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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und Ohren zu ihm gekommen, habe
aufgezählt, wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze
Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu "viel Mißbilligung zu
zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Nuffo
geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch hierund da gerühmt wird. -- Die
rechtlichsten Leute wurden gezwungen der Revolution beizutreten, um sich zu
retten, und wurden nachher wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich
traf dies Schicksal die Aerzte. Es wurden Beispiele mit Umständen erzählt,
die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glück vorher gestorben.
Die Regierung nimmt bei ihrer gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel,
die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo.rechtliche Strenge
nöthig wäre, und grausam, wo weise Mäßigung frommen würde. In Sici-
lien treibt das Feudalsystem in den gräßlichsten Gestalten das Unheil sort;
und obgleich mehr als die Hälfte der Insel wüste liegt, so würde doch kein
Baron einen Fuß lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbei¬
ten lassen" (S. 428 ze.). "Nie habe ich solch eine Armuth gesehen und nie
habe ich mir sie so entsetzlich denken können. Die Insel (Sicilien) sieht im
Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das
Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe.
Zu Mittag war im Wirthshause durchaus kein Stückchen Brot zu haben.
Die Bettler kommen in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die
römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind;
sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur
mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst küßte man
das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um
mich her über den reichen Boden, und hätte in diesem Augenblick alle sici-
lianischen Barone und Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kar¬
tätschen stellen können" (S. 211), "Die Amnestie des Königs hat die Armeen
und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen
auf, sie waren brav, wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab Aem¬
ter und Ehrenstellen, und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der
Provinzen gesetzlicher. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Straßen
und in den Provinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und
Ort und Umstände dabei genannt (S. 350). Nicht besser als in Neapel war
es im Kirchenstaat. "Die Hierarchie wird wieder in ihrer größten Ausdeh¬
nung eingeführt, und was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst
du berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in
Besitz, die eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle Prälaten
behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da mästen sich wieder
die Mönche, und wer bekümmert sich darum, daß das Volk hungert? Die


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voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und Ohren zu ihm gekommen, habe
aufgezählt, wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze
Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu "viel Mißbilligung zu
zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Nuffo
geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch hierund da gerühmt wird. — Die
rechtlichsten Leute wurden gezwungen der Revolution beizutreten, um sich zu
retten, und wurden nachher wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich
traf dies Schicksal die Aerzte. Es wurden Beispiele mit Umständen erzählt,
die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glück vorher gestorben.
Die Regierung nimmt bei ihrer gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel,
die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo.rechtliche Strenge
nöthig wäre, und grausam, wo weise Mäßigung frommen würde. In Sici-
lien treibt das Feudalsystem in den gräßlichsten Gestalten das Unheil sort;
und obgleich mehr als die Hälfte der Insel wüste liegt, so würde doch kein
Baron einen Fuß lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbei¬
ten lassen" (S. 428 ze.). „Nie habe ich solch eine Armuth gesehen und nie
habe ich mir sie so entsetzlich denken können. Die Insel (Sicilien) sieht im
Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das
Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe.
Zu Mittag war im Wirthshause durchaus kein Stückchen Brot zu haben.
Die Bettler kommen in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die
römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind;
sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur
mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst küßte man
das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um
mich her über den reichen Boden, und hätte in diesem Augenblick alle sici-
lianischen Barone und Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kar¬
tätschen stellen können" (S. 211), „Die Amnestie des Königs hat die Armeen
und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen
auf, sie waren brav, wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab Aem¬
ter und Ehrenstellen, und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der
Provinzen gesetzlicher. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Straßen
und in den Provinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und
Ort und Umstände dabei genannt (S. 350). Nicht besser als in Neapel war
es im Kirchenstaat. „Die Hierarchie wird wieder in ihrer größten Ausdeh¬
nung eingeführt, und was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst
du berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in
Besitz, die eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle Prälaten
behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da mästen sich wieder
die Mönche, und wer bekümmert sich darum, daß das Volk hungert? Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/347>, abgerufen am 05.07.2024.