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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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ein solches Borgehen uns unwillkürlich an den wohlbekannten Schritt der östreichi¬
schen Landwehr erinnern. Der östreichische Staat, wie er aus dem Glühofen der
Revolution hervorging, war ein geschmeidiger Stoff und konnte damals wol
in jede beliebige Form gehämmert werden; aber mit dem Erkalten wurde der
Stoff täglich spröder, und er kann brechen unter dum ersten Hammerschlag.
Auch kann man vielleicht einen bereits organisirten Staat mit den Zügeln
der absoluten Herrschaft und einer genügenden Anzahl Bayonette für eine
Zeit in den geregelten Bahnen erhalten, doch einen Staat mit Hilft dieser
Potenzen einer langsamen Organisation entgegenführen wollen, ist jedenfalls
ein gefährliches Experiment. ,

Man ist allgemein der Ansicht, daß die östreichische Regierung seit
Schwarzenbergs Tod an Energie und Thatkraft bedeutend verloren habe, und
besonders glaubte man während des russisch-türkischen Krieges behaupten zu
dürfen, daß Schwarzenberg -- "die Welt soll noch über meine Undankbarkeit
staunen" wurde ihm bekanntlich in den Mund gelegt -- einen thätigen An¬
theil an diesem Wettkampf genommen hätte. Wir wollen hier keine speculativen
Untersuchungen über eine vergangene Möglichkeit anstellen, doch glauben wir,
daß die von Schwarzenbergs Nachfolgern beobachtete Politik den Vorwurf
der Energielosigkeit oder gar der Erschlaffung durchaus nicht verdiene.

Daß nach Schwarzenbcrgs Tod die äußere Politik Oestreichs weniger
herausfordernd, die Angriffe gegen Preußen und die Anläufe gegen den Zoll¬
verein gemäßigter wurden, daß die Maßregelung der besiegten Provinzen
weniger schroff, die Zügel der Negierung weniger stramm ungezogen wurden,
liegt ganz in der Natur der Sache, ja ist selbst Naturgesetz. Aus jede über¬
mäßige Spannung muß ein gewisser Grad von Erschlaffung folgen, und selbst
die soldatischen Landesgouverneure mußten endlich des ewigen Maßregclns
müde werden. Hierzu kamen noch die Umstände, daß Schwarzenberg den
Moment versäumt hatte, wo eine summarische Umgestaltung des alten Oestreich
möglich und geboten war, daß gleich nach seinem Tod (1852) vom Westen her
der französische Kaiseradler mit seiner flatternden Friedensdevise, und bald
darauf vom Osten her die orientalische Frage das europäische Gleichgewicht
mit einem jähen Zusammensturz, und im Innern die von Schwarzenberg
überkommenen zerrütteten Finanzen mit ihren stereotypen Deficits den Staat
mit einem verderblichen Bankrott bedrohten, wodurch natürlich die Thätigkeit
der Regierung von den eigentlichen Reorganisationsarbeiten abgeleitet wer¬
den mußte.

So kam es, daß eine Arbeit, die, zur rechten Zeit und mit der erforder¬
lichen Kraftentwicklung vorgenommen, nicht mehr als eines Jahres bedurft
hätte, jetzt nach zehn Jahren noch immer nicht fertig ist, daß der spröde Stoff,
aus dem ein Gesammtöstreich gesonnt werden soll, noch seines Meisters harrt,


ein solches Borgehen uns unwillkürlich an den wohlbekannten Schritt der östreichi¬
schen Landwehr erinnern. Der östreichische Staat, wie er aus dem Glühofen der
Revolution hervorging, war ein geschmeidiger Stoff und konnte damals wol
in jede beliebige Form gehämmert werden; aber mit dem Erkalten wurde der
Stoff täglich spröder, und er kann brechen unter dum ersten Hammerschlag.
Auch kann man vielleicht einen bereits organisirten Staat mit den Zügeln
der absoluten Herrschaft und einer genügenden Anzahl Bayonette für eine
Zeit in den geregelten Bahnen erhalten, doch einen Staat mit Hilft dieser
Potenzen einer langsamen Organisation entgegenführen wollen, ist jedenfalls
ein gefährliches Experiment. ,

Man ist allgemein der Ansicht, daß die östreichische Regierung seit
Schwarzenbergs Tod an Energie und Thatkraft bedeutend verloren habe, und
besonders glaubte man während des russisch-türkischen Krieges behaupten zu
dürfen, daß Schwarzenberg — „die Welt soll noch über meine Undankbarkeit
staunen" wurde ihm bekanntlich in den Mund gelegt — einen thätigen An¬
theil an diesem Wettkampf genommen hätte. Wir wollen hier keine speculativen
Untersuchungen über eine vergangene Möglichkeit anstellen, doch glauben wir,
daß die von Schwarzenbergs Nachfolgern beobachtete Politik den Vorwurf
der Energielosigkeit oder gar der Erschlaffung durchaus nicht verdiene.

Daß nach Schwarzenbcrgs Tod die äußere Politik Oestreichs weniger
herausfordernd, die Angriffe gegen Preußen und die Anläufe gegen den Zoll¬
verein gemäßigter wurden, daß die Maßregelung der besiegten Provinzen
weniger schroff, die Zügel der Negierung weniger stramm ungezogen wurden,
liegt ganz in der Natur der Sache, ja ist selbst Naturgesetz. Aus jede über¬
mäßige Spannung muß ein gewisser Grad von Erschlaffung folgen, und selbst
die soldatischen Landesgouverneure mußten endlich des ewigen Maßregclns
müde werden. Hierzu kamen noch die Umstände, daß Schwarzenberg den
Moment versäumt hatte, wo eine summarische Umgestaltung des alten Oestreich
möglich und geboten war, daß gleich nach seinem Tod (1852) vom Westen her
der französische Kaiseradler mit seiner flatternden Friedensdevise, und bald
darauf vom Osten her die orientalische Frage das europäische Gleichgewicht
mit einem jähen Zusammensturz, und im Innern die von Schwarzenberg
überkommenen zerrütteten Finanzen mit ihren stereotypen Deficits den Staat
mit einem verderblichen Bankrott bedrohten, wodurch natürlich die Thätigkeit
der Regierung von den eigentlichen Reorganisationsarbeiten abgeleitet wer¬
den mußte.

So kam es, daß eine Arbeit, die, zur rechten Zeit und mit der erforder¬
lichen Kraftentwicklung vorgenommen, nicht mehr als eines Jahres bedurft
hätte, jetzt nach zehn Jahren noch immer nicht fertig ist, daß der spröde Stoff,
aus dem ein Gesammtöstreich gesonnt werden soll, noch seines Meisters harrt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/255>, abgerufen am 22.07.2024.