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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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täten verwenden, was in der That bei der persischen Säule zu Persepolis, wie
bei der indischen der Fall ist.

Aber die Säule bildet gar nicht überall, wie in der im Ganz>en leichten,
griechischen Bauart, wenn man so sagen darf, die leitende Hauptformel der
architektonischen Berechnung. Sie kommt im gothischen Stil allerdings auch
vor, aber nicht draußen, als Schmuck und Charakterausdruck des Gebäudes,
sondern im Innern, um als Ausgangspunkt für die zusammenlaufenden Li¬
nien der Spitzgewölbe zu dienen und sich in denselben gleichsam fortzusetzen.
Sie fällt ganz fort, wo der Bogen des Gewölbes ausreicht, um sich selbst
und die Decke zu tragen. Es ist bekannt, mit welcher Kühnheit alte italie¬
nische Architekten ihre weiten Wölbungen spannten, indem sie durch die ge¬
naueste Berechnung und Ausführung den Nothbehelf der Säule überflüssig
machten. In solchen, kolossaler angelegten Gebäuden kommt die Mauer
selbst zu ihrem vollen architektonischen Recht. Wegen ihrer Höhe schon an
sich selber eine bedeutende Last tragend, also in ihrer Stärke beim Ausgange
vom Grunde bedingt, und zum Tragen schwerer steinerner Decken oder hoher
Gewölbe bestimmt, wird sie um sich bedeutsam, während sie im griechischen
Bau nur eine ganz beiläufige, untergeordnete Rolle spielt.

Man konnte sich demnach schon im Alterthum, da wo nich? die Säule,
sondern die volle Mauer zur Anwendung kam, die Frage vorlegen, in
welcher Weise ihre weite, kahle Fläche zu schmücken Seil. Bei der vorherrschen¬
den bürgerlichen Architektur der neuern Zeit kann zu dieser Frage um so weni¬
ger Anlaß sein, da meist Haus neben Haus steht und wir nur die eine, vor¬
dere Seite zu sehen bekommen. Diese ist aber nicht Mauer, sondern wesentlich
eine Reihe von Pfeilern, die durch dazwischen gespannte Bogen die Fenster-
brüstuugen tragen, und oft, mehr oder minder geschmackvoll, als Pilcister aus¬
geführt sind. Durch die Fenster selbst, Thorwege und Thüren bietet sich schon
so viele Mannigfaltigkeit dar, daß nur wenig dazu gehört, um den noch
bleibenden Raum architektonisch zu zieren. Aber wo größere öffentliche Gebäude
ringsum frei stehen, kann sich hier eine schwer zu lösende Schwierigkeit zeigen,
wie z. B. das dem Schlosse in Berlin gegenüberliegende alte Museum zwar
in der Säulenreihe der Vorderseite seinen griechischen Schmuck erhielt, jedoch
an den andern Seiten kahl emporsteigt, ein Uebelstand, der, wie jedem Beschauer,
so gewiß auch dem berühmten Architekten des Gebäudes, und ihm zuerst
auffiel, aber nicht leicht zu beseitigen war. Auch selbst bei Wohnhäusern, die
an dem Durchschnitt zweier Straßen liegen, ist man in Hinsicht der fenster¬
losen Seite in Verlegenheit, bei der man sich durch sogenannte "blinde Fenster"
hilft, die schwerlich als ein wahrer, architektonischer Schmuck gelten können.

Die uns vor Augen stehende gothische Architektur hat nun den dürren
Anblick, welchen glatte und kahle Flächen gewähren, glücklich zu vermeiden


täten verwenden, was in der That bei der persischen Säule zu Persepolis, wie
bei der indischen der Fall ist.

Aber die Säule bildet gar nicht überall, wie in der im Ganz>en leichten,
griechischen Bauart, wenn man so sagen darf, die leitende Hauptformel der
architektonischen Berechnung. Sie kommt im gothischen Stil allerdings auch
vor, aber nicht draußen, als Schmuck und Charakterausdruck des Gebäudes,
sondern im Innern, um als Ausgangspunkt für die zusammenlaufenden Li¬
nien der Spitzgewölbe zu dienen und sich in denselben gleichsam fortzusetzen.
Sie fällt ganz fort, wo der Bogen des Gewölbes ausreicht, um sich selbst
und die Decke zu tragen. Es ist bekannt, mit welcher Kühnheit alte italie¬
nische Architekten ihre weiten Wölbungen spannten, indem sie durch die ge¬
naueste Berechnung und Ausführung den Nothbehelf der Säule überflüssig
machten. In solchen, kolossaler angelegten Gebäuden kommt die Mauer
selbst zu ihrem vollen architektonischen Recht. Wegen ihrer Höhe schon an
sich selber eine bedeutende Last tragend, also in ihrer Stärke beim Ausgange
vom Grunde bedingt, und zum Tragen schwerer steinerner Decken oder hoher
Gewölbe bestimmt, wird sie um sich bedeutsam, während sie im griechischen
Bau nur eine ganz beiläufige, untergeordnete Rolle spielt.

Man konnte sich demnach schon im Alterthum, da wo nich? die Säule,
sondern die volle Mauer zur Anwendung kam, die Frage vorlegen, in
welcher Weise ihre weite, kahle Fläche zu schmücken Seil. Bei der vorherrschen¬
den bürgerlichen Architektur der neuern Zeit kann zu dieser Frage um so weni¬
ger Anlaß sein, da meist Haus neben Haus steht und wir nur die eine, vor¬
dere Seite zu sehen bekommen. Diese ist aber nicht Mauer, sondern wesentlich
eine Reihe von Pfeilern, die durch dazwischen gespannte Bogen die Fenster-
brüstuugen tragen, und oft, mehr oder minder geschmackvoll, als Pilcister aus¬
geführt sind. Durch die Fenster selbst, Thorwege und Thüren bietet sich schon
so viele Mannigfaltigkeit dar, daß nur wenig dazu gehört, um den noch
bleibenden Raum architektonisch zu zieren. Aber wo größere öffentliche Gebäude
ringsum frei stehen, kann sich hier eine schwer zu lösende Schwierigkeit zeigen,
wie z. B. das dem Schlosse in Berlin gegenüberliegende alte Museum zwar
in der Säulenreihe der Vorderseite seinen griechischen Schmuck erhielt, jedoch
an den andern Seiten kahl emporsteigt, ein Uebelstand, der, wie jedem Beschauer,
so gewiß auch dem berühmten Architekten des Gebäudes, und ihm zuerst
auffiel, aber nicht leicht zu beseitigen war. Auch selbst bei Wohnhäusern, die
an dem Durchschnitt zweier Straßen liegen, ist man in Hinsicht der fenster¬
losen Seite in Verlegenheit, bei der man sich durch sogenannte „blinde Fenster"
hilft, die schwerlich als ein wahrer, architektonischer Schmuck gelten können.

Die uns vor Augen stehende gothische Architektur hat nun den dürren
Anblick, welchen glatte und kahle Flächen gewähren, glücklich zu vermeiden


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[0224] täten verwenden, was in der That bei der persischen Säule zu Persepolis, wie bei der indischen der Fall ist. Aber die Säule bildet gar nicht überall, wie in der im Ganz>en leichten, griechischen Bauart, wenn man so sagen darf, die leitende Hauptformel der architektonischen Berechnung. Sie kommt im gothischen Stil allerdings auch vor, aber nicht draußen, als Schmuck und Charakterausdruck des Gebäudes, sondern im Innern, um als Ausgangspunkt für die zusammenlaufenden Li¬ nien der Spitzgewölbe zu dienen und sich in denselben gleichsam fortzusetzen. Sie fällt ganz fort, wo der Bogen des Gewölbes ausreicht, um sich selbst und die Decke zu tragen. Es ist bekannt, mit welcher Kühnheit alte italie¬ nische Architekten ihre weiten Wölbungen spannten, indem sie durch die ge¬ naueste Berechnung und Ausführung den Nothbehelf der Säule überflüssig machten. In solchen, kolossaler angelegten Gebäuden kommt die Mauer selbst zu ihrem vollen architektonischen Recht. Wegen ihrer Höhe schon an sich selber eine bedeutende Last tragend, also in ihrer Stärke beim Ausgange vom Grunde bedingt, und zum Tragen schwerer steinerner Decken oder hoher Gewölbe bestimmt, wird sie um sich bedeutsam, während sie im griechischen Bau nur eine ganz beiläufige, untergeordnete Rolle spielt. Man konnte sich demnach schon im Alterthum, da wo nich? die Säule, sondern die volle Mauer zur Anwendung kam, die Frage vorlegen, in welcher Weise ihre weite, kahle Fläche zu schmücken Seil. Bei der vorherrschen¬ den bürgerlichen Architektur der neuern Zeit kann zu dieser Frage um so weni¬ ger Anlaß sein, da meist Haus neben Haus steht und wir nur die eine, vor¬ dere Seite zu sehen bekommen. Diese ist aber nicht Mauer, sondern wesentlich eine Reihe von Pfeilern, die durch dazwischen gespannte Bogen die Fenster- brüstuugen tragen, und oft, mehr oder minder geschmackvoll, als Pilcister aus¬ geführt sind. Durch die Fenster selbst, Thorwege und Thüren bietet sich schon so viele Mannigfaltigkeit dar, daß nur wenig dazu gehört, um den noch bleibenden Raum architektonisch zu zieren. Aber wo größere öffentliche Gebäude ringsum frei stehen, kann sich hier eine schwer zu lösende Schwierigkeit zeigen, wie z. B. das dem Schlosse in Berlin gegenüberliegende alte Museum zwar in der Säulenreihe der Vorderseite seinen griechischen Schmuck erhielt, jedoch an den andern Seiten kahl emporsteigt, ein Uebelstand, der, wie jedem Beschauer, so gewiß auch dem berühmten Architekten des Gebäudes, und ihm zuerst auffiel, aber nicht leicht zu beseitigen war. Auch selbst bei Wohnhäusern, die an dem Durchschnitt zweier Straßen liegen, ist man in Hinsicht der fenster¬ losen Seite in Verlegenheit, bei der man sich durch sogenannte „blinde Fenster" hilft, die schwerlich als ein wahrer, architektonischer Schmuck gelten können. Die uns vor Augen stehende gothische Architektur hat nun den dürren Anblick, welchen glatte und kahle Flächen gewähren, glücklich zu vermeiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/224>, abgerufen am 02.07.2024.