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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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aufsteigend sich ganz in die unabsehbaren Ebenen (Llanos) des Orinoco zu
verlieren. Das vom freieren rechten Horizont zurückkehrende Auge gewahrt
auch hier wellenförmige kahle Rucken und ruht endlich nach unten gesenkt am
Fuße derselben, dicht an der Stadt, wo sich dieselbe südwestlich in das enge
Thal von Antimo.no verläuft, welches unsern Calvarienberg von der ersten
niedrigen Bergkette trennt. *

So wäre denn der Nahmen des Bildes geschlossen: die Verzierung des'
selben bilden die Wolken, welche sich mit Vorliebe selbst in trockner Som¬
merszeit um die Küstenberge lagern, bald den Kamm bedeckend, bald auf der
Breite des Abhanges sich hindehnend, so daß die kahle Kuppe der Silla
einer Luftinsel gleich in die tiefe Bläue des Himmels hinausragt --, in ste¬
tem Wechsel bald auf- bald nieder ziehend, bald dicht sich ballend, bald flüch¬
tig zerstiebend: das gaukelnde Widerspiel der alten ewigen Berge. -- Unge¬
stört weilt nun das Auge auf dem reizenden Thal. Gegen 2.600 F. hoch
über dem Meere fällt es von der Nordseite her allmälig nach dem südlichen
Goaireflüßchen ab, um welches herum 'die ganze Länge des Thales eine üp¬
pige Vegetation in allen Farben wuchert, während dit kahle Nordhälfte meist
einen eintönigen Charakter hat. Desto freundlicher lachen von fernher die weich
verfließenden Farben der Landschaft dem Blick entgegen. Dunkle Kaffeepflan-
zungen, hellgrüne schlanke Weiden und Bananen, dichtes Rohr und Schilf
am Rande des Baches, dazwischen verstreut friedliche Dörfer mit weißgetünch¬
ten Häusern ziehen sich in immer schärfer sich trennenden Conturen bis hart
an die Stadt heran, die unmittelbar zu unsren Mßen, im Umkreis etwa
1V2 Stunde einnimmt; und rechts unten im verengten Thale nach Antimano
hin prangt das zarte Smaragdgrün des Zuckerrohres neben dem wenig dunk¬
leren Grün der eg.üg. s-margs,, des Venezuelanischen Bambus. Dieses har¬
monisch geschlossene Rundgemälde, von dem hellblauen Morgenhimmel überwölbt,
oder in der ernsteren Abendbeleuchtung mit ihren warmen Farben, ihren dunk¬
len Reflexen, ihren gesättigten Tinten übt einen überaus befriedigenden Eindruck
auf den empfänglichen Beschauer und zwingt ihm geheime Zustimmung zu
der oft gehörten Behauptung ab, daß das hoch umfriedete Gebirgsthal von
Caracas ein Paradies sei. In einfacher primitiver Größe redet auch jetzt
noch hier die Mutter Natur zum Menschenkind, mit der Milde, die der in
sich sicheren gesammelten Kraft entstammt; in der Großheit eines Herrschers,
der das Füllhorn seiner Schätze öffnet und aus dem Vollen austheilt, ohne
fürchten zu müssen, daß er arm werde: mit tiefem Schweigen umhüllt redet
sie doch die lauteste Sprache, nach der Art ihres ewigen Schöpfers, aus des¬
sen Hand sie -jeden Tag neu und ursprünglich und immer groß hervorgeht:
wollte nur das Menschengemüth in Sabbathstille dieser Sprache lauschen!

Und nun einen Blick auf die Stadt. Das Nechtwinkelsystem derselben


aufsteigend sich ganz in die unabsehbaren Ebenen (Llanos) des Orinoco zu
verlieren. Das vom freieren rechten Horizont zurückkehrende Auge gewahrt
auch hier wellenförmige kahle Rucken und ruht endlich nach unten gesenkt am
Fuße derselben, dicht an der Stadt, wo sich dieselbe südwestlich in das enge
Thal von Antimo.no verläuft, welches unsern Calvarienberg von der ersten
niedrigen Bergkette trennt. *

So wäre denn der Nahmen des Bildes geschlossen: die Verzierung des'
selben bilden die Wolken, welche sich mit Vorliebe selbst in trockner Som¬
merszeit um die Küstenberge lagern, bald den Kamm bedeckend, bald auf der
Breite des Abhanges sich hindehnend, so daß die kahle Kuppe der Silla
einer Luftinsel gleich in die tiefe Bläue des Himmels hinausragt —, in ste¬
tem Wechsel bald auf- bald nieder ziehend, bald dicht sich ballend, bald flüch¬
tig zerstiebend: das gaukelnde Widerspiel der alten ewigen Berge. — Unge¬
stört weilt nun das Auge auf dem reizenden Thal. Gegen 2.600 F. hoch
über dem Meere fällt es von der Nordseite her allmälig nach dem südlichen
Goaireflüßchen ab, um welches herum 'die ganze Länge des Thales eine üp¬
pige Vegetation in allen Farben wuchert, während dit kahle Nordhälfte meist
einen eintönigen Charakter hat. Desto freundlicher lachen von fernher die weich
verfließenden Farben der Landschaft dem Blick entgegen. Dunkle Kaffeepflan-
zungen, hellgrüne schlanke Weiden und Bananen, dichtes Rohr und Schilf
am Rande des Baches, dazwischen verstreut friedliche Dörfer mit weißgetünch¬
ten Häusern ziehen sich in immer schärfer sich trennenden Conturen bis hart
an die Stadt heran, die unmittelbar zu unsren Mßen, im Umkreis etwa
1V2 Stunde einnimmt; und rechts unten im verengten Thale nach Antimano
hin prangt das zarte Smaragdgrün des Zuckerrohres neben dem wenig dunk¬
leren Grün der eg.üg. s-margs,, des Venezuelanischen Bambus. Dieses har¬
monisch geschlossene Rundgemälde, von dem hellblauen Morgenhimmel überwölbt,
oder in der ernsteren Abendbeleuchtung mit ihren warmen Farben, ihren dunk¬
len Reflexen, ihren gesättigten Tinten übt einen überaus befriedigenden Eindruck
auf den empfänglichen Beschauer und zwingt ihm geheime Zustimmung zu
der oft gehörten Behauptung ab, daß das hoch umfriedete Gebirgsthal von
Caracas ein Paradies sei. In einfacher primitiver Größe redet auch jetzt
noch hier die Mutter Natur zum Menschenkind, mit der Milde, die der in
sich sicheren gesammelten Kraft entstammt; in der Großheit eines Herrschers,
der das Füllhorn seiner Schätze öffnet und aus dem Vollen austheilt, ohne
fürchten zu müssen, daß er arm werde: mit tiefem Schweigen umhüllt redet
sie doch die lauteste Sprache, nach der Art ihres ewigen Schöpfers, aus des¬
sen Hand sie -jeden Tag neu und ursprünglich und immer groß hervorgeht:
wollte nur das Menschengemüth in Sabbathstille dieser Sprache lauschen!

Und nun einen Blick auf die Stadt. Das Nechtwinkelsystem derselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/354>, abgerufen am 26.07.2024.