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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Zwecke auf dieser Reise aussprach, die Musik habe außerhalb des Kreises seiner
Beschäftigungen gelegen.

Charakteristisch ist, welche Gegenstände er Rh zu seiner Abreise von Rom
zu sehn verschoben hatte, die cloaca maxima, und die Katakomben! sowol der
Riesenbau aus der römischen Königszeit als die unermeßlichen Grüfte aus der
Zeit des Urchristenthums werden heute (und wir denken mit vollem Recht)
zu den merkwürdigsten Monumenten nicht blos Roms, sondern der ganzen
Welt gerechnet, aber freilich war das eine älter, das andere jünger als die
Periode, die Goethe ausschließlich interessirte. Die Cloake fand er allerdings
noch über dem kolossalen Begriff, auf den ihn Pirvnesi vorbereitet hatte.
"Der Besuch des zweiten Lvcals gerieth jedoch nicht zum Besten, denn die
ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten mir alsobald ein solches
Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans Tageslicht hervorstieg und dort im
Freien in einer ohnehin unbekannten fernen Gegend der Stadt die Rückkunft
der übrigen Gesellschaft abwartete, welche gefaßter als ich die übrigen Zu¬
stände getrost beschauen mochte" (24, 290). Auch bei einer starken Antipathie
gegen den düstern Charakter des ältesten Christenthums muß man über diese
Indifferenz erstaunen.

Die "Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786--1788, in
Briefen von Karl Philipp Moritz" (1792, drei Bände) können gegenwärtig
kaum ein anderes Interesse beanspruchen, als daß der Verfasser mit Goethe
in Verbindung stand. "Dieser Geist," sagt er, "ist ein Spiegel, in welchem
sich mir alle Gegenstände in ihrem lebhaftesten Glänze und in ihren frische¬
sten Farben darstellen. Der Umgang mit ihm bringt die schönsten Traume
meiner Jugend in Erfüllung, und seine Erscheinung gleich einem wohlthä¬
tigen Genius in dieser Sphäre der Kunst ist mir. so wie mehren, ein unver¬
hofftes Glück" (2, 148). Uebrigens erfährt man über Goethes Aufenthalt in
Italien so gut wie nichts aus diesem Buch. Es ist angefüllt mit Reminis¬
cenzen aus der alten Geschichte und Literatur, die einen ziemlich dillettan¬
tischen Anstrich haben. Hier eine Probe. "Mit meinen: Livius in der Hand
sitze ich unter den Bäumen der alten Via sacra; und dicht vor mir liegt das
enge Thal zwischen dem capitolinischen und palatinischen Berge. -- Vor dritt-
halbtausend Jahren ereignete sich in diesem Thal die Scene, die mein Ge¬
schichtschreiber so rührend schildert, daß bei dem Anblick dieser Gegend das
Auge sich der Thränen kaum enthält" u. s. w. (1, 219). Eine Anekdote ist
der Mittheilung nicht unwerth, als Seitenstück zu der Erzählung Goethes,
daß er in Caltanisetta in Sicilien die Honoratioren aus dem Markt von den
Thaten Friedrichs des Großen habe unterhalten müssen. Bei Philipp Hackert
meldete sich, als er in einem sicilianischen Städtchen anhielt, eine Deputation
des Magistrats, "welche, um ihre Ehrfurcht für den großen König an den


Zwecke auf dieser Reise aussprach, die Musik habe außerhalb des Kreises seiner
Beschäftigungen gelegen.

Charakteristisch ist, welche Gegenstände er Rh zu seiner Abreise von Rom
zu sehn verschoben hatte, die cloaca maxima, und die Katakomben! sowol der
Riesenbau aus der römischen Königszeit als die unermeßlichen Grüfte aus der
Zeit des Urchristenthums werden heute (und wir denken mit vollem Recht)
zu den merkwürdigsten Monumenten nicht blos Roms, sondern der ganzen
Welt gerechnet, aber freilich war das eine älter, das andere jünger als die
Periode, die Goethe ausschließlich interessirte. Die Cloake fand er allerdings
noch über dem kolossalen Begriff, auf den ihn Pirvnesi vorbereitet hatte.
„Der Besuch des zweiten Lvcals gerieth jedoch nicht zum Besten, denn die
ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten mir alsobald ein solches
Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans Tageslicht hervorstieg und dort im
Freien in einer ohnehin unbekannten fernen Gegend der Stadt die Rückkunft
der übrigen Gesellschaft abwartete, welche gefaßter als ich die übrigen Zu¬
stände getrost beschauen mochte" (24, 290). Auch bei einer starken Antipathie
gegen den düstern Charakter des ältesten Christenthums muß man über diese
Indifferenz erstaunen.

Die „Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786—1788, in
Briefen von Karl Philipp Moritz" (1792, drei Bände) können gegenwärtig
kaum ein anderes Interesse beanspruchen, als daß der Verfasser mit Goethe
in Verbindung stand. „Dieser Geist," sagt er, „ist ein Spiegel, in welchem
sich mir alle Gegenstände in ihrem lebhaftesten Glänze und in ihren frische¬
sten Farben darstellen. Der Umgang mit ihm bringt die schönsten Traume
meiner Jugend in Erfüllung, und seine Erscheinung gleich einem wohlthä¬
tigen Genius in dieser Sphäre der Kunst ist mir. so wie mehren, ein unver¬
hofftes Glück" (2, 148). Uebrigens erfährt man über Goethes Aufenthalt in
Italien so gut wie nichts aus diesem Buch. Es ist angefüllt mit Reminis¬
cenzen aus der alten Geschichte und Literatur, die einen ziemlich dillettan¬
tischen Anstrich haben. Hier eine Probe. „Mit meinen: Livius in der Hand
sitze ich unter den Bäumen der alten Via sacra; und dicht vor mir liegt das
enge Thal zwischen dem capitolinischen und palatinischen Berge. — Vor dritt-
halbtausend Jahren ereignete sich in diesem Thal die Scene, die mein Ge¬
schichtschreiber so rührend schildert, daß bei dem Anblick dieser Gegend das
Auge sich der Thränen kaum enthält" u. s. w. (1, 219). Eine Anekdote ist
der Mittheilung nicht unwerth, als Seitenstück zu der Erzählung Goethes,
daß er in Caltanisetta in Sicilien die Honoratioren aus dem Markt von den
Thaten Friedrichs des Großen habe unterhalten müssen. Bei Philipp Hackert
meldete sich, als er in einem sicilianischen Städtchen anhielt, eine Deputation
des Magistrats, „welche, um ihre Ehrfurcht für den großen König an den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/311>, abgerufen am 30.06.2024.