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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Fleisch und Blut wie ihr, und meine Sinnlichkeit streitet wider die Vernunft.
So muß ich grausame Kämpfe bestehen, um zu verhindern, daß der Teufel
mir nicht über die Schultern wachse, vorzüglich in solchen Augenblicken, wo
ich von euch reden höre. Bald jedoch wird diese erste so schmerzliche Zeit
vorüber sein."

Savonarola war ins Kloster getreten, um ungestört über Gott nachzu¬
denken, aber die Dominicaner waren ein lehrhafter Orden, und der junge sem
gebildete Mann wurde wieder auf philosophische Studien hingewiesen, und
da er als Kanzelredner kein besonderes Glück machte, zum Jugendunterricht
benutzt. In dieser Eigenschaft wurde er 1482 an das Kloster San Marco in
Florenz deputirt. Bescheiden und zurückgezogen erfüllte er die Pflichten seines
Amtes. Andere seiner Kollegen wuchsen ihm über den Kops, da sie schöne
Phrasen anzuwenden wußten. Savonarola konnte nicht reden, wenn ihm nicht
etwas aus dem Herzen lag. Bald sollte sein Herz ihn drängen. Er hatte
sich von der Welt zurückgezogen, um der allgemeinen Sündhaftigkeit zu ent¬
fliehen; er fand die Sünde im Kloster wieder. "Er sah, wie die Prälaten sich
nicht mehr um ihre Herden bekümmerten, sondern sie durch ihr böses Beispiel
verdarben, wie die Priester die Kirchengüter verschleuderten, wie die Prediger
nichtiges Geschwätz trieben und die Geistlichen sich allen Ausschweifungen Hin¬
gaben." Statt also das Christenthum den Ungläubigen zu verkündigen, war
der Klerus der Mittelpunkt dieser von Gott verlassenen Welt. "Sünden und
Missethaten," sagt ein Zeitgenosse, "hatten sich in Italien vervielfältigt, weil
dieses Land den Glauben an Christus verloren hatte. Man glaubte allge¬
mein, daß alles in der Welt ein Werk des Zufalls wäre. Gewisse Männer
meinten, daß die menschlichen Dinge von dem Einfluß der Gestirne regiert
würden. Man leugnete das zukünftige Leben und verhöhnte den religiösen
Glauben. Die Weltweisen hielten ihn für gar zu einfach, und höchstens für
Weiber und Unwissende gut genug. Einige sahen in ihm nnr eine Lüge von
Menschen erfunden, kurz ganz Italien und vor allem die Stadt Florenz war
in Unglauben versunken. Sogar die Weiber leugneten Christus und alle
Männer und Weiber kehrten zum Heidenthum zurück und beschäftigten sich eif¬
rig mit den Dichtern, Astrologen und allem möglichen Aberglauben."

Für ein wahrhaftes Gemüth war es ein entsetzliches Gefühl, im Dienst
der Lüge zu stehn. Daß einer allgemeinen Weltverbesserung die Wiedergeburt
des Klerus vorangehen müsse, war ihm klar, aber wie mochte ein schwacher
Mönch so große Dinge unternehmen? Er wandte sich im inbrünstigen Ge¬
bet zu Gott, und endlich wurde ihm ein Zeichen: er hörte eine Stimme des Herrn,
die ihm verkündete, daß in kürzester Frist Italien von einem furchtbaren Straf¬
gericht heimgesucht werden würde. Dieses Gesicht erstickte alle Zweifel. Er betrach¬
tete sich uun als einen Propheten, an welchen ein ähnlicher Ruf ergangen war


Grenzboten IV. 1353. 42

Fleisch und Blut wie ihr, und meine Sinnlichkeit streitet wider die Vernunft.
So muß ich grausame Kämpfe bestehen, um zu verhindern, daß der Teufel
mir nicht über die Schultern wachse, vorzüglich in solchen Augenblicken, wo
ich von euch reden höre. Bald jedoch wird diese erste so schmerzliche Zeit
vorüber sein."

Savonarola war ins Kloster getreten, um ungestört über Gott nachzu¬
denken, aber die Dominicaner waren ein lehrhafter Orden, und der junge sem
gebildete Mann wurde wieder auf philosophische Studien hingewiesen, und
da er als Kanzelredner kein besonderes Glück machte, zum Jugendunterricht
benutzt. In dieser Eigenschaft wurde er 1482 an das Kloster San Marco in
Florenz deputirt. Bescheiden und zurückgezogen erfüllte er die Pflichten seines
Amtes. Andere seiner Kollegen wuchsen ihm über den Kops, da sie schöne
Phrasen anzuwenden wußten. Savonarola konnte nicht reden, wenn ihm nicht
etwas aus dem Herzen lag. Bald sollte sein Herz ihn drängen. Er hatte
sich von der Welt zurückgezogen, um der allgemeinen Sündhaftigkeit zu ent¬
fliehen; er fand die Sünde im Kloster wieder. „Er sah, wie die Prälaten sich
nicht mehr um ihre Herden bekümmerten, sondern sie durch ihr böses Beispiel
verdarben, wie die Priester die Kirchengüter verschleuderten, wie die Prediger
nichtiges Geschwätz trieben und die Geistlichen sich allen Ausschweifungen Hin¬
gaben." Statt also das Christenthum den Ungläubigen zu verkündigen, war
der Klerus der Mittelpunkt dieser von Gott verlassenen Welt. „Sünden und
Missethaten," sagt ein Zeitgenosse, „hatten sich in Italien vervielfältigt, weil
dieses Land den Glauben an Christus verloren hatte. Man glaubte allge¬
mein, daß alles in der Welt ein Werk des Zufalls wäre. Gewisse Männer
meinten, daß die menschlichen Dinge von dem Einfluß der Gestirne regiert
würden. Man leugnete das zukünftige Leben und verhöhnte den religiösen
Glauben. Die Weltweisen hielten ihn für gar zu einfach, und höchstens für
Weiber und Unwissende gut genug. Einige sahen in ihm nnr eine Lüge von
Menschen erfunden, kurz ganz Italien und vor allem die Stadt Florenz war
in Unglauben versunken. Sogar die Weiber leugneten Christus und alle
Männer und Weiber kehrten zum Heidenthum zurück und beschäftigten sich eif¬
rig mit den Dichtern, Astrologen und allem möglichen Aberglauben."

Für ein wahrhaftes Gemüth war es ein entsetzliches Gefühl, im Dienst
der Lüge zu stehn. Daß einer allgemeinen Weltverbesserung die Wiedergeburt
des Klerus vorangehen müsse, war ihm klar, aber wie mochte ein schwacher
Mönch so große Dinge unternehmen? Er wandte sich im inbrünstigen Ge¬
bet zu Gott, und endlich wurde ihm ein Zeichen: er hörte eine Stimme des Herrn,
die ihm verkündete, daß in kürzester Frist Italien von einem furchtbaren Straf¬
gericht heimgesucht werden würde. Dieses Gesicht erstickte alle Zweifel. Er betrach¬
tete sich uun als einen Propheten, an welchen ein ähnlicher Ruf ergangen war


Grenzboten IV. 1353. 42
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[0337] Fleisch und Blut wie ihr, und meine Sinnlichkeit streitet wider die Vernunft. So muß ich grausame Kämpfe bestehen, um zu verhindern, daß der Teufel mir nicht über die Schultern wachse, vorzüglich in solchen Augenblicken, wo ich von euch reden höre. Bald jedoch wird diese erste so schmerzliche Zeit vorüber sein." Savonarola war ins Kloster getreten, um ungestört über Gott nachzu¬ denken, aber die Dominicaner waren ein lehrhafter Orden, und der junge sem gebildete Mann wurde wieder auf philosophische Studien hingewiesen, und da er als Kanzelredner kein besonderes Glück machte, zum Jugendunterricht benutzt. In dieser Eigenschaft wurde er 1482 an das Kloster San Marco in Florenz deputirt. Bescheiden und zurückgezogen erfüllte er die Pflichten seines Amtes. Andere seiner Kollegen wuchsen ihm über den Kops, da sie schöne Phrasen anzuwenden wußten. Savonarola konnte nicht reden, wenn ihm nicht etwas aus dem Herzen lag. Bald sollte sein Herz ihn drängen. Er hatte sich von der Welt zurückgezogen, um der allgemeinen Sündhaftigkeit zu ent¬ fliehen; er fand die Sünde im Kloster wieder. „Er sah, wie die Prälaten sich nicht mehr um ihre Herden bekümmerten, sondern sie durch ihr böses Beispiel verdarben, wie die Priester die Kirchengüter verschleuderten, wie die Prediger nichtiges Geschwätz trieben und die Geistlichen sich allen Ausschweifungen Hin¬ gaben." Statt also das Christenthum den Ungläubigen zu verkündigen, war der Klerus der Mittelpunkt dieser von Gott verlassenen Welt. „Sünden und Missethaten," sagt ein Zeitgenosse, „hatten sich in Italien vervielfältigt, weil dieses Land den Glauben an Christus verloren hatte. Man glaubte allge¬ mein, daß alles in der Welt ein Werk des Zufalls wäre. Gewisse Männer meinten, daß die menschlichen Dinge von dem Einfluß der Gestirne regiert würden. Man leugnete das zukünftige Leben und verhöhnte den religiösen Glauben. Die Weltweisen hielten ihn für gar zu einfach, und höchstens für Weiber und Unwissende gut genug. Einige sahen in ihm nnr eine Lüge von Menschen erfunden, kurz ganz Italien und vor allem die Stadt Florenz war in Unglauben versunken. Sogar die Weiber leugneten Christus und alle Männer und Weiber kehrten zum Heidenthum zurück und beschäftigten sich eif¬ rig mit den Dichtern, Astrologen und allem möglichen Aberglauben." Für ein wahrhaftes Gemüth war es ein entsetzliches Gefühl, im Dienst der Lüge zu stehn. Daß einer allgemeinen Weltverbesserung die Wiedergeburt des Klerus vorangehen müsse, war ihm klar, aber wie mochte ein schwacher Mönch so große Dinge unternehmen? Er wandte sich im inbrünstigen Ge¬ bet zu Gott, und endlich wurde ihm ein Zeichen: er hörte eine Stimme des Herrn, die ihm verkündete, daß in kürzester Frist Italien von einem furchtbaren Straf¬ gericht heimgesucht werden würde. Dieses Gesicht erstickte alle Zweifel. Er betrach¬ tete sich uun als einen Propheten, an welchen ein ähnlicher Ruf ergangen war Grenzboten IV. 1353. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/337>, abgerufen am 30.06.2024.