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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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betrachtet wurden. Bei dem Umstand, daß ein großer Theil des Adels ohne
Besitz und noch mehr ohne Bildung war. mußte die in seine Hand gelegte
ausschließliche Ausübung aller politischen Rechte viele von den Mängeln eines
Kastenregiments ohne die Vortheile erzeugen, welche eine eigentlich aristokratische
oder oligarchische Regierung mit sich bringt.

Von Seiten Oestreichs waltete ein nicht minder verderblicher Umstand ob,
in der Verschiedenheit der Regierungsformen der sogenannten Erbländer und
Ungarns. Seit 1527 regierten die Fürsten aus dem Hause Habsburg-Lothrin¬
gen als Könige in Ungarn. In den Erbländern dieses Hauses waren die
ständischen Landtage im Laufe der Jahrhunderte zu bedeutungslosen ceremo-
niellen Aufzügen herabgesunken, alle municipale Selbstständigkeit durch eine
in allen Zweigen der Verwaltung streng durchgeführte Centralisation aufge¬
hoben, und die Regenten konnten sich füglich als absolute Herrscher betrachten.
Nur in Ungarn, wo der Handhaber der Constitution, der Adel, sehr zahlreich
und ein bedeutender Theil desselben auch vesitzreich war, wo schon infolge der
Anncxation des Landes an ein fremdes Reich ein hoher Grad von Mißtrauen
und Eifersucht geweckt, und durch mehre von Oestreichs Feinden begünstigte
Revolutionen und Kämpfe wach erhalten würde, erhielt sich die alte Verfassung
in ihren Hauptzügen bis auf die neueste Zeit. Dies mußte für die Entwick¬
lung des östreichischen Kaiserstaates sowol als für die gedeihliche Entfaltung
des ungarischen Verfassungswesens sehr mißliche Uebelstände erzeugen. Oest¬
reich betrachtete Ungarn als einen revolutionären Staat im Staate, als ein
Hinderniß seiner politischen Abrundung und Gleichförmigkeit, und sah sich
daher bewogen, durch oft wiederholte Eingriffe in die Constitution die Sonder¬
stellung des Magyarenlandes allmälig aufzuheben. Dadurch wurden die Un¬
garn noch mehr mißtrauisch gemacht, noch mehr zum Festhalten an ihrer Natio¬
nalität und Verfassung, ja selbst an den Mängeln der letzteren bestimmt.

So entstand ein nur selten unterbrochener Kampf zmischen dem Gro߬
staate und einem seiner wichtigsten Theile, welcher endlich zum offnen Krieg,
zum Krieg um Sein und Nichtsein führen mußte. Oestreich ist siegreich aus
diesem Kriege hervorgegangen, und es ist das Recht des Siegers, seinen
Sieg nach den Gesetzen der Billigkeit und politischen Zweckmäßigkeit zu seinem
Vortheil auszubeuten.

Unmittelbar nach der Beendigung des ungarischen Revolutionskampfes
war in Ungarn die Ansicht und Hoffnung fast allgemein, daß der junge
Monarch selbst im Siege die Kraft und Bedeutung des Besiegten nicht unter¬
schätzen und die noch aufgeregten Gemüther durch einen Act fürstlicher Gro߬
muth beruhigen, erst wahrhaft besiegen würde. Die Hoffnung fand ihre
Berechtigung in einigen Antecedentien in der ungarischen Geschichte sowie in
dem Bewußtsein des ganzen Volkes, daß der Kampf nur durch das Aneinander-


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betrachtet wurden. Bei dem Umstand, daß ein großer Theil des Adels ohne
Besitz und noch mehr ohne Bildung war. mußte die in seine Hand gelegte
ausschließliche Ausübung aller politischen Rechte viele von den Mängeln eines
Kastenregiments ohne die Vortheile erzeugen, welche eine eigentlich aristokratische
oder oligarchische Regierung mit sich bringt.

Von Seiten Oestreichs waltete ein nicht minder verderblicher Umstand ob,
in der Verschiedenheit der Regierungsformen der sogenannten Erbländer und
Ungarns. Seit 1527 regierten die Fürsten aus dem Hause Habsburg-Lothrin¬
gen als Könige in Ungarn. In den Erbländern dieses Hauses waren die
ständischen Landtage im Laufe der Jahrhunderte zu bedeutungslosen ceremo-
niellen Aufzügen herabgesunken, alle municipale Selbstständigkeit durch eine
in allen Zweigen der Verwaltung streng durchgeführte Centralisation aufge¬
hoben, und die Regenten konnten sich füglich als absolute Herrscher betrachten.
Nur in Ungarn, wo der Handhaber der Constitution, der Adel, sehr zahlreich
und ein bedeutender Theil desselben auch vesitzreich war, wo schon infolge der
Anncxation des Landes an ein fremdes Reich ein hoher Grad von Mißtrauen
und Eifersucht geweckt, und durch mehre von Oestreichs Feinden begünstigte
Revolutionen und Kämpfe wach erhalten würde, erhielt sich die alte Verfassung
in ihren Hauptzügen bis auf die neueste Zeit. Dies mußte für die Entwick¬
lung des östreichischen Kaiserstaates sowol als für die gedeihliche Entfaltung
des ungarischen Verfassungswesens sehr mißliche Uebelstände erzeugen. Oest¬
reich betrachtete Ungarn als einen revolutionären Staat im Staate, als ein
Hinderniß seiner politischen Abrundung und Gleichförmigkeit, und sah sich
daher bewogen, durch oft wiederholte Eingriffe in die Constitution die Sonder¬
stellung des Magyarenlandes allmälig aufzuheben. Dadurch wurden die Un¬
garn noch mehr mißtrauisch gemacht, noch mehr zum Festhalten an ihrer Natio¬
nalität und Verfassung, ja selbst an den Mängeln der letzteren bestimmt.

So entstand ein nur selten unterbrochener Kampf zmischen dem Gro߬
staate und einem seiner wichtigsten Theile, welcher endlich zum offnen Krieg,
zum Krieg um Sein und Nichtsein führen mußte. Oestreich ist siegreich aus
diesem Kriege hervorgegangen, und es ist das Recht des Siegers, seinen
Sieg nach den Gesetzen der Billigkeit und politischen Zweckmäßigkeit zu seinem
Vortheil auszubeuten.

Unmittelbar nach der Beendigung des ungarischen Revolutionskampfes
war in Ungarn die Ansicht und Hoffnung fast allgemein, daß der junge
Monarch selbst im Siege die Kraft und Bedeutung des Besiegten nicht unter¬
schätzen und die noch aufgeregten Gemüther durch einen Act fürstlicher Gro߬
muth beruhigen, erst wahrhaft besiegen würde. Die Hoffnung fand ihre
Berechtigung in einigen Antecedentien in der ungarischen Geschichte sowie in
dem Bewußtsein des ganzen Volkes, daß der Kampf nur durch das Aneinander-


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[0251] betrachtet wurden. Bei dem Umstand, daß ein großer Theil des Adels ohne Besitz und noch mehr ohne Bildung war. mußte die in seine Hand gelegte ausschließliche Ausübung aller politischen Rechte viele von den Mängeln eines Kastenregiments ohne die Vortheile erzeugen, welche eine eigentlich aristokratische oder oligarchische Regierung mit sich bringt. Von Seiten Oestreichs waltete ein nicht minder verderblicher Umstand ob, in der Verschiedenheit der Regierungsformen der sogenannten Erbländer und Ungarns. Seit 1527 regierten die Fürsten aus dem Hause Habsburg-Lothrin¬ gen als Könige in Ungarn. In den Erbländern dieses Hauses waren die ständischen Landtage im Laufe der Jahrhunderte zu bedeutungslosen ceremo- niellen Aufzügen herabgesunken, alle municipale Selbstständigkeit durch eine in allen Zweigen der Verwaltung streng durchgeführte Centralisation aufge¬ hoben, und die Regenten konnten sich füglich als absolute Herrscher betrachten. Nur in Ungarn, wo der Handhaber der Constitution, der Adel, sehr zahlreich und ein bedeutender Theil desselben auch vesitzreich war, wo schon infolge der Anncxation des Landes an ein fremdes Reich ein hoher Grad von Mißtrauen und Eifersucht geweckt, und durch mehre von Oestreichs Feinden begünstigte Revolutionen und Kämpfe wach erhalten würde, erhielt sich die alte Verfassung in ihren Hauptzügen bis auf die neueste Zeit. Dies mußte für die Entwick¬ lung des östreichischen Kaiserstaates sowol als für die gedeihliche Entfaltung des ungarischen Verfassungswesens sehr mißliche Uebelstände erzeugen. Oest¬ reich betrachtete Ungarn als einen revolutionären Staat im Staate, als ein Hinderniß seiner politischen Abrundung und Gleichförmigkeit, und sah sich daher bewogen, durch oft wiederholte Eingriffe in die Constitution die Sonder¬ stellung des Magyarenlandes allmälig aufzuheben. Dadurch wurden die Un¬ garn noch mehr mißtrauisch gemacht, noch mehr zum Festhalten an ihrer Natio¬ nalität und Verfassung, ja selbst an den Mängeln der letzteren bestimmt. So entstand ein nur selten unterbrochener Kampf zmischen dem Gro߬ staate und einem seiner wichtigsten Theile, welcher endlich zum offnen Krieg, zum Krieg um Sein und Nichtsein führen mußte. Oestreich ist siegreich aus diesem Kriege hervorgegangen, und es ist das Recht des Siegers, seinen Sieg nach den Gesetzen der Billigkeit und politischen Zweckmäßigkeit zu seinem Vortheil auszubeuten. Unmittelbar nach der Beendigung des ungarischen Revolutionskampfes war in Ungarn die Ansicht und Hoffnung fast allgemein, daß der junge Monarch selbst im Siege die Kraft und Bedeutung des Besiegten nicht unter¬ schätzen und die noch aufgeregten Gemüther durch einen Act fürstlicher Gro߬ muth beruhigen, erst wahrhaft besiegen würde. Die Hoffnung fand ihre Berechtigung in einigen Antecedentien in der ungarischen Geschichte sowie in dem Bewußtsein des ganzen Volkes, daß der Kampf nur durch das Aneinander- 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/251>, abgerufen am 22.07.2024.