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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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eine Schwägerin zum freiwilligen Nonncnthum- hinneigen. Da aber die Vor¬
bedingungen einmal nicht anders sind, so mag ihren Folgen wenigstens der
schwache Rest von Einfalt und Naturwüchsigkeit nicht verkümmert werden, der
doch noch einen Hauch von poetischer Jugendfröhlichkeit über das harte Ar¬
beitsdasein dieser Gebirgsproletarier verbreitet. Und das thut der Samstag¬
abend, dieser schlimme Kiltgangsabend, gegen dessen Ausartungen der Volks¬
freund von Lützenflue mit so vielem Rechte in einem Lande, wo die Ehen
weniger erschwert sind, den Eifer feiner Beredtsnmkeit entbrennen ließ. Am
Samstagnachmittage ruht die Axt des Kohlerbuben, die Säge des Holzknechts.
In den Schmelzwerken werden die Kohlen der mächtigen Essen mit Wasser
ausgegossen, der schwere Hammer im Hammerwerk wird an die Kette gelegt,
der Mahlgang zum Gebläse trocknet aus und der immer reichliche Gebirgs-
strom braust durch die aufgezogenen Schleußen ungenützt dahin. Erst in der
ersten Stunde der Montngsuacht beginnt des. Heizers Geschäft von neuem.
Es ist dem Arbeiter einmal Zeit gegönnt, den Ruß der Essen und den Koh¬
lenstaub abzuwaschen und sich seiner kaukasischen Abkunft im Wiedergewinnen
der hellen Hautfarbe zu erfreuen. Nun gehts im besten Staat bergauf, eine
Blume hinterm Ohr, Gamsbart oder Schildhahnsfeder auf dem grünen Hut.
Die Beine stecken in kurzen, schwarzen Gans- oder Vocksiederhosen; wo der
blaue oder grüne Strumpf der strammen Wade aufhört, beginnt das hohe
Oberleder des schwerbenngeltcn Bundschuhs. Die Brust bedeckt der rothe, hin¬
ten offene Brustfleck von Kattun, darüber das grüne Tragband mit breitem
Berbindungöband quer über der Brust, Die graue Jacke mit kurzen, grün-
belitzten Schößen hängt über die Schulter, damit das frische weiße Hemd
nicht versteckt werde. Aus der Hosentasche guckt das Besteck in blanker, viei-
verzierter Stahlscheidc. So gehts bergauf und zur Schwägerin. Die hat
sthon früher als gewöhnlich eingetrieben, abgemolken und ihr bestes Zeug au¬
gelegt.. Auf dem Herde brodelt ein gewaltiger Kessel mit Schmalz d. h. mit
cingesottner Butter. Weißes Mehl wird hineingerührt, bis die fette Masse
einigen Halt gewinnt. Dann kommt noch ein Löffel voll Schmalz hinzu und
nun ist. das Leibgericht der Sterrer. .der glänzend fette Sterz, fertig. Milch
ist in Fülle zur Hand. Wein oder Nosoglio bringt der Bursche mit. wenn
anders er seinen Vortheil versteht. Jetzt macht sie sich, so lange der "Bua"
noch im Aufsteigen begriffen ist. ans Jodeln. Weit hinab hört ers und ihm
müßt es gar schwach in den Lungen sein , wenn er nicht zurückjvdclte, daß die
"neu "G'mäuer", wie der Steirer das Gebirg nennt, vor Einsamkeit und
Langerweile Echorus zurückstöhnen. Kienfackeln werden angezündet, so oft be¬
wölkter Himmel die Wege verdunkelt. Da zieht sichs leuchtend und jodelnd
bergauf, daß die Dirnen im Thal nicht wissen, wohin mit den Augen und
Ohren. Denn gar viele Singweiscn sind weit und breit bekannt genug, um


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eine Schwägerin zum freiwilligen Nonncnthum- hinneigen. Da aber die Vor¬
bedingungen einmal nicht anders sind, so mag ihren Folgen wenigstens der
schwache Rest von Einfalt und Naturwüchsigkeit nicht verkümmert werden, der
doch noch einen Hauch von poetischer Jugendfröhlichkeit über das harte Ar¬
beitsdasein dieser Gebirgsproletarier verbreitet. Und das thut der Samstag¬
abend, dieser schlimme Kiltgangsabend, gegen dessen Ausartungen der Volks¬
freund von Lützenflue mit so vielem Rechte in einem Lande, wo die Ehen
weniger erschwert sind, den Eifer feiner Beredtsnmkeit entbrennen ließ. Am
Samstagnachmittage ruht die Axt des Kohlerbuben, die Säge des Holzknechts.
In den Schmelzwerken werden die Kohlen der mächtigen Essen mit Wasser
ausgegossen, der schwere Hammer im Hammerwerk wird an die Kette gelegt,
der Mahlgang zum Gebläse trocknet aus und der immer reichliche Gebirgs-
strom braust durch die aufgezogenen Schleußen ungenützt dahin. Erst in der
ersten Stunde der Montngsuacht beginnt des. Heizers Geschäft von neuem.
Es ist dem Arbeiter einmal Zeit gegönnt, den Ruß der Essen und den Koh¬
lenstaub abzuwaschen und sich seiner kaukasischen Abkunft im Wiedergewinnen
der hellen Hautfarbe zu erfreuen. Nun gehts im besten Staat bergauf, eine
Blume hinterm Ohr, Gamsbart oder Schildhahnsfeder auf dem grünen Hut.
Die Beine stecken in kurzen, schwarzen Gans- oder Vocksiederhosen; wo der
blaue oder grüne Strumpf der strammen Wade aufhört, beginnt das hohe
Oberleder des schwerbenngeltcn Bundschuhs. Die Brust bedeckt der rothe, hin¬
ten offene Brustfleck von Kattun, darüber das grüne Tragband mit breitem
Berbindungöband quer über der Brust, Die graue Jacke mit kurzen, grün-
belitzten Schößen hängt über die Schulter, damit das frische weiße Hemd
nicht versteckt werde. Aus der Hosentasche guckt das Besteck in blanker, viei-
verzierter Stahlscheidc. So gehts bergauf und zur Schwägerin. Die hat
sthon früher als gewöhnlich eingetrieben, abgemolken und ihr bestes Zeug au¬
gelegt.. Auf dem Herde brodelt ein gewaltiger Kessel mit Schmalz d. h. mit
cingesottner Butter. Weißes Mehl wird hineingerührt, bis die fette Masse
einigen Halt gewinnt. Dann kommt noch ein Löffel voll Schmalz hinzu und
nun ist. das Leibgericht der Sterrer. .der glänzend fette Sterz, fertig. Milch
ist in Fülle zur Hand. Wein oder Nosoglio bringt der Bursche mit. wenn
anders er seinen Vortheil versteht. Jetzt macht sie sich, so lange der „Bua"
noch im Aufsteigen begriffen ist. ans Jodeln. Weit hinab hört ers und ihm
müßt es gar schwach in den Lungen sein , wenn er nicht zurückjvdclte, daß die
"neu „G'mäuer", wie der Steirer das Gebirg nennt, vor Einsamkeit und
Langerweile Echorus zurückstöhnen. Kienfackeln werden angezündet, so oft be¬
wölkter Himmel die Wege verdunkelt. Da zieht sichs leuchtend und jodelnd
bergauf, daß die Dirnen im Thal nicht wissen, wohin mit den Augen und
Ohren. Denn gar viele Singweiscn sind weit und breit bekannt genug, um


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[0035] eine Schwägerin zum freiwilligen Nonncnthum- hinneigen. Da aber die Vor¬ bedingungen einmal nicht anders sind, so mag ihren Folgen wenigstens der schwache Rest von Einfalt und Naturwüchsigkeit nicht verkümmert werden, der doch noch einen Hauch von poetischer Jugendfröhlichkeit über das harte Ar¬ beitsdasein dieser Gebirgsproletarier verbreitet. Und das thut der Samstag¬ abend, dieser schlimme Kiltgangsabend, gegen dessen Ausartungen der Volks¬ freund von Lützenflue mit so vielem Rechte in einem Lande, wo die Ehen weniger erschwert sind, den Eifer feiner Beredtsnmkeit entbrennen ließ. Am Samstagnachmittage ruht die Axt des Kohlerbuben, die Säge des Holzknechts. In den Schmelzwerken werden die Kohlen der mächtigen Essen mit Wasser ausgegossen, der schwere Hammer im Hammerwerk wird an die Kette gelegt, der Mahlgang zum Gebläse trocknet aus und der immer reichliche Gebirgs- strom braust durch die aufgezogenen Schleußen ungenützt dahin. Erst in der ersten Stunde der Montngsuacht beginnt des. Heizers Geschäft von neuem. Es ist dem Arbeiter einmal Zeit gegönnt, den Ruß der Essen und den Koh¬ lenstaub abzuwaschen und sich seiner kaukasischen Abkunft im Wiedergewinnen der hellen Hautfarbe zu erfreuen. Nun gehts im besten Staat bergauf, eine Blume hinterm Ohr, Gamsbart oder Schildhahnsfeder auf dem grünen Hut. Die Beine stecken in kurzen, schwarzen Gans- oder Vocksiederhosen; wo der blaue oder grüne Strumpf der strammen Wade aufhört, beginnt das hohe Oberleder des schwerbenngeltcn Bundschuhs. Die Brust bedeckt der rothe, hin¬ ten offene Brustfleck von Kattun, darüber das grüne Tragband mit breitem Berbindungöband quer über der Brust, Die graue Jacke mit kurzen, grün- belitzten Schößen hängt über die Schulter, damit das frische weiße Hemd nicht versteckt werde. Aus der Hosentasche guckt das Besteck in blanker, viei- verzierter Stahlscheidc. So gehts bergauf und zur Schwägerin. Die hat sthon früher als gewöhnlich eingetrieben, abgemolken und ihr bestes Zeug au¬ gelegt.. Auf dem Herde brodelt ein gewaltiger Kessel mit Schmalz d. h. mit cingesottner Butter. Weißes Mehl wird hineingerührt, bis die fette Masse einigen Halt gewinnt. Dann kommt noch ein Löffel voll Schmalz hinzu und nun ist. das Leibgericht der Sterrer. .der glänzend fette Sterz, fertig. Milch ist in Fülle zur Hand. Wein oder Nosoglio bringt der Bursche mit. wenn anders er seinen Vortheil versteht. Jetzt macht sie sich, so lange der „Bua" noch im Aufsteigen begriffen ist. ans Jodeln. Weit hinab hört ers und ihm müßt es gar schwach in den Lungen sein , wenn er nicht zurückjvdclte, daß die "neu „G'mäuer", wie der Steirer das Gebirg nennt, vor Einsamkeit und Langerweile Echorus zurückstöhnen. Kienfackeln werden angezündet, so oft be¬ wölkter Himmel die Wege verdunkelt. Da zieht sichs leuchtend und jodelnd bergauf, daß die Dirnen im Thal nicht wissen, wohin mit den Augen und Ohren. Denn gar viele Singweiscn sind weit und breit bekannt genug, um ,4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/35>, abgerufen am 05.07.2024.