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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Alpen (im vorigen Jahrhundert passirte man gewöhnlich entweder den Mont
Cenis oder den Brenner); am meisten die Verbindungen zur See, die auf der
Westküste durch die schönen und prächtig eingerichteten englischen und franzö¬
sischen Postdampfer, auf der Ostküste durch die weniger eleganten, aber viel billi¬
gern Schiffe des östreichischen Lloyd unterhalten werden, von den verschiedenen
italienischen nicht zu reden, die meist nur bei gutem Wetter fahren und selten
zuverlässig sind. Keyßler machte die Fahrt von Genua nach Livorno in so¬
genannten Felukken oder Brigantium, kleinen Ruderschiffen ohne Verdeck zu
zehn bis zwölf Personen, die sich aber nicht auf die hohe See wagen konnten,
erstens wegen ihrer leichten Bauart und dann weil man vor den Corsaren
aus den Barbareskenstaaten auf der Hut sein mußte. In den Briefen über
Sicilien und Malta vom Grafen Borch 1777 glaubt man sich in die Zustände
der Schiffahrt zurückverseht, wie sie etwa die Odyssee schildert. Die Reisen¬
den bedienten sich einer maltesischen Speranara, eines kleinen Fahrzeugs von
sechs Rudern, von der Größe einer halben Felutke, ohne Bodenverdeck; ihr
Schiff, das 36 Schuh Länge maß, war eins der längsten dieser Art. "Die
Schiffleute sind so bewandert in diesem Element, daß sie den Tag über bevor¬
stehende Veränderungen der Luft vorherzusagen wissen, .und sobald sie Gefahr
wittern, wagen sie sich nie auf das hohe Meer, sondern vestreichcn immer die
Küsten. Da diese Schiffe sehr klein, leicht und platt sind, so suchen sie bei"
dem kleinsten Sturm Sicherheit und werden mit Hilfe einer doppelten Zug¬
rolle ans Land gezogen" (I. 5). Ein Sirocco bannte den Reisenden oft
wochenlang an die unwirthbare Küste von Calabrien (I. 13). Auf der Ueber-
fahrt von Syrnkus nach Malta schreibt der Verfasser an seinen Freund:
"Wenn uns die Türken unterwegs nicht wegnehmen, zso werden Sie sicher
bald etwas von mir erfahren, sollten Sie aber aus meinem Stillschweigen,
ein Unglück ahnden, so denken sie aus meine Erlösung, wenn ich inzwischen
mit dem Grabscheit in der Hand in dem Garten des Serails von irgend ei¬
nem afrikanischen Fürsten arbeiten werde" (I. 12'7). Bei diesen Schnecken¬
fahrten brauchte man von Palermo bis Neapel zwölf Tage! (II. 103.)

Der erste namhafte deutsche Reisende, der sich über Pästum hinauswagte,
war der Baron von Riedesel, an den Winckelmann von Rom aus zahlreiche
Briefe gerichtet hat; er nennt ihn den einzigen Reisenden, mit dem er einen
beständigen Briefwechsel unterhalte, rechnet ihn unter seine besten Freunde
(ein anderer war Mengs) und schreibt aufs zärtlichste an thu. Wie
man von einem Mann erwarten muß, den Winckelmann so schätzte,
wird seine kleine Schrift (Reise durch Sicilien und Großgriechenland 1771)
von allen Spätern aufs höchste gelobt. Goethe trug sie wie ein Brevier oder
Talisman bei sich; der treffliche Mann war ihm ein Mentor, auf den er von
Zeit zu Zeit hinblickte und hinhorchte. Das Buch ist fast ausschließlich den


Grenzboten IV. 1658. 38

Alpen (im vorigen Jahrhundert passirte man gewöhnlich entweder den Mont
Cenis oder den Brenner); am meisten die Verbindungen zur See, die auf der
Westküste durch die schönen und prächtig eingerichteten englischen und franzö¬
sischen Postdampfer, auf der Ostküste durch die weniger eleganten, aber viel billi¬
gern Schiffe des östreichischen Lloyd unterhalten werden, von den verschiedenen
italienischen nicht zu reden, die meist nur bei gutem Wetter fahren und selten
zuverlässig sind. Keyßler machte die Fahrt von Genua nach Livorno in so¬
genannten Felukken oder Brigantium, kleinen Ruderschiffen ohne Verdeck zu
zehn bis zwölf Personen, die sich aber nicht auf die hohe See wagen konnten,
erstens wegen ihrer leichten Bauart und dann weil man vor den Corsaren
aus den Barbareskenstaaten auf der Hut sein mußte. In den Briefen über
Sicilien und Malta vom Grafen Borch 1777 glaubt man sich in die Zustände
der Schiffahrt zurückverseht, wie sie etwa die Odyssee schildert. Die Reisen¬
den bedienten sich einer maltesischen Speranara, eines kleinen Fahrzeugs von
sechs Rudern, von der Größe einer halben Felutke, ohne Bodenverdeck; ihr
Schiff, das 36 Schuh Länge maß, war eins der längsten dieser Art. „Die
Schiffleute sind so bewandert in diesem Element, daß sie den Tag über bevor¬
stehende Veränderungen der Luft vorherzusagen wissen, .und sobald sie Gefahr
wittern, wagen sie sich nie auf das hohe Meer, sondern vestreichcn immer die
Küsten. Da diese Schiffe sehr klein, leicht und platt sind, so suchen sie bei"
dem kleinsten Sturm Sicherheit und werden mit Hilfe einer doppelten Zug¬
rolle ans Land gezogen" (I. 5). Ein Sirocco bannte den Reisenden oft
wochenlang an die unwirthbare Küste von Calabrien (I. 13). Auf der Ueber-
fahrt von Syrnkus nach Malta schreibt der Verfasser an seinen Freund:
„Wenn uns die Türken unterwegs nicht wegnehmen, zso werden Sie sicher
bald etwas von mir erfahren, sollten Sie aber aus meinem Stillschweigen,
ein Unglück ahnden, so denken sie aus meine Erlösung, wenn ich inzwischen
mit dem Grabscheit in der Hand in dem Garten des Serails von irgend ei¬
nem afrikanischen Fürsten arbeiten werde" (I. 12'7). Bei diesen Schnecken¬
fahrten brauchte man von Palermo bis Neapel zwölf Tage! (II. 103.)

Der erste namhafte deutsche Reisende, der sich über Pästum hinauswagte,
war der Baron von Riedesel, an den Winckelmann von Rom aus zahlreiche
Briefe gerichtet hat; er nennt ihn den einzigen Reisenden, mit dem er einen
beständigen Briefwechsel unterhalte, rechnet ihn unter seine besten Freunde
(ein anderer war Mengs) und schreibt aufs zärtlichste an thu. Wie
man von einem Mann erwarten muß, den Winckelmann so schätzte,
wird seine kleine Schrift (Reise durch Sicilien und Großgriechenland 1771)
von allen Spätern aufs höchste gelobt. Goethe trug sie wie ein Brevier oder
Talisman bei sich; der treffliche Mann war ihm ein Mentor, auf den er von
Zeit zu Zeit hinblickte und hinhorchte. Das Buch ist fast ausschließlich den


Grenzboten IV. 1658. 38
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/305>, abgerufen am 05.07.2024.