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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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bedeutend zu überwiegen. Wenn man in Schiller mehr den Philosophen sucht
als in Goethe, so liegt das in der eigenthümlichen Methode wie beide ar¬
beiteten. Schiller war es unerträglich, etwas Dunkles in seinem Geist zu lassen;
sobald ihn der philosophische Zweifel einmal erfaßt hatte, kämpfte er ihn mit
seiner eisernen Willenskraft durch, bis er zum Abschluß kam. Er hat Jahre¬
lang in der kritischen Philosophie gearbeitet, und es sind eine Reihe bedeu¬
tender Schriften daraus hervorgegangen^ die selbst dem Altmeister in Königsberg
Beifall abgewannen; aber vergleichen wir den Gehalt speculativer Ideen, die
sich adh Resultat auswiesen Schriften ergeben, mit dem. was Goethe in seine
sämmtlichen Werke und auch in seine Briefe verstreut hat. so erscheint uns
Goethe als ein speculativerer Kopf. Freilich hat er seine Ansichten nicht mit
der peinlichen Anstrengung seines Freundes, nicht mit dialektischen Scharfsinn
ausgesponnen z sie kamen ihm von selbst, entweder unmittelbar aus dem Ge¬
müth oder aus der ruhigen Betrachtung der Dinge: aber die Zeit ist vorüber,
wo man Philosophie mit Systcmmacherei verwechselte.

Der große Gegensatz zwischen den beiden Dichtern lag vielmehr, wie wir
schon bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt haben, darin, daß Goethe bei
seiner glücklicher und gesunder angelegten Natur die Eingebungen von selber
kamen, daß er sie mit der größten Bequemlichkeit gewähren ließ und durch
den Willen so wenig wie irgend möglich hinzuthat; während Schiller einer
widerstrebenden Natur durch gewaltige Willenskraft alles abringen mußte.
Schillers Entwickelung schreitet daher von Stufe zu Stufe regelmäßig zu immer
schönerer Entfaltung fort, nicht blos als Dichter, sondern als Mensch. In
Goethes Leben, wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, ist keine innere
Nothwendigkeit; viel reicher und blütenvoller als das seines hartgeprüften
Freundes, rankte es sich doch wie ein üppiges Schlinggewächs um jenen selt¬
sam gewundenen Stamm, den er als sein Dämonisches bezeichnete, während
der Baum von Schillers Leben durch hartes, sprödes Erdreich, durch Hinder¬
nisse aller Art grade auf zum Himmel strebt.

Es wird dem deutschen Volk sehr heilsam sein, den Dichter aus unmittel¬
barer Anschauung, nicht durch den Nebel herkömmlicher Reflexionen kennen zu
lernen. Die angeführten Bücher gewähren dazu ein werthvolles Material.

Das Buch von Hoffmeister ist ein Auszug aus seinem größeren Werk,
theils von ihm selbst, theils von seinem Freunde Viehof bearbeitet. Die
ästhetischen Commentare sind auf einen möglichst kleinen Raum eingeschränkt,
daher tritt das Biographische deutlicher hervor und man gewinnt ein freilich
nicht detaillirtes. aber in seinen großen Umrissen vollkommen kenntliches Bild.
Wir stehen nicht an, das Buch mit Rücksicht aus seinen populären Zweck als
ein musterhaftes zu bezeichnen. Die Erzählung ist klar und übersichtlich, das


Grenzboten IV. 1858. 52

bedeutend zu überwiegen. Wenn man in Schiller mehr den Philosophen sucht
als in Goethe, so liegt das in der eigenthümlichen Methode wie beide ar¬
beiteten. Schiller war es unerträglich, etwas Dunkles in seinem Geist zu lassen;
sobald ihn der philosophische Zweifel einmal erfaßt hatte, kämpfte er ihn mit
seiner eisernen Willenskraft durch, bis er zum Abschluß kam. Er hat Jahre¬
lang in der kritischen Philosophie gearbeitet, und es sind eine Reihe bedeu¬
tender Schriften daraus hervorgegangen^ die selbst dem Altmeister in Königsberg
Beifall abgewannen; aber vergleichen wir den Gehalt speculativer Ideen, die
sich adh Resultat auswiesen Schriften ergeben, mit dem. was Goethe in seine
sämmtlichen Werke und auch in seine Briefe verstreut hat. so erscheint uns
Goethe als ein speculativerer Kopf. Freilich hat er seine Ansichten nicht mit
der peinlichen Anstrengung seines Freundes, nicht mit dialektischen Scharfsinn
ausgesponnen z sie kamen ihm von selbst, entweder unmittelbar aus dem Ge¬
müth oder aus der ruhigen Betrachtung der Dinge: aber die Zeit ist vorüber,
wo man Philosophie mit Systcmmacherei verwechselte.

Der große Gegensatz zwischen den beiden Dichtern lag vielmehr, wie wir
schon bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt haben, darin, daß Goethe bei
seiner glücklicher und gesunder angelegten Natur die Eingebungen von selber
kamen, daß er sie mit der größten Bequemlichkeit gewähren ließ und durch
den Willen so wenig wie irgend möglich hinzuthat; während Schiller einer
widerstrebenden Natur durch gewaltige Willenskraft alles abringen mußte.
Schillers Entwickelung schreitet daher von Stufe zu Stufe regelmäßig zu immer
schönerer Entfaltung fort, nicht blos als Dichter, sondern als Mensch. In
Goethes Leben, wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, ist keine innere
Nothwendigkeit; viel reicher und blütenvoller als das seines hartgeprüften
Freundes, rankte es sich doch wie ein üppiges Schlinggewächs um jenen selt¬
sam gewundenen Stamm, den er als sein Dämonisches bezeichnete, während
der Baum von Schillers Leben durch hartes, sprödes Erdreich, durch Hinder¬
nisse aller Art grade auf zum Himmel strebt.

Es wird dem deutschen Volk sehr heilsam sein, den Dichter aus unmittel¬
barer Anschauung, nicht durch den Nebel herkömmlicher Reflexionen kennen zu
lernen. Die angeführten Bücher gewähren dazu ein werthvolles Material.

Das Buch von Hoffmeister ist ein Auszug aus seinem größeren Werk,
theils von ihm selbst, theils von seinem Freunde Viehof bearbeitet. Die
ästhetischen Commentare sind auf einen möglichst kleinen Raum eingeschränkt,
daher tritt das Biographische deutlicher hervor und man gewinnt ein freilich
nicht detaillirtes. aber in seinen großen Umrissen vollkommen kenntliches Bild.
Wir stehen nicht an, das Buch mit Rücksicht aus seinen populären Zweck als
ein musterhaftes zu bezeichnen. Die Erzählung ist klar und übersichtlich, das


Grenzboten IV. 1858. 52
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[0417] bedeutend zu überwiegen. Wenn man in Schiller mehr den Philosophen sucht als in Goethe, so liegt das in der eigenthümlichen Methode wie beide ar¬ beiteten. Schiller war es unerträglich, etwas Dunkles in seinem Geist zu lassen; sobald ihn der philosophische Zweifel einmal erfaßt hatte, kämpfte er ihn mit seiner eisernen Willenskraft durch, bis er zum Abschluß kam. Er hat Jahre¬ lang in der kritischen Philosophie gearbeitet, und es sind eine Reihe bedeu¬ tender Schriften daraus hervorgegangen^ die selbst dem Altmeister in Königsberg Beifall abgewannen; aber vergleichen wir den Gehalt speculativer Ideen, die sich adh Resultat auswiesen Schriften ergeben, mit dem. was Goethe in seine sämmtlichen Werke und auch in seine Briefe verstreut hat. so erscheint uns Goethe als ein speculativerer Kopf. Freilich hat er seine Ansichten nicht mit der peinlichen Anstrengung seines Freundes, nicht mit dialektischen Scharfsinn ausgesponnen z sie kamen ihm von selbst, entweder unmittelbar aus dem Ge¬ müth oder aus der ruhigen Betrachtung der Dinge: aber die Zeit ist vorüber, wo man Philosophie mit Systcmmacherei verwechselte. Der große Gegensatz zwischen den beiden Dichtern lag vielmehr, wie wir schon bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt haben, darin, daß Goethe bei seiner glücklicher und gesunder angelegten Natur die Eingebungen von selber kamen, daß er sie mit der größten Bequemlichkeit gewähren ließ und durch den Willen so wenig wie irgend möglich hinzuthat; während Schiller einer widerstrebenden Natur durch gewaltige Willenskraft alles abringen mußte. Schillers Entwickelung schreitet daher von Stufe zu Stufe regelmäßig zu immer schönerer Entfaltung fort, nicht blos als Dichter, sondern als Mensch. In Goethes Leben, wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, ist keine innere Nothwendigkeit; viel reicher und blütenvoller als das seines hartgeprüften Freundes, rankte es sich doch wie ein üppiges Schlinggewächs um jenen selt¬ sam gewundenen Stamm, den er als sein Dämonisches bezeichnete, während der Baum von Schillers Leben durch hartes, sprödes Erdreich, durch Hinder¬ nisse aller Art grade auf zum Himmel strebt. Es wird dem deutschen Volk sehr heilsam sein, den Dichter aus unmittel¬ barer Anschauung, nicht durch den Nebel herkömmlicher Reflexionen kennen zu lernen. Die angeführten Bücher gewähren dazu ein werthvolles Material. Das Buch von Hoffmeister ist ein Auszug aus seinem größeren Werk, theils von ihm selbst, theils von seinem Freunde Viehof bearbeitet. Die ästhetischen Commentare sind auf einen möglichst kleinen Raum eingeschränkt, daher tritt das Biographische deutlicher hervor und man gewinnt ein freilich nicht detaillirtes. aber in seinen großen Umrissen vollkommen kenntliches Bild. Wir stehen nicht an, das Buch mit Rücksicht aus seinen populären Zweck als ein musterhaftes zu bezeichnen. Die Erzählung ist klar und übersichtlich, das Grenzboten IV. 1858. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/417>, abgerufen am 25.07.2024.