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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Ich war überrascht von dem Talente dieses Natursohnes, der seine ur¬
wüchsige Physiognomie so meisterlich in wichtige Polizeiamtsmiencn zu falten
wußte; aber noch mehr wurde ich überrascht, als der gelbe Insulaner ein
Protokoll mit mir aufnahm, wie es in Hochverrathsangelegcnheiten nicht
strenger zu geschehen pflegt. Mein Charakter " Tonkünstler" gab mir am mei¬
sten zu schaffen, denn der Glückliche wußte noch gar nichts vom "Concert¬
geber"; Tonkünstler und Flibustier schien ihm gleichbedeutend, und das Wort
"Violinspieler" war ihm so unklar und verdächtig, daß er, ängstlich die Achsel
zuckend, eine gefährliche Freibeuterei dahinter witterte. Er sagte, die Sache
sei ihm sehr verdächtig, und klingelte einige halbnackte Büttel herbei, die mich
still in ihre Mitte nahmen. Voran schritt gravitätisch der Beamte, in der
Mitteich, Hintennach die Büttel, und so ging es fort zum Gouverneur. Ich
konnte vor Lachen nicht an mich halten, trotzdem meine Lage nicht sehr lustig
war, und je mehr mich der Natursohn mit wüthenden Geberden zurechtwies,
desto mehr platzte ich heraus.

Man denke sich meine unschuldige Persönlichkeit, in gelben Nankinghosen,
kurzem, lichtem Röckchen, und den Palmenhut mit rothem Bande auf dem
Kopf, in der Mitte dieses imposanten Zuges durch die Straßen Tahitis
hinmarschircnd; die liebe Straßenjugend und andere Eingeborene, die mich
in der Gewalt der Häscher erblickten, liefen jubelnd Hintennach, und so
hielt ich meinen Einzug, aus dem man entnehmen kann, daß einem reisenden
Virtuosen nicht überall Kränze und Lorbeern blühen, obwol letztere hier wild
wachsen.

Der Gouverneur nahm mich mit echt französischer Liebenswürdigkeit auf,
entschuldigte sich des strengen Verfahrens wegen, versprach mir mit allem
Möglichen an die Hand zu gehen, und der braune Polizeicommissär, der sich
um den Nuhm, einen gefährlichen Flibustier entdeckt zu haben, betrogen sah,
nahm weiter keinen Anstand, mir eine Aufenthaltskarte auszuhändigen, ob¬
wol das mystische Dunkel, welches bei, ihm über die Worte Virtuos, Violin
schwebte, noch immer nicht gelüftet schien.

Die Franzosen haben sich nach und nach so zu Herren der Insel gemacht,
und breiten ihren Schutz so weit aus. daß die armen Eingeborenen gewiß
viel lieber wünschten, sie wären weit weggeblieben. Kanonen sind überall
aufgepflanzt, Soldaten liegen überall vertheilt, halten alle festen Plätze besetzt,
oder ziehen schwer bewaffnet durch die Straßen, während die halbnackten
Eingeborenen friedlich und unbewaffnet gegen solche Truppenzüge wunderlich
abstechen. Um acht Uhr Abends ertönt ein Kanonenschuß, und nach diesem darf
kein Eingeborener mehr in den Straßen gefunden werden. Jetzt sieht man
die Indianer scharenweise nach Hause strömen, die mit verdrießlichen Gesich¬
tern die Schenkstuben verlassen, welche großentheils von den Franzosen mit


Ich war überrascht von dem Talente dieses Natursohnes, der seine ur¬
wüchsige Physiognomie so meisterlich in wichtige Polizeiamtsmiencn zu falten
wußte; aber noch mehr wurde ich überrascht, als der gelbe Insulaner ein
Protokoll mit mir aufnahm, wie es in Hochverrathsangelegcnheiten nicht
strenger zu geschehen pflegt. Mein Charakter „ Tonkünstler" gab mir am mei¬
sten zu schaffen, denn der Glückliche wußte noch gar nichts vom „Concert¬
geber"; Tonkünstler und Flibustier schien ihm gleichbedeutend, und das Wort
„Violinspieler" war ihm so unklar und verdächtig, daß er, ängstlich die Achsel
zuckend, eine gefährliche Freibeuterei dahinter witterte. Er sagte, die Sache
sei ihm sehr verdächtig, und klingelte einige halbnackte Büttel herbei, die mich
still in ihre Mitte nahmen. Voran schritt gravitätisch der Beamte, in der
Mitteich, Hintennach die Büttel, und so ging es fort zum Gouverneur. Ich
konnte vor Lachen nicht an mich halten, trotzdem meine Lage nicht sehr lustig
war, und je mehr mich der Natursohn mit wüthenden Geberden zurechtwies,
desto mehr platzte ich heraus.

Man denke sich meine unschuldige Persönlichkeit, in gelben Nankinghosen,
kurzem, lichtem Röckchen, und den Palmenhut mit rothem Bande auf dem
Kopf, in der Mitte dieses imposanten Zuges durch die Straßen Tahitis
hinmarschircnd; die liebe Straßenjugend und andere Eingeborene, die mich
in der Gewalt der Häscher erblickten, liefen jubelnd Hintennach, und so
hielt ich meinen Einzug, aus dem man entnehmen kann, daß einem reisenden
Virtuosen nicht überall Kränze und Lorbeern blühen, obwol letztere hier wild
wachsen.

Der Gouverneur nahm mich mit echt französischer Liebenswürdigkeit auf,
entschuldigte sich des strengen Verfahrens wegen, versprach mir mit allem
Möglichen an die Hand zu gehen, und der braune Polizeicommissär, der sich
um den Nuhm, einen gefährlichen Flibustier entdeckt zu haben, betrogen sah,
nahm weiter keinen Anstand, mir eine Aufenthaltskarte auszuhändigen, ob¬
wol das mystische Dunkel, welches bei, ihm über die Worte Virtuos, Violin
schwebte, noch immer nicht gelüftet schien.

Die Franzosen haben sich nach und nach so zu Herren der Insel gemacht,
und breiten ihren Schutz so weit aus. daß die armen Eingeborenen gewiß
viel lieber wünschten, sie wären weit weggeblieben. Kanonen sind überall
aufgepflanzt, Soldaten liegen überall vertheilt, halten alle festen Plätze besetzt,
oder ziehen schwer bewaffnet durch die Straßen, während die halbnackten
Eingeborenen friedlich und unbewaffnet gegen solche Truppenzüge wunderlich
abstechen. Um acht Uhr Abends ertönt ein Kanonenschuß, und nach diesem darf
kein Eingeborener mehr in den Straßen gefunden werden. Jetzt sieht man
die Indianer scharenweise nach Hause strömen, die mit verdrießlichen Gesich¬
tern die Schenkstuben verlassen, welche großentheils von den Franzosen mit


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[0430] Ich war überrascht von dem Talente dieses Natursohnes, der seine ur¬ wüchsige Physiognomie so meisterlich in wichtige Polizeiamtsmiencn zu falten wußte; aber noch mehr wurde ich überrascht, als der gelbe Insulaner ein Protokoll mit mir aufnahm, wie es in Hochverrathsangelegcnheiten nicht strenger zu geschehen pflegt. Mein Charakter „ Tonkünstler" gab mir am mei¬ sten zu schaffen, denn der Glückliche wußte noch gar nichts vom „Concert¬ geber"; Tonkünstler und Flibustier schien ihm gleichbedeutend, und das Wort „Violinspieler" war ihm so unklar und verdächtig, daß er, ängstlich die Achsel zuckend, eine gefährliche Freibeuterei dahinter witterte. Er sagte, die Sache sei ihm sehr verdächtig, und klingelte einige halbnackte Büttel herbei, die mich still in ihre Mitte nahmen. Voran schritt gravitätisch der Beamte, in der Mitteich, Hintennach die Büttel, und so ging es fort zum Gouverneur. Ich konnte vor Lachen nicht an mich halten, trotzdem meine Lage nicht sehr lustig war, und je mehr mich der Natursohn mit wüthenden Geberden zurechtwies, desto mehr platzte ich heraus. Man denke sich meine unschuldige Persönlichkeit, in gelben Nankinghosen, kurzem, lichtem Röckchen, und den Palmenhut mit rothem Bande auf dem Kopf, in der Mitte dieses imposanten Zuges durch die Straßen Tahitis hinmarschircnd; die liebe Straßenjugend und andere Eingeborene, die mich in der Gewalt der Häscher erblickten, liefen jubelnd Hintennach, und so hielt ich meinen Einzug, aus dem man entnehmen kann, daß einem reisenden Virtuosen nicht überall Kränze und Lorbeern blühen, obwol letztere hier wild wachsen. Der Gouverneur nahm mich mit echt französischer Liebenswürdigkeit auf, entschuldigte sich des strengen Verfahrens wegen, versprach mir mit allem Möglichen an die Hand zu gehen, und der braune Polizeicommissär, der sich um den Nuhm, einen gefährlichen Flibustier entdeckt zu haben, betrogen sah, nahm weiter keinen Anstand, mir eine Aufenthaltskarte auszuhändigen, ob¬ wol das mystische Dunkel, welches bei, ihm über die Worte Virtuos, Violin schwebte, noch immer nicht gelüftet schien. Die Franzosen haben sich nach und nach so zu Herren der Insel gemacht, und breiten ihren Schutz so weit aus. daß die armen Eingeborenen gewiß viel lieber wünschten, sie wären weit weggeblieben. Kanonen sind überall aufgepflanzt, Soldaten liegen überall vertheilt, halten alle festen Plätze besetzt, oder ziehen schwer bewaffnet durch die Straßen, während die halbnackten Eingeborenen friedlich und unbewaffnet gegen solche Truppenzüge wunderlich abstechen. Um acht Uhr Abends ertönt ein Kanonenschuß, und nach diesem darf kein Eingeborener mehr in den Straßen gefunden werden. Jetzt sieht man die Indianer scharenweise nach Hause strömen, die mit verdrießlichen Gesich¬ tern die Schenkstuben verlassen, welche großentheils von den Franzosen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/430>, abgerufen am 05.07.2024.