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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sten Motive der menschlichen Sünde Aufschlüsse, die selbst sein Publicum in
Erstaunen setzen werden. Eine der interessantesten Auseinandersetzungen finden
wir 2. B. S. 278.

"Wer entwickelt einmal aus den dunkelsten Tiefen des Menschenbewußt¬
seins heraus die Bedeutung der mosaischen Speisegesetze? Abgesehen von den
seltsamen Appetiten der Spinnenverzehrer und Maikäferfresser, von denen die
ersteren, so viel ich beobachtet habe, meistens in geistiger Verzerrung, die an¬
dern in Trunksucht endigen, gibt es immer manche, welche Füchse und Ratten
gern essen; nach meiner Erfahrung zugleich Menschen, welche von den Sitten
und von dem Verkehr der Welt sich auch sonst fast völlig absonderten, zuwei¬
len solche, welche noch dazu leiblich und geistig ganz herabgekommen waren.
Und eine Gesellschaft Pferdefresser, welche vor einigen Jahren zusammentrat,
jetzt aber sammt und sonders nach Amerika ausgewandert ist, zeigte sich -- bis¬
her wenigstens leidlich umgänglich und vernünftig -- von da an als ganz beson¬
ders unzugänglich gegen jede nur einigermaßen geistige Berührung, die Meisten
als roh, brutal, fast bestialisch. Als ich ein Jahr später einer Versammlung
von Deutschkatholiken und Lichtfreunden beiwohnte, wurde ich alsbald und
unwillkürlich an den Ton der Stimme und an das Gebcchren jener Pferde¬
fleischfresser erinnert, und dieselbe Erinnerung tauchte 1848 bei dem ersten Er¬
scheinen der Demokraten mit ihren rothen, rollenden Branntweinaugcn und
ihren wilden Bierstimmen, wieder auf. Das Eine wie das Andere, das Wesen
der. Pferdefresser und der Demokraten, war ja freilich rohes Gelüste nach dem
Fremden und Unbekannten, zügellose Probiersucht; aber es war wol auch mehr,
und der Verbindungspunkt liegt noch tiefer." "

Das ist ein unerwarteter Aufschluß: um so unerwarteter, da im Wesent¬
lichen die Ansicht des Consistorialrath Vilmar mit der des Philosophen Feuer-
bach zusammenfällt, der in seinen Fragmenten den Satz ausstellt: der Mensch
ist, was er ißt. Nur ein Punkt ist uns nicht ganz verständlich. Warum ist
es grade das Pferdefleisch,'in dem wir d/n Teufel essen? im Mosaischen Ge¬
setz ist doch hauptsächlich das Schweinefleisch verboten, und es steht geschrieben,
daß der Teufel in eine Herde Schweine getrieben wurde. Nun hat aber die
gesammte Christenheit ein Jahrtausend hindurch mit schrecklicher Ausdauer
Schweinefleisch gegessen, und man müßte daher annehmen, daß sie recht vom
Satan besessen gewesen ist, mehr als die Juden, denen das rohe Gelüst nach
dem Fremden und Unbekannten, die zügellose Probiersucht weniger innewohnte,
die noch immer Schinken und Wurst verschmähen. Oder sollte es wirklich
daran liegen? sollte die Bluthochzeit und die französische Revolution daraus
zu erklären sein, daß Katharina v. Medici dem wilden Schweinskopf nicht
abhold war und daß Mirabeau an Saucischen Vergnügen fand? Vielleicht
gibt uns der Herr Consistorialrath Vilmar darüber Auskunft.


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sten Motive der menschlichen Sünde Aufschlüsse, die selbst sein Publicum in
Erstaunen setzen werden. Eine der interessantesten Auseinandersetzungen finden
wir 2. B. S. 278.

„Wer entwickelt einmal aus den dunkelsten Tiefen des Menschenbewußt¬
seins heraus die Bedeutung der mosaischen Speisegesetze? Abgesehen von den
seltsamen Appetiten der Spinnenverzehrer und Maikäferfresser, von denen die
ersteren, so viel ich beobachtet habe, meistens in geistiger Verzerrung, die an¬
dern in Trunksucht endigen, gibt es immer manche, welche Füchse und Ratten
gern essen; nach meiner Erfahrung zugleich Menschen, welche von den Sitten
und von dem Verkehr der Welt sich auch sonst fast völlig absonderten, zuwei¬
len solche, welche noch dazu leiblich und geistig ganz herabgekommen waren.
Und eine Gesellschaft Pferdefresser, welche vor einigen Jahren zusammentrat,
jetzt aber sammt und sonders nach Amerika ausgewandert ist, zeigte sich — bis¬
her wenigstens leidlich umgänglich und vernünftig — von da an als ganz beson¬
ders unzugänglich gegen jede nur einigermaßen geistige Berührung, die Meisten
als roh, brutal, fast bestialisch. Als ich ein Jahr später einer Versammlung
von Deutschkatholiken und Lichtfreunden beiwohnte, wurde ich alsbald und
unwillkürlich an den Ton der Stimme und an das Gebcchren jener Pferde¬
fleischfresser erinnert, und dieselbe Erinnerung tauchte 1848 bei dem ersten Er¬
scheinen der Demokraten mit ihren rothen, rollenden Branntweinaugcn und
ihren wilden Bierstimmen, wieder auf. Das Eine wie das Andere, das Wesen
der. Pferdefresser und der Demokraten, war ja freilich rohes Gelüste nach dem
Fremden und Unbekannten, zügellose Probiersucht; aber es war wol auch mehr,
und der Verbindungspunkt liegt noch tiefer." «

Das ist ein unerwarteter Aufschluß: um so unerwarteter, da im Wesent¬
lichen die Ansicht des Consistorialrath Vilmar mit der des Philosophen Feuer-
bach zusammenfällt, der in seinen Fragmenten den Satz ausstellt: der Mensch
ist, was er ißt. Nur ein Punkt ist uns nicht ganz verständlich. Warum ist
es grade das Pferdefleisch,'in dem wir d/n Teufel essen? im Mosaischen Ge¬
setz ist doch hauptsächlich das Schweinefleisch verboten, und es steht geschrieben,
daß der Teufel in eine Herde Schweine getrieben wurde. Nun hat aber die
gesammte Christenheit ein Jahrtausend hindurch mit schrecklicher Ausdauer
Schweinefleisch gegessen, und man müßte daher annehmen, daß sie recht vom
Satan besessen gewesen ist, mehr als die Juden, denen das rohe Gelüst nach
dem Fremden und Unbekannten, die zügellose Probiersucht weniger innewohnte,
die noch immer Schinken und Wurst verschmähen. Oder sollte es wirklich
daran liegen? sollte die Bluthochzeit und die französische Revolution daraus
zu erklären sein, daß Katharina v. Medici dem wilden Schweinskopf nicht
abhold war und daß Mirabeau an Saucischen Vergnügen fand? Vielleicht
gibt uns der Herr Consistorialrath Vilmar darüber Auskunft.


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[0371] sten Motive der menschlichen Sünde Aufschlüsse, die selbst sein Publicum in Erstaunen setzen werden. Eine der interessantesten Auseinandersetzungen finden wir 2. B. S. 278. „Wer entwickelt einmal aus den dunkelsten Tiefen des Menschenbewußt¬ seins heraus die Bedeutung der mosaischen Speisegesetze? Abgesehen von den seltsamen Appetiten der Spinnenverzehrer und Maikäferfresser, von denen die ersteren, so viel ich beobachtet habe, meistens in geistiger Verzerrung, die an¬ dern in Trunksucht endigen, gibt es immer manche, welche Füchse und Ratten gern essen; nach meiner Erfahrung zugleich Menschen, welche von den Sitten und von dem Verkehr der Welt sich auch sonst fast völlig absonderten, zuwei¬ len solche, welche noch dazu leiblich und geistig ganz herabgekommen waren. Und eine Gesellschaft Pferdefresser, welche vor einigen Jahren zusammentrat, jetzt aber sammt und sonders nach Amerika ausgewandert ist, zeigte sich — bis¬ her wenigstens leidlich umgänglich und vernünftig — von da an als ganz beson¬ ders unzugänglich gegen jede nur einigermaßen geistige Berührung, die Meisten als roh, brutal, fast bestialisch. Als ich ein Jahr später einer Versammlung von Deutschkatholiken und Lichtfreunden beiwohnte, wurde ich alsbald und unwillkürlich an den Ton der Stimme und an das Gebcchren jener Pferde¬ fleischfresser erinnert, und dieselbe Erinnerung tauchte 1848 bei dem ersten Er¬ scheinen der Demokraten mit ihren rothen, rollenden Branntweinaugcn und ihren wilden Bierstimmen, wieder auf. Das Eine wie das Andere, das Wesen der. Pferdefresser und der Demokraten, war ja freilich rohes Gelüste nach dem Fremden und Unbekannten, zügellose Probiersucht; aber es war wol auch mehr, und der Verbindungspunkt liegt noch tiefer." « Das ist ein unerwarteter Aufschluß: um so unerwarteter, da im Wesent¬ lichen die Ansicht des Consistorialrath Vilmar mit der des Philosophen Feuer- bach zusammenfällt, der in seinen Fragmenten den Satz ausstellt: der Mensch ist, was er ißt. Nur ein Punkt ist uns nicht ganz verständlich. Warum ist es grade das Pferdefleisch,'in dem wir d/n Teufel essen? im Mosaischen Ge¬ setz ist doch hauptsächlich das Schweinefleisch verboten, und es steht geschrieben, daß der Teufel in eine Herde Schweine getrieben wurde. Nun hat aber die gesammte Christenheit ein Jahrtausend hindurch mit schrecklicher Ausdauer Schweinefleisch gegessen, und man müßte daher annehmen, daß sie recht vom Satan besessen gewesen ist, mehr als die Juden, denen das rohe Gelüst nach dem Fremden und Unbekannten, die zügellose Probiersucht weniger innewohnte, die noch immer Schinken und Wurst verschmähen. Oder sollte es wirklich daran liegen? sollte die Bluthochzeit und die französische Revolution daraus zu erklären sein, daß Katharina v. Medici dem wilden Schweinskopf nicht abhold war und daß Mirabeau an Saucischen Vergnügen fand? Vielleicht gibt uns der Herr Consistorialrath Vilmar darüber Auskunft. 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/371>, abgerufen am 03.07.2024.