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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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mer oder Natur merkwürdigen Punkte waren theils unerreichbar, theils un-
entdeckt, nicht einmal die Eingebornen kannten sie. Selbst die nächsten Um¬
gegenden der Hauptstädte waren noch unvollkommen bekannt. Kein Reisender
besuchte z.B. von Florenz aus das wenig entfernte Fiesole, und noch weniger
wußte man damals etwas von dem Maler, dem dieser Ort seinen Nuhm
verdankt. Von Rom aus wurden allerdings Ausflüge in die Albaner- und
Sabinerberge gemacht, auch beschreibt Volkmann Cori und Palestrina, aber
noch spannte kein Landschaftsmaler in Olevano oder Subiaco seinen Schirm
auf, noch untersuchte kein Antiquar die cyklopischen Mauern der alten Volsker-
städte. Um Neapel wurden allerdings die Orte, die Ruinen enthielten, ge¬
wissenhaft durchwandert: aber von Pompeji, wo die Grabungen 1755 begon¬
nen hatten, war nur ein Theil der Gräberstrecke nebst dem Stadtthor und
ein geringer Theil der Stadt aufgedeckt (II. 318). Die Tempel von Pästum
wurden erst 1752 von einem neapolitanischen Maler entdeckt, dessen Skizzen
einige Engländer sahen und dadurch veranlaßt wurden den Ort zu besuchen.
"Von der Zeit an wurden die Neapolitaner, welche bisher nicht wußten, daß
die Ueberbleibsel einer ganzen Stadt in ihrer Nachbarschaft standen, aufmerk¬
sam" (II. 332). Noch unvollkommener waren die Naturschönheiten dieser
wundervollen Küste bekannt. Von Sorrent spricht Volkmann gar nicht, von
Capri^) weiß er weiter nichts, als daß Tiber dort abscheuliche Ausschweifun¬
gen begangen, von Ischia, daß es herrliche Schwitzbäder hat und von Procida,
daß dort die Fasanen des Königs von Neapel gehalten wurden. "Vor fünf¬
zehn Jahren war den Einwohnern deshalb verboten worden Katzen zu halten;
in Folge dessen vermehrten sich die Ratten so, daß nichts mehr sicher war,
nicht einmal neugeborne Kinder. Sie bestreuten deshalb bei einer Anwesen¬
heit des Königs den Weg mit vielen hundert erschlagenen Ratten, und stellten
ihm ihre Noth fußfällig vor, worauf die Katzen wieder erlaubt wurden" (III.
26"). Gewesen ist Volkmann, wie es scheint, auf keiner von all diesen In¬
seln. Uebrigens dürften im zwanzigsten Jahrhundert die heutigen Reisen in
Italien in dieser Beziehung ebenso unvollständig gefunden werden, als wir
die des achtzehnten finden. -

Italien ist das einzige Land, in dem man noch heute vielsültig so reist
wie vor hundert Jahren, nämlich mit Vetturinen; nur waren die zweirädrigen
Sedien, in denen sich auch Goethe noch fortschleppen ließ, unbequem genug
und die Fahrt eine leidige, während sie jetzt, in bequemen Wagen meist eine
sehr angenehme ist. Wesentlich verändert hat sich die Communication nur
in Oberitalien durch die Eisenbahn (die wenigen Strecken auf der eigentlichen
Halbinsel wollen noch nicht viel bedeuten); sodann die Uebergänge über die



-) Die blaue Grotte ist bekanntlich erst von dem Maler und Dichter Kopisch entdeckt-

mer oder Natur merkwürdigen Punkte waren theils unerreichbar, theils un-
entdeckt, nicht einmal die Eingebornen kannten sie. Selbst die nächsten Um¬
gegenden der Hauptstädte waren noch unvollkommen bekannt. Kein Reisender
besuchte z.B. von Florenz aus das wenig entfernte Fiesole, und noch weniger
wußte man damals etwas von dem Maler, dem dieser Ort seinen Nuhm
verdankt. Von Rom aus wurden allerdings Ausflüge in die Albaner- und
Sabinerberge gemacht, auch beschreibt Volkmann Cori und Palestrina, aber
noch spannte kein Landschaftsmaler in Olevano oder Subiaco seinen Schirm
auf, noch untersuchte kein Antiquar die cyklopischen Mauern der alten Volsker-
städte. Um Neapel wurden allerdings die Orte, die Ruinen enthielten, ge¬
wissenhaft durchwandert: aber von Pompeji, wo die Grabungen 1755 begon¬
nen hatten, war nur ein Theil der Gräberstrecke nebst dem Stadtthor und
ein geringer Theil der Stadt aufgedeckt (II. 318). Die Tempel von Pästum
wurden erst 1752 von einem neapolitanischen Maler entdeckt, dessen Skizzen
einige Engländer sahen und dadurch veranlaßt wurden den Ort zu besuchen.
„Von der Zeit an wurden die Neapolitaner, welche bisher nicht wußten, daß
die Ueberbleibsel einer ganzen Stadt in ihrer Nachbarschaft standen, aufmerk¬
sam" (II. 332). Noch unvollkommener waren die Naturschönheiten dieser
wundervollen Küste bekannt. Von Sorrent spricht Volkmann gar nicht, von
Capri^) weiß er weiter nichts, als daß Tiber dort abscheuliche Ausschweifun¬
gen begangen, von Ischia, daß es herrliche Schwitzbäder hat und von Procida,
daß dort die Fasanen des Königs von Neapel gehalten wurden. „Vor fünf¬
zehn Jahren war den Einwohnern deshalb verboten worden Katzen zu halten;
in Folge dessen vermehrten sich die Ratten so, daß nichts mehr sicher war,
nicht einmal neugeborne Kinder. Sie bestreuten deshalb bei einer Anwesen¬
heit des Königs den Weg mit vielen hundert erschlagenen Ratten, und stellten
ihm ihre Noth fußfällig vor, worauf die Katzen wieder erlaubt wurden" (III.
26»). Gewesen ist Volkmann, wie es scheint, auf keiner von all diesen In¬
seln. Uebrigens dürften im zwanzigsten Jahrhundert die heutigen Reisen in
Italien in dieser Beziehung ebenso unvollständig gefunden werden, als wir
die des achtzehnten finden. -

Italien ist das einzige Land, in dem man noch heute vielsültig so reist
wie vor hundert Jahren, nämlich mit Vetturinen; nur waren die zweirädrigen
Sedien, in denen sich auch Goethe noch fortschleppen ließ, unbequem genug
und die Fahrt eine leidige, während sie jetzt, in bequemen Wagen meist eine
sehr angenehme ist. Wesentlich verändert hat sich die Communication nur
in Oberitalien durch die Eisenbahn (die wenigen Strecken auf der eigentlichen
Halbinsel wollen noch nicht viel bedeuten); sodann die Uebergänge über die



-) Die blaue Grotte ist bekanntlich erst von dem Maler und Dichter Kopisch entdeckt-
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[0304] mer oder Natur merkwürdigen Punkte waren theils unerreichbar, theils un- entdeckt, nicht einmal die Eingebornen kannten sie. Selbst die nächsten Um¬ gegenden der Hauptstädte waren noch unvollkommen bekannt. Kein Reisender besuchte z.B. von Florenz aus das wenig entfernte Fiesole, und noch weniger wußte man damals etwas von dem Maler, dem dieser Ort seinen Nuhm verdankt. Von Rom aus wurden allerdings Ausflüge in die Albaner- und Sabinerberge gemacht, auch beschreibt Volkmann Cori und Palestrina, aber noch spannte kein Landschaftsmaler in Olevano oder Subiaco seinen Schirm auf, noch untersuchte kein Antiquar die cyklopischen Mauern der alten Volsker- städte. Um Neapel wurden allerdings die Orte, die Ruinen enthielten, ge¬ wissenhaft durchwandert: aber von Pompeji, wo die Grabungen 1755 begon¬ nen hatten, war nur ein Theil der Gräberstrecke nebst dem Stadtthor und ein geringer Theil der Stadt aufgedeckt (II. 318). Die Tempel von Pästum wurden erst 1752 von einem neapolitanischen Maler entdeckt, dessen Skizzen einige Engländer sahen und dadurch veranlaßt wurden den Ort zu besuchen. „Von der Zeit an wurden die Neapolitaner, welche bisher nicht wußten, daß die Ueberbleibsel einer ganzen Stadt in ihrer Nachbarschaft standen, aufmerk¬ sam" (II. 332). Noch unvollkommener waren die Naturschönheiten dieser wundervollen Küste bekannt. Von Sorrent spricht Volkmann gar nicht, von Capri^) weiß er weiter nichts, als daß Tiber dort abscheuliche Ausschweifun¬ gen begangen, von Ischia, daß es herrliche Schwitzbäder hat und von Procida, daß dort die Fasanen des Königs von Neapel gehalten wurden. „Vor fünf¬ zehn Jahren war den Einwohnern deshalb verboten worden Katzen zu halten; in Folge dessen vermehrten sich die Ratten so, daß nichts mehr sicher war, nicht einmal neugeborne Kinder. Sie bestreuten deshalb bei einer Anwesen¬ heit des Königs den Weg mit vielen hundert erschlagenen Ratten, und stellten ihm ihre Noth fußfällig vor, worauf die Katzen wieder erlaubt wurden" (III. 26»). Gewesen ist Volkmann, wie es scheint, auf keiner von all diesen In¬ seln. Uebrigens dürften im zwanzigsten Jahrhundert die heutigen Reisen in Italien in dieser Beziehung ebenso unvollständig gefunden werden, als wir die des achtzehnten finden. - Italien ist das einzige Land, in dem man noch heute vielsültig so reist wie vor hundert Jahren, nämlich mit Vetturinen; nur waren die zweirädrigen Sedien, in denen sich auch Goethe noch fortschleppen ließ, unbequem genug und die Fahrt eine leidige, während sie jetzt, in bequemen Wagen meist eine sehr angenehme ist. Wesentlich verändert hat sich die Communication nur in Oberitalien durch die Eisenbahn (die wenigen Strecken auf der eigentlichen Halbinsel wollen noch nicht viel bedeuten); sodann die Uebergänge über die -) Die blaue Grotte ist bekanntlich erst von dem Maler und Dichter Kopisch entdeckt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/304>, abgerufen am 05.07.2024.