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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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wickelt hatte, er unterscheidet sich also hierdurch wesentlich von den Erben des
Hauserbauers.

Welche Folgen für das Recht dieser beiden Personen muß dies verschiedene
Verhalten derselben zu ihrem Nechtsobject haben?

Es gibt drei wohlbekannte Rechtssätze, die lauten ungefähr so: Wer sich
drei oder zehn Jahre lang um sein Eigenthum nicht kümmert, der hat es ver¬
loren; wer dreißig Jahrelang seine Forderung gegen den Schuldner nicht geltend
macht, hat sie verloren; der adelige Grundherr, der sein Gut an seinen
Bauern zu Lehn gab, hat sein Gut verloren. Wie kommt es denn, daß
man auf einmal diese wohlerworbenen Rechte nicht gelten lassen will? Sie
haben ihr Recht verwirkt, sagt unser Rechtsgefühl, sie haben keine der Thätig¬
keiten entfaltet, die nach meiner Ansicht dazu gehören, um mir den Gedanken
wach zu erhalten, daß sie ein Recht an diesen Sachen haben. Es ist eben
ein eigen Ding um unser Rechtsgefühl. Es ist das keine leblose Theorie,
die man in Formen und Recepten Jahrhunderte lang aufbewahren könnte.
Es ist vielmehr ein sehr reales Ding, das überall auf den wirklichen Ver¬
hältnissen seine Grundlage haben will real, wie das Leben selbst, in dem
es sich bewegt. Mit eignen Augen will es sich überzeugen, ob der Einzelne
in dem Verhältniß zu seinem Nechtsobject stehe, das allein ihm ein Recht
daran geben und sichern kann, und Bescheinigungen, die eine frühere Gene¬
ration über dies Verhältniß ausgestellt, werden nicht allzusehr hierbei berück¬
sichtigt. So mögen in unsern Bespielen die Eigenthümer und der Fordcrungs-
berechtigte mit noch so vielen Documenten beweisen können, daß ihre Väter
und Großväter, ja sie selbst das fragliche Recht unbestritten gehabt, unser
Rechtsgefühl weist sie doch zurück: sie sind ihm eben mit ihrem Recht aus
dem Gedächtniß gekommen.

Wenn aber unser Rechtsgefühl ein vollkommen wirksam bestehendes Recht
deshalb gradezu aufhebt, weil der bisherige Inhaber die Thätigkeit hinsicht¬
lich seines Ncchtsobjects nicht entwickelt hat, die zur Erhaltung seines Rechts
nothwendig war, um wie viel weniger wird es dann geneigt sein können,
sich für die Fortdauer eines Rechts zu entscheiden, dessen Gegenstand seiner
eigenthümlichen Natur nach für einen jeden andern als den ersten Berechtig¬
ten die erforderliche Thätigkeit unmöglich macht. Dies letztere ist aber, wie
wir sehen, bei dem literanschcn und artistischen Eigenthum der Fall, und die
Majorität des Congresses hat daher mit gutem Grund das Princip der ewigen
Dauer dieses Rechts verworfen.

Es kam uns bei unserer Ausführung allein darauf an, den zwingenden
Rechtsgrund bloß zulegen, auf dem diese Entscheidung der Majorität beruht.
Es wird deshalb, nachdem dies geschehen, nicht ganz unangemessen sein, auch
einmal den Werth der allgemein menschlichen Momente zu prüfen, die mit


wickelt hatte, er unterscheidet sich also hierdurch wesentlich von den Erben des
Hauserbauers.

Welche Folgen für das Recht dieser beiden Personen muß dies verschiedene
Verhalten derselben zu ihrem Nechtsobject haben?

Es gibt drei wohlbekannte Rechtssätze, die lauten ungefähr so: Wer sich
drei oder zehn Jahre lang um sein Eigenthum nicht kümmert, der hat es ver¬
loren; wer dreißig Jahrelang seine Forderung gegen den Schuldner nicht geltend
macht, hat sie verloren; der adelige Grundherr, der sein Gut an seinen
Bauern zu Lehn gab, hat sein Gut verloren. Wie kommt es denn, daß
man auf einmal diese wohlerworbenen Rechte nicht gelten lassen will? Sie
haben ihr Recht verwirkt, sagt unser Rechtsgefühl, sie haben keine der Thätig¬
keiten entfaltet, die nach meiner Ansicht dazu gehören, um mir den Gedanken
wach zu erhalten, daß sie ein Recht an diesen Sachen haben. Es ist eben
ein eigen Ding um unser Rechtsgefühl. Es ist das keine leblose Theorie,
die man in Formen und Recepten Jahrhunderte lang aufbewahren könnte.
Es ist vielmehr ein sehr reales Ding, das überall auf den wirklichen Ver¬
hältnissen seine Grundlage haben will real, wie das Leben selbst, in dem
es sich bewegt. Mit eignen Augen will es sich überzeugen, ob der Einzelne
in dem Verhältniß zu seinem Nechtsobject stehe, das allein ihm ein Recht
daran geben und sichern kann, und Bescheinigungen, die eine frühere Gene¬
ration über dies Verhältniß ausgestellt, werden nicht allzusehr hierbei berück¬
sichtigt. So mögen in unsern Bespielen die Eigenthümer und der Fordcrungs-
berechtigte mit noch so vielen Documenten beweisen können, daß ihre Väter
und Großväter, ja sie selbst das fragliche Recht unbestritten gehabt, unser
Rechtsgefühl weist sie doch zurück: sie sind ihm eben mit ihrem Recht aus
dem Gedächtniß gekommen.

Wenn aber unser Rechtsgefühl ein vollkommen wirksam bestehendes Recht
deshalb gradezu aufhebt, weil der bisherige Inhaber die Thätigkeit hinsicht¬
lich seines Ncchtsobjects nicht entwickelt hat, die zur Erhaltung seines Rechts
nothwendig war, um wie viel weniger wird es dann geneigt sein können,
sich für die Fortdauer eines Rechts zu entscheiden, dessen Gegenstand seiner
eigenthümlichen Natur nach für einen jeden andern als den ersten Berechtig¬
ten die erforderliche Thätigkeit unmöglich macht. Dies letztere ist aber, wie
wir sehen, bei dem literanschcn und artistischen Eigenthum der Fall, und die
Majorität des Congresses hat daher mit gutem Grund das Princip der ewigen
Dauer dieses Rechts verworfen.

Es kam uns bei unserer Ausführung allein darauf an, den zwingenden
Rechtsgrund bloß zulegen, auf dem diese Entscheidung der Majorität beruht.
Es wird deshalb, nachdem dies geschehen, nicht ganz unangemessen sein, auch
einmal den Werth der allgemein menschlichen Momente zu prüfen, die mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/218>, abgerufen am 02.07.2024.