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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gerichtet, und im Südosten zweifelhaften Charakters. Das türkische Reich und
Griechenland, Holland und Belgien und die Schweiz füllen die Lücken. Das
sind die Außenwerke der Pcntarchie." -- Diese Pcntarchie beabsichtigte man
in Wien zu einer Art europäischem Areopag zu erheben, welcher alle Streitig¬
keiten schlichten sollte, es war die Zeit der Congresse. aber die Sache mißlang,
schon seit England sich geweigert, der heiligen Allianz beizutreten, welche dies
System befestigen sollte. Die fünf Staaten beriethen allerdings europäische
Angelegenheiten miteinander; aber ohne ihre gemeinsame Zustimmung, ja sehr
gegen den Willen einiger von ihnen vollzogen sich Aenderungen des Systems,
wie die belgische Revolution, die Schöpfung Griechenlands, die Einverleibung
Krakaus u. s. w. Der Versasser gedenkt namentlich der Türkei und des viel¬
besprochenen Einflusses ihrer Zerrüttung auf Europa, er läßt aber einen sehr
wichtigen Factor außer Augen, die Vereinigten Staaten. Sie liegen zwar in
Amerika, aber ihr Einfluß auf das europäische Gleichgewicht ist sehr bedeutend,
und sie müssen bei jeder politischen Combination in Betracht gezogen werden.
Zwar zweifeln wir nicht, daß, wenn die Mächte der alten Pentarchie einig sind,
ihr Wille Gesetz wird, aber sie sind eben sehr oft nicht einig, und da wird
viel darauf ankommen, aus wessen Seite die Vereinigten Staaten stehen. Es
gibt unsrer Ansicht nach jetzt drei Weltmächte. Nußland. England und Nord¬
amerika, sodann drei große Staaten, Frankreich, Oestreich und Preußen, drittens
mittlere und kleine Staaten. Frankreich wird man in der zweiten Reihe den
ersten Rang nicht streitig machen können, Oestreich steht ihm an Ausdehnung
und Hilfsquellen am nächsten, aber seine disparaten Bestandtheile hindern
seine freie Bewegung. Preußen aber wird um so mächtiger sein, je natio¬
naler seine Politik ist. Vor allem aber vergesse es nicht, daß die wahre Kraft von
innen kommt, es baue sein Haus inwendig aus und steigere seine Entwicklung
zur höchsten Intensität; nach außen deutsch-national, nach innen echt liberal,
das ist die wahre Politik der Zukunft.




Es gehört zu den Schicklichkcitsrcgcln des konstitutionellen Staatsrechts, die
Person des Monarchen ganz aus dem Spiel zu lassen. Die Regel hat einen, guten
Grund, denn es widerstrebt dem Anstandsgefühl, da zu loben, wo ein Tadel unstatt¬
haft wäre. Da wir aber noch immer in einer Uebergangsperiode sind, wird es
vielleicht erlaubt sein, an einige Thatsachen zu erinnern, welche der allgemeinen
Hoffnung, daß Preußen in eine neue Aera seiner Entwicklung trete, eine größere Be¬
rechtigung zu geben scheinen, als sich sonst gewöhnlich an einen Regierungswechsel knüpft.


gerichtet, und im Südosten zweifelhaften Charakters. Das türkische Reich und
Griechenland, Holland und Belgien und die Schweiz füllen die Lücken. Das
sind die Außenwerke der Pcntarchie." — Diese Pcntarchie beabsichtigte man
in Wien zu einer Art europäischem Areopag zu erheben, welcher alle Streitig¬
keiten schlichten sollte, es war die Zeit der Congresse. aber die Sache mißlang,
schon seit England sich geweigert, der heiligen Allianz beizutreten, welche dies
System befestigen sollte. Die fünf Staaten beriethen allerdings europäische
Angelegenheiten miteinander; aber ohne ihre gemeinsame Zustimmung, ja sehr
gegen den Willen einiger von ihnen vollzogen sich Aenderungen des Systems,
wie die belgische Revolution, die Schöpfung Griechenlands, die Einverleibung
Krakaus u. s. w. Der Versasser gedenkt namentlich der Türkei und des viel¬
besprochenen Einflusses ihrer Zerrüttung auf Europa, er läßt aber einen sehr
wichtigen Factor außer Augen, die Vereinigten Staaten. Sie liegen zwar in
Amerika, aber ihr Einfluß auf das europäische Gleichgewicht ist sehr bedeutend,
und sie müssen bei jeder politischen Combination in Betracht gezogen werden.
Zwar zweifeln wir nicht, daß, wenn die Mächte der alten Pentarchie einig sind,
ihr Wille Gesetz wird, aber sie sind eben sehr oft nicht einig, und da wird
viel darauf ankommen, aus wessen Seite die Vereinigten Staaten stehen. Es
gibt unsrer Ansicht nach jetzt drei Weltmächte. Nußland. England und Nord¬
amerika, sodann drei große Staaten, Frankreich, Oestreich und Preußen, drittens
mittlere und kleine Staaten. Frankreich wird man in der zweiten Reihe den
ersten Rang nicht streitig machen können, Oestreich steht ihm an Ausdehnung
und Hilfsquellen am nächsten, aber seine disparaten Bestandtheile hindern
seine freie Bewegung. Preußen aber wird um so mächtiger sein, je natio¬
naler seine Politik ist. Vor allem aber vergesse es nicht, daß die wahre Kraft von
innen kommt, es baue sein Haus inwendig aus und steigere seine Entwicklung
zur höchsten Intensität; nach außen deutsch-national, nach innen echt liberal,
das ist die wahre Politik der Zukunft.




Es gehört zu den Schicklichkcitsrcgcln des konstitutionellen Staatsrechts, die
Person des Monarchen ganz aus dem Spiel zu lassen. Die Regel hat einen, guten
Grund, denn es widerstrebt dem Anstandsgefühl, da zu loben, wo ein Tadel unstatt¬
haft wäre. Da wir aber noch immer in einer Uebergangsperiode sind, wird es
vielleicht erlaubt sein, an einige Thatsachen zu erinnern, welche der allgemeinen
Hoffnung, daß Preußen in eine neue Aera seiner Entwicklung trete, eine größere Be¬
rechtigung zu geben scheinen, als sich sonst gewöhnlich an einen Regierungswechsel knüpft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/205>, abgerufen am 26.07.2024.