nicht rücklings überschlagen, wenn man so etwas liest! Das
ist dieselbe Sophistik des sittlichen Denkens und Empfindens, als deren ecla-
tantestes Beispiel wir ihrer Zeit die Ritter vom Geist charakterisirt haben, und
wie tief der zersetzende Einfluß dieser Sophistik gedrungen ist. zeigt eben das
vorliegende Beispiel. Der Verfasser empfindet im Ganzen so, wie ein anstän¬
diger Mensch empfinden soll. Er empfindet, um uns eines fremden aber pas¬
senden Ausdrucks zu bedienen wie ein Gentleman, und doch begegnet ihm
eine so tolle Extravaganz. Das Tolle liegt nämlich nicht darin, daß über¬
haupt so gehandelt wird, sondern daß der Held sehr anständig und sittlich
zu handeln glaubt und daß der Dichter ihm darin beipflichtet. --

Ein zweiter Roman von Adolph Weißer: "Der Tanz um das
goldene Kalb" (2 Bde. Stuttgart, Frnnckh) zeigt ein sehr erhebliches
Talent für realistische Darstellungen, das aber noch nicht zur Reise gediehen


Grenzboten IV. 1863. 55

Geld geliehen. Diesen besucht er, um ihn.zu bezahlen. Strömfeld hat
durch einen Zufall die Entdeckung gemacht (in nicht ordnungsmäßiger aber
doch nicht grade unehrenhafter Weise), daß eine Eisenbahnconcession ertheilt
werden soll, er jammert darüber, daß er kein Capital besitzt, um diese Ent¬
deckung zu einem unermeßlichen Gewinn benutzen zu können. Von hier an
lassen wir den Verfasser selber sprechen.

„Bei aller Theilnahme für Stromfelds Schmerz und seine betrübte Lage
mußte ich das Unlogische seiner Denkweise mißbilligen und seinen Schmerz,
daß ihm eine unehrenhafte Handlung nicht denselben Nutzen bringe, den ein
Reicherer. Mächtigerer vielleicht daraus gezogen haben würde; vermied jedoch
jede Bemerkung, die nur seinen gereizten Zustand verschlimmert hätte, und
entfernte mich. Erst vor der Hausthür siel mir ein, daß ich doch gekommen
war, ihm das Darlehn zurückzustellen und ein Gedankenblitz zuckte vor mir:
Wie, wenn ich jetzt mit dem Gelde Buchwalds die Mittheilung Stromfelds
zu seinem und meinem Vortheil benutzte? Schon wollte ich umkehren, um
den Unglücklichen zu trösten, als mich der Gedanke zurückhielt, daß erstens
Strömfeld keine Gelegenheit gegeben werden dürfe, sich einer unrechten That
zu freuen, und daß ich mich auch vor allem vergewissern müsse, daß die Idee,
durch den Ankauf jener Actien einen bedeutenden und sichern Gewinn zu er¬
zielen, keine bloße Chimäre sei, um nicht den Vorsatz der Rücksendung des
Geldes an Buchwald aufgeben zu müssen. Auch war es mein fester Entschluß,
mich nicht in Börsenspicle einzulassen, wie sie Strömfeld eigentlich im Sinn
hatte, sondern das Papier fest zu kaufen und ruhig abzuwarten."

Kurz der Graf Dei Ponti benutzt die ihm von Strömfeld mitgetheilte
Kenntniß, ohne demselben etwas mitzutheilen, um mit den 5000 Gulden des
Bankiers zu speculiren. Nachdem er damit etwas über eine Million gewonnen,
schickt er die 5000 Gulden dem Bankier in einem verächtlichen Schreiben zurück.

Mochte man nicht rücklings überschlagen, wenn man so etwas liest! Das
ist dieselbe Sophistik des sittlichen Denkens und Empfindens, als deren ecla-
tantestes Beispiel wir ihrer Zeit die Ritter vom Geist charakterisirt haben, und
wie tief der zersetzende Einfluß dieser Sophistik gedrungen ist. zeigt eben das
vorliegende Beispiel. Der Verfasser empfindet im Ganzen so, wie ein anstän¬
diger Mensch empfinden soll. Er empfindet, um uns eines fremden aber pas¬
senden Ausdrucks zu bedienen wie ein Gentleman, und doch begegnet ihm
eine so tolle Extravaganz. Das Tolle liegt nämlich nicht darin, daß über¬
haupt so gehandelt wird, sondern daß der Held sehr anständig und sittlich
zu handeln glaubt und daß der Dichter ihm darin beipflichtet. —

Ein zweiter Roman von Adolph Weißer: „Der Tanz um das
goldene Kalb" (2 Bde. Stuttgart, Frnnckh) zeigt ein sehr erhebliches
Talent für realistische Darstellungen, das aber noch nicht zur Reise gediehen


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[0441] Geld geliehen. Diesen besucht er, um ihn.zu bezahlen. Strömfeld hat durch einen Zufall die Entdeckung gemacht (in nicht ordnungsmäßiger aber doch nicht grade unehrenhafter Weise), daß eine Eisenbahnconcession ertheilt werden soll, er jammert darüber, daß er kein Capital besitzt, um diese Ent¬ deckung zu einem unermeßlichen Gewinn benutzen zu können. Von hier an lassen wir den Verfasser selber sprechen. „Bei aller Theilnahme für Stromfelds Schmerz und seine betrübte Lage mußte ich das Unlogische seiner Denkweise mißbilligen und seinen Schmerz, daß ihm eine unehrenhafte Handlung nicht denselben Nutzen bringe, den ein Reicherer. Mächtigerer vielleicht daraus gezogen haben würde; vermied jedoch jede Bemerkung, die nur seinen gereizten Zustand verschlimmert hätte, und entfernte mich. Erst vor der Hausthür siel mir ein, daß ich doch gekommen war, ihm das Darlehn zurückzustellen und ein Gedankenblitz zuckte vor mir: Wie, wenn ich jetzt mit dem Gelde Buchwalds die Mittheilung Stromfelds zu seinem und meinem Vortheil benutzte? Schon wollte ich umkehren, um den Unglücklichen zu trösten, als mich der Gedanke zurückhielt, daß erstens Strömfeld keine Gelegenheit gegeben werden dürfe, sich einer unrechten That zu freuen, und daß ich mich auch vor allem vergewissern müsse, daß die Idee, durch den Ankauf jener Actien einen bedeutenden und sichern Gewinn zu er¬ zielen, keine bloße Chimäre sei, um nicht den Vorsatz der Rücksendung des Geldes an Buchwald aufgeben zu müssen. Auch war es mein fester Entschluß, mich nicht in Börsenspicle einzulassen, wie sie Strömfeld eigentlich im Sinn hatte, sondern das Papier fest zu kaufen und ruhig abzuwarten." Kurz der Graf Dei Ponti benutzt die ihm von Strömfeld mitgetheilte Kenntniß, ohne demselben etwas mitzutheilen, um mit den 5000 Gulden des Bankiers zu speculiren. Nachdem er damit etwas über eine Million gewonnen, schickt er die 5000 Gulden dem Bankier in einem verächtlichen Schreiben zurück. Mochte man nicht rücklings überschlagen, wenn man so etwas liest! Das ist dieselbe Sophistik des sittlichen Denkens und Empfindens, als deren ecla- tantestes Beispiel wir ihrer Zeit die Ritter vom Geist charakterisirt haben, und wie tief der zersetzende Einfluß dieser Sophistik gedrungen ist. zeigt eben das vorliegende Beispiel. Der Verfasser empfindet im Ganzen so, wie ein anstän¬ diger Mensch empfinden soll. Er empfindet, um uns eines fremden aber pas¬ senden Ausdrucks zu bedienen wie ein Gentleman, und doch begegnet ihm eine so tolle Extravaganz. Das Tolle liegt nämlich nicht darin, daß über¬ haupt so gehandelt wird, sondern daß der Held sehr anständig und sittlich zu handeln glaubt und daß der Dichter ihm darin beipflichtet. — Ein zweiter Roman von Adolph Weißer: „Der Tanz um das goldene Kalb" (2 Bde. Stuttgart, Frnnckh) zeigt ein sehr erhebliches Talent für realistische Darstellungen, das aber noch nicht zur Reise gediehen Grenzboten IV. 1863. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/441>, abgerufen am 26.07.2024.