Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist das Generalgesetz für das spanische wie englische Amerika. Wie die
Felder eines Schachbretts kreuzen und theilen sich die Straßen, lange schnur¬
gerade Streifen, ohne Schatten, ohne Baum und gleichmäßige Gevierte
(Cuadras) von niedrigen Häusern, die Quadratfelder zwischen den vielen Lang-
und Querstreifen. Genau nach den vier Weltgegenden ziehen sich letztere hin,
so daß die Stadt von Ost nach West fast ebenso ausgedehnt ist, wie von
Nord nach Süd. Aber anziehend ist der Anblick doch; zwar heben sich nur zwei
Thürme von Bedeutung heraus, der hohe dickleibige Thurm der niedrigen
Kathedrale und etwas nördlicher der von Alta Gracia, aber weit stolzer
ragen mitten aus den Hofräumen in jugendlicher Schöne einzelne Königs¬
palmen, mit geradem blattlosen Schaft, der sich nach oben verjüngt bis zu
der eleganten Blätterkrone, die wie ein Federbusch den kolbigen Fruchtbüschel
überschattet; und Bananen, Dattelpalmen nebst andern Fruchtbüumen, selbst
dunkle Cypressen, deren hoher Wuchs ihren Ernst erhöht, reizen nach allen
Seiten hin das Auge und beleben die sonst so einförmige Physiognomie der
Stadt.

Doch steigen wir herab, um sie näher kennen zu lernen, und lassen nach
alledem unsre Ansprüche auf Kunst bei Seite, sie sind hier nicht am Ort. Desto
frischer und eigenthümlicher wird uns die anspruchslose Natürlichkeit, die un¬
gezwungene Einfachkeit und der gemüthliche Schlendrian ansprechen. Unebene
Straßen nehmen uns auf. Das durchgängig schlechte Pflaster macht uns nach
dem Innern der Stadt die hohen Trottoirs sehr willkommen, selbst wenn die¬
selben durch Regengüsse ausgespülte Löcher zeigen. Diese innern Straßen
gewähren einen anmuthigen Anblick. Sonnig und heiter zeigt jede Seite des
Quadrats zwei bis drei hellgetünchte Parterres --, wenige einstöckige Woh¬
nungen, mit breiten, hohen, bis hart unter das Dach reichenden Fenster¬
öffnungen, die durch Eisengitter verpallisadirt sind. In diesen saubern, netten
Häusern wohnt die fashionable Welt. Aber schweigsam kehren sie ihre Fron¬
ten heraus. Denn anstatt der Glasfenster dienen Laden oder Jalousien, die
ganz geschlossen sind oder höchstens durch schmalen Spalt in flüchtiger Begegnung
das dunkle Auge einer neugierigen Creolin durchblicken lassen. Der Sitte
gemäß lebt die Familie abgeschlossen von der Straße im Innern des Hauses,
bis nach der Mahlzeit gegen Abend die hohen Flügelthüren und Fenster des
Salons sich öffnen, um die Damen auf die bequemen Sitze im Fenster zur
ersehnten wenn auch nur passiven Theilnahme am öffentlichen Verkehr einzu¬
laden, der durch die nach außen vorhängenden Gitter weithin bequem zu
beobachten ist.

Ueber den freien Platz von San Pueblo hinweg gelangen wir um die
Börsenecke in der nakte ne comereio (Handelsstraße) nach der Ecke von San
Franzisco, wo vor nahe 300 Jahren mit einem Kloster der Grund zur Stadt


44*

ist das Generalgesetz für das spanische wie englische Amerika. Wie die
Felder eines Schachbretts kreuzen und theilen sich die Straßen, lange schnur¬
gerade Streifen, ohne Schatten, ohne Baum und gleichmäßige Gevierte
(Cuadras) von niedrigen Häusern, die Quadratfelder zwischen den vielen Lang-
und Querstreifen. Genau nach den vier Weltgegenden ziehen sich letztere hin,
so daß die Stadt von Ost nach West fast ebenso ausgedehnt ist, wie von
Nord nach Süd. Aber anziehend ist der Anblick doch; zwar heben sich nur zwei
Thürme von Bedeutung heraus, der hohe dickleibige Thurm der niedrigen
Kathedrale und etwas nördlicher der von Alta Gracia, aber weit stolzer
ragen mitten aus den Hofräumen in jugendlicher Schöne einzelne Königs¬
palmen, mit geradem blattlosen Schaft, der sich nach oben verjüngt bis zu
der eleganten Blätterkrone, die wie ein Federbusch den kolbigen Fruchtbüschel
überschattet; und Bananen, Dattelpalmen nebst andern Fruchtbüumen, selbst
dunkle Cypressen, deren hoher Wuchs ihren Ernst erhöht, reizen nach allen
Seiten hin das Auge und beleben die sonst so einförmige Physiognomie der
Stadt.

Doch steigen wir herab, um sie näher kennen zu lernen, und lassen nach
alledem unsre Ansprüche auf Kunst bei Seite, sie sind hier nicht am Ort. Desto
frischer und eigenthümlicher wird uns die anspruchslose Natürlichkeit, die un¬
gezwungene Einfachkeit und der gemüthliche Schlendrian ansprechen. Unebene
Straßen nehmen uns auf. Das durchgängig schlechte Pflaster macht uns nach
dem Innern der Stadt die hohen Trottoirs sehr willkommen, selbst wenn die¬
selben durch Regengüsse ausgespülte Löcher zeigen. Diese innern Straßen
gewähren einen anmuthigen Anblick. Sonnig und heiter zeigt jede Seite des
Quadrats zwei bis drei hellgetünchte Parterres —, wenige einstöckige Woh¬
nungen, mit breiten, hohen, bis hart unter das Dach reichenden Fenster¬
öffnungen, die durch Eisengitter verpallisadirt sind. In diesen saubern, netten
Häusern wohnt die fashionable Welt. Aber schweigsam kehren sie ihre Fron¬
ten heraus. Denn anstatt der Glasfenster dienen Laden oder Jalousien, die
ganz geschlossen sind oder höchstens durch schmalen Spalt in flüchtiger Begegnung
das dunkle Auge einer neugierigen Creolin durchblicken lassen. Der Sitte
gemäß lebt die Familie abgeschlossen von der Straße im Innern des Hauses,
bis nach der Mahlzeit gegen Abend die hohen Flügelthüren und Fenster des
Salons sich öffnen, um die Damen auf die bequemen Sitze im Fenster zur
ersehnten wenn auch nur passiven Theilnahme am öffentlichen Verkehr einzu¬
laden, der durch die nach außen vorhängenden Gitter weithin bequem zu
beobachten ist.

Ueber den freien Platz von San Pueblo hinweg gelangen wir um die
Börsenecke in der nakte ne comereio (Handelsstraße) nach der Ecke von San
Franzisco, wo vor nahe 300 Jahren mit einem Kloster der Grund zur Stadt


44*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266164"/>
            <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> ist das Generalgesetz für das spanische wie englische Amerika. Wie die<lb/>
Felder eines Schachbretts kreuzen und theilen sich die Straßen, lange schnur¬<lb/>
gerade Streifen, ohne Schatten, ohne Baum und gleichmäßige Gevierte<lb/>
(Cuadras) von niedrigen Häusern, die Quadratfelder zwischen den vielen Lang-<lb/>
und Querstreifen. Genau nach den vier Weltgegenden ziehen sich letztere hin,<lb/>
so daß die Stadt von Ost nach West fast ebenso ausgedehnt ist, wie von<lb/>
Nord nach Süd. Aber anziehend ist der Anblick doch; zwar heben sich nur zwei<lb/>
Thürme von Bedeutung heraus, der hohe dickleibige Thurm der niedrigen<lb/>
Kathedrale und etwas nördlicher der von Alta Gracia, aber weit stolzer<lb/>
ragen mitten aus den Hofräumen in jugendlicher Schöne einzelne Königs¬<lb/>
palmen, mit geradem blattlosen Schaft, der sich nach oben verjüngt bis zu<lb/>
der eleganten Blätterkrone, die wie ein Federbusch den kolbigen Fruchtbüschel<lb/>
überschattet; und Bananen, Dattelpalmen nebst andern Fruchtbüumen, selbst<lb/>
dunkle Cypressen, deren hoher Wuchs ihren Ernst erhöht, reizen nach allen<lb/>
Seiten hin das Auge und beleben die sonst so einförmige Physiognomie der<lb/>
Stadt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_936"> Doch steigen wir herab, um sie näher kennen zu lernen, und lassen nach<lb/>
alledem unsre Ansprüche auf Kunst bei Seite, sie sind hier nicht am Ort. Desto<lb/>
frischer und eigenthümlicher wird uns die anspruchslose Natürlichkeit, die un¬<lb/>
gezwungene Einfachkeit und der gemüthliche Schlendrian ansprechen. Unebene<lb/>
Straßen nehmen uns auf. Das durchgängig schlechte Pflaster macht uns nach<lb/>
dem Innern der Stadt die hohen Trottoirs sehr willkommen, selbst wenn die¬<lb/>
selben durch Regengüsse ausgespülte Löcher zeigen. Diese innern Straßen<lb/>
gewähren einen anmuthigen Anblick. Sonnig und heiter zeigt jede Seite des<lb/>
Quadrats zwei bis drei hellgetünchte Parterres &#x2014;, wenige einstöckige Woh¬<lb/>
nungen, mit breiten, hohen, bis hart unter das Dach reichenden Fenster¬<lb/>
öffnungen, die durch Eisengitter verpallisadirt sind. In diesen saubern, netten<lb/>
Häusern wohnt die fashionable Welt. Aber schweigsam kehren sie ihre Fron¬<lb/>
ten heraus. Denn anstatt der Glasfenster dienen Laden oder Jalousien, die<lb/>
ganz geschlossen sind oder höchstens durch schmalen Spalt in flüchtiger Begegnung<lb/>
das dunkle Auge einer neugierigen Creolin durchblicken lassen. Der Sitte<lb/>
gemäß lebt die Familie abgeschlossen von der Straße im Innern des Hauses,<lb/>
bis nach der Mahlzeit gegen Abend die hohen Flügelthüren und Fenster des<lb/>
Salons sich öffnen, um die Damen auf die bequemen Sitze im Fenster zur<lb/>
ersehnten wenn auch nur passiven Theilnahme am öffentlichen Verkehr einzu¬<lb/>
laden, der durch die nach außen vorhängenden Gitter weithin bequem zu<lb/>
beobachten ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Ueber den freien Platz von San Pueblo hinweg gelangen wir um die<lb/>
Börsenecke in der nakte ne comereio (Handelsstraße) nach der Ecke von San<lb/>
Franzisco, wo vor nahe 300 Jahren mit einem Kloster der Grund zur Stadt</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] ist das Generalgesetz für das spanische wie englische Amerika. Wie die Felder eines Schachbretts kreuzen und theilen sich die Straßen, lange schnur¬ gerade Streifen, ohne Schatten, ohne Baum und gleichmäßige Gevierte (Cuadras) von niedrigen Häusern, die Quadratfelder zwischen den vielen Lang- und Querstreifen. Genau nach den vier Weltgegenden ziehen sich letztere hin, so daß die Stadt von Ost nach West fast ebenso ausgedehnt ist, wie von Nord nach Süd. Aber anziehend ist der Anblick doch; zwar heben sich nur zwei Thürme von Bedeutung heraus, der hohe dickleibige Thurm der niedrigen Kathedrale und etwas nördlicher der von Alta Gracia, aber weit stolzer ragen mitten aus den Hofräumen in jugendlicher Schöne einzelne Königs¬ palmen, mit geradem blattlosen Schaft, der sich nach oben verjüngt bis zu der eleganten Blätterkrone, die wie ein Federbusch den kolbigen Fruchtbüschel überschattet; und Bananen, Dattelpalmen nebst andern Fruchtbüumen, selbst dunkle Cypressen, deren hoher Wuchs ihren Ernst erhöht, reizen nach allen Seiten hin das Auge und beleben die sonst so einförmige Physiognomie der Stadt. Doch steigen wir herab, um sie näher kennen zu lernen, und lassen nach alledem unsre Ansprüche auf Kunst bei Seite, sie sind hier nicht am Ort. Desto frischer und eigenthümlicher wird uns die anspruchslose Natürlichkeit, die un¬ gezwungene Einfachkeit und der gemüthliche Schlendrian ansprechen. Unebene Straßen nehmen uns auf. Das durchgängig schlechte Pflaster macht uns nach dem Innern der Stadt die hohen Trottoirs sehr willkommen, selbst wenn die¬ selben durch Regengüsse ausgespülte Löcher zeigen. Diese innern Straßen gewähren einen anmuthigen Anblick. Sonnig und heiter zeigt jede Seite des Quadrats zwei bis drei hellgetünchte Parterres —, wenige einstöckige Woh¬ nungen, mit breiten, hohen, bis hart unter das Dach reichenden Fenster¬ öffnungen, die durch Eisengitter verpallisadirt sind. In diesen saubern, netten Häusern wohnt die fashionable Welt. Aber schweigsam kehren sie ihre Fron¬ ten heraus. Denn anstatt der Glasfenster dienen Laden oder Jalousien, die ganz geschlossen sind oder höchstens durch schmalen Spalt in flüchtiger Begegnung das dunkle Auge einer neugierigen Creolin durchblicken lassen. Der Sitte gemäß lebt die Familie abgeschlossen von der Straße im Innern des Hauses, bis nach der Mahlzeit gegen Abend die hohen Flügelthüren und Fenster des Salons sich öffnen, um die Damen auf die bequemen Sitze im Fenster zur ersehnten wenn auch nur passiven Theilnahme am öffentlichen Verkehr einzu¬ laden, der durch die nach außen vorhängenden Gitter weithin bequem zu beobachten ist. Ueber den freien Platz von San Pueblo hinweg gelangen wir um die Börsenecke in der nakte ne comereio (Handelsstraße) nach der Ecke von San Franzisco, wo vor nahe 300 Jahren mit einem Kloster der Grund zur Stadt 44*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/355>, abgerufen am 06.02.2025.