Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

That der Versöhnung und den Bund zu dem Range erheben, der ihm ge¬
bühre unter den Staaten Europas", so klingt das mehr begeistert als ver¬
ständig. Daß Oestreich und Preußen einig gegen das Ausland seien, kann
niemand lebhafter wünschen als wir, wir sind auch überzeugt, daß dann die
andern deutschen Staaten mitgehen müssen, aber dann sind es eben Preußen
und Oestreich, welche letztere zwischen sich nehmen und nicht der deutsche Bund,
was die Einheit nach außen macht.

Wenn das Parterre deutscher Hauptstädte das Wort eines neuen Schau¬
spiels mit Beifall begrüßt: "Oestreich sei das Schild und Brandenburg das
Schwert Deutschlands," so ist das erklärlich, aber für den praktischen Politiker
sind dergleichen Appellationen an das Gefühl werthlos.

Versuchen wir nun auf den Kern dieser Schrift, das europäische Gleich¬
gewicht einzugehen. Die Staaten sind wie die Individuen nicht gleich, sondern
ungleich um Ausdehnung und Kraft. Jenachdem nun entweder ein Stärkerer herrscht
oder seine Macht durch die Vereinigung mehrer Schwächern eingeschränkt wird,
findet eine Unterordnung oder eine Nebenordnung statt. Ersteres während
Roms-Herrschaft im Alterthum und in der Blütezeit des deutschen Kaiserthums;
um Rom und das deutsche Reich bewegten sich die andern Staaten wie Pla¬
neten um die Sonne.*) Die Gruppirung selbstständiger politischer Gemein¬
wesen nebeneinander ist die Ordnung der Neuzeit geworden, und hier hat sich
vermöge >des dynamischen Gesetzes, welches in der körperlichen wie in der sitt¬
lichen Welt gilt, das Bedürfniß eines Gleichgewichts, einer gewissen Vertheilung
und Abwägung der politischen Macht herausgestellt.

Nach diesem Gesetz kaun keiner der nebeneinanderbestehenden Staaten
die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines andern bedrohen, ohne' jenes
Gleichgewicht zu stören, und muß, falls letzteres eine wirkliche Nothwendigkeit
ist. so entschiedenen Widerstand der sämmtlichen andern Staaten erfahren, daß
er sich gezwungen sieht, von seinem Vorhaben abzustehn. Den Inbegriff
der als verbindlich anerkannten Bestimmungen, welche die Beziehungen der
unabhängigen Staaten zueinander regeln, nennen wir das Völkerrecht. Hierin
und in den wechselseitigen Verträgen ruht das Gesetz, welches die Staaten
untereinander verbindet. Aber während das Individuum im Staate d. h. des
Bürgers unter dem Schutz des Gesetzes steht, dessen Vollziehung die höchste
Gewalt sichert, steht über unabhängigen Gemeinwesen weder eine richterliche
noch eine vollziehende Macht. Alle Projecte einer solchen sind entweder von
philosophischen Träumern oder von schlauen Politikern, welche sie für ihre prak¬
tischen Zwecke benutzen wollten, ausgestellt, es hat ein europäisches Amphiktyonen-
gericht nie gegeben und wird nie eines geben. Aus ihre eigne Schwerkraft



") Von Richard Löwenherz heißt es: ösposuit hö as rexno et Sö traäiäit inixerawri,
Siout univLrsoi'llru äomino.
25*

That der Versöhnung und den Bund zu dem Range erheben, der ihm ge¬
bühre unter den Staaten Europas", so klingt das mehr begeistert als ver¬
ständig. Daß Oestreich und Preußen einig gegen das Ausland seien, kann
niemand lebhafter wünschen als wir, wir sind auch überzeugt, daß dann die
andern deutschen Staaten mitgehen müssen, aber dann sind es eben Preußen
und Oestreich, welche letztere zwischen sich nehmen und nicht der deutsche Bund,
was die Einheit nach außen macht.

Wenn das Parterre deutscher Hauptstädte das Wort eines neuen Schau¬
spiels mit Beifall begrüßt: „Oestreich sei das Schild und Brandenburg das
Schwert Deutschlands," so ist das erklärlich, aber für den praktischen Politiker
sind dergleichen Appellationen an das Gefühl werthlos.

Versuchen wir nun auf den Kern dieser Schrift, das europäische Gleich¬
gewicht einzugehen. Die Staaten sind wie die Individuen nicht gleich, sondern
ungleich um Ausdehnung und Kraft. Jenachdem nun entweder ein Stärkerer herrscht
oder seine Macht durch die Vereinigung mehrer Schwächern eingeschränkt wird,
findet eine Unterordnung oder eine Nebenordnung statt. Ersteres während
Roms-Herrschaft im Alterthum und in der Blütezeit des deutschen Kaiserthums;
um Rom und das deutsche Reich bewegten sich die andern Staaten wie Pla¬
neten um die Sonne.*) Die Gruppirung selbstständiger politischer Gemein¬
wesen nebeneinander ist die Ordnung der Neuzeit geworden, und hier hat sich
vermöge >des dynamischen Gesetzes, welches in der körperlichen wie in der sitt¬
lichen Welt gilt, das Bedürfniß eines Gleichgewichts, einer gewissen Vertheilung
und Abwägung der politischen Macht herausgestellt.

Nach diesem Gesetz kaun keiner der nebeneinanderbestehenden Staaten
die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines andern bedrohen, ohne' jenes
Gleichgewicht zu stören, und muß, falls letzteres eine wirkliche Nothwendigkeit
ist. so entschiedenen Widerstand der sämmtlichen andern Staaten erfahren, daß
er sich gezwungen sieht, von seinem Vorhaben abzustehn. Den Inbegriff
der als verbindlich anerkannten Bestimmungen, welche die Beziehungen der
unabhängigen Staaten zueinander regeln, nennen wir das Völkerrecht. Hierin
und in den wechselseitigen Verträgen ruht das Gesetz, welches die Staaten
untereinander verbindet. Aber während das Individuum im Staate d. h. des
Bürgers unter dem Schutz des Gesetzes steht, dessen Vollziehung die höchste
Gewalt sichert, steht über unabhängigen Gemeinwesen weder eine richterliche
noch eine vollziehende Macht. Alle Projecte einer solchen sind entweder von
philosophischen Träumern oder von schlauen Politikern, welche sie für ihre prak¬
tischen Zwecke benutzen wollten, ausgestellt, es hat ein europäisches Amphiktyonen-
gericht nie gegeben und wird nie eines geben. Aus ihre eigne Schwerkraft



") Von Richard Löwenherz heißt es: ösposuit hö as rexno et Sö traäiäit inixerawri,
Siout univLrsoi'llru äomino.
25*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266012"/>
          <p xml:id="ID_506" prev="#ID_505"> That der Versöhnung und den Bund zu dem Range erheben, der ihm ge¬<lb/>
bühre unter den Staaten Europas", so klingt das mehr begeistert als ver¬<lb/>
ständig. Daß Oestreich und Preußen einig gegen das Ausland seien, kann<lb/>
niemand lebhafter wünschen als wir, wir sind auch überzeugt, daß dann die<lb/>
andern deutschen Staaten mitgehen müssen, aber dann sind es eben Preußen<lb/>
und Oestreich, welche letztere zwischen sich nehmen und nicht der deutsche Bund,<lb/>
was die Einheit nach außen macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507"> Wenn das Parterre deutscher Hauptstädte das Wort eines neuen Schau¬<lb/>
spiels mit Beifall begrüßt: &#x201E;Oestreich sei das Schild und Brandenburg das<lb/>
Schwert Deutschlands," so ist das erklärlich, aber für den praktischen Politiker<lb/>
sind dergleichen Appellationen an das Gefühl werthlos.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_508"> Versuchen wir nun auf den Kern dieser Schrift, das europäische Gleich¬<lb/>
gewicht einzugehen. Die Staaten sind wie die Individuen nicht gleich, sondern<lb/>
ungleich um Ausdehnung und Kraft. Jenachdem nun entweder ein Stärkerer herrscht<lb/>
oder seine Macht durch die Vereinigung mehrer Schwächern eingeschränkt wird,<lb/>
findet eine Unterordnung oder eine Nebenordnung statt. Ersteres während<lb/>
Roms-Herrschaft im Alterthum und in der Blütezeit des deutschen Kaiserthums;<lb/>
um Rom und das deutsche Reich bewegten sich die andern Staaten wie Pla¬<lb/>
neten um die Sonne.*) Die Gruppirung selbstständiger politischer Gemein¬<lb/>
wesen nebeneinander ist die Ordnung der Neuzeit geworden, und hier hat sich<lb/>
vermöge &gt;des dynamischen Gesetzes, welches in der körperlichen wie in der sitt¬<lb/>
lichen Welt gilt, das Bedürfniß eines Gleichgewichts, einer gewissen Vertheilung<lb/>
und Abwägung der politischen Macht herausgestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_509" next="#ID_510"> Nach diesem Gesetz kaun keiner der nebeneinanderbestehenden Staaten<lb/>
die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines andern bedrohen, ohne' jenes<lb/>
Gleichgewicht zu stören, und muß, falls letzteres eine wirkliche Nothwendigkeit<lb/>
ist. so entschiedenen Widerstand der sämmtlichen andern Staaten erfahren, daß<lb/>
er sich gezwungen sieht, von seinem Vorhaben abzustehn. Den Inbegriff<lb/>
der als verbindlich anerkannten Bestimmungen, welche die Beziehungen der<lb/>
unabhängigen Staaten zueinander regeln, nennen wir das Völkerrecht. Hierin<lb/>
und in den wechselseitigen Verträgen ruht das Gesetz, welches die Staaten<lb/>
untereinander verbindet. Aber während das Individuum im Staate d. h. des<lb/>
Bürgers unter dem Schutz des Gesetzes steht, dessen Vollziehung die höchste<lb/>
Gewalt sichert, steht über unabhängigen Gemeinwesen weder eine richterliche<lb/>
noch eine vollziehende Macht. Alle Projecte einer solchen sind entweder von<lb/>
philosophischen Träumern oder von schlauen Politikern, welche sie für ihre prak¬<lb/>
tischen Zwecke benutzen wollten, ausgestellt, es hat ein europäisches Amphiktyonen-<lb/>
gericht nie gegeben und wird nie eines geben.  Aus ihre eigne Schwerkraft</p><lb/>
          <note xml:id="FID_13" place="foot"> ") Von Richard Löwenherz heißt es: ösposuit hö as rexno et Sö traäiäit inixerawri,<lb/>
Siout univLrsoi'llru äomino.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 25*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0203] That der Versöhnung und den Bund zu dem Range erheben, der ihm ge¬ bühre unter den Staaten Europas", so klingt das mehr begeistert als ver¬ ständig. Daß Oestreich und Preußen einig gegen das Ausland seien, kann niemand lebhafter wünschen als wir, wir sind auch überzeugt, daß dann die andern deutschen Staaten mitgehen müssen, aber dann sind es eben Preußen und Oestreich, welche letztere zwischen sich nehmen und nicht der deutsche Bund, was die Einheit nach außen macht. Wenn das Parterre deutscher Hauptstädte das Wort eines neuen Schau¬ spiels mit Beifall begrüßt: „Oestreich sei das Schild und Brandenburg das Schwert Deutschlands," so ist das erklärlich, aber für den praktischen Politiker sind dergleichen Appellationen an das Gefühl werthlos. Versuchen wir nun auf den Kern dieser Schrift, das europäische Gleich¬ gewicht einzugehen. Die Staaten sind wie die Individuen nicht gleich, sondern ungleich um Ausdehnung und Kraft. Jenachdem nun entweder ein Stärkerer herrscht oder seine Macht durch die Vereinigung mehrer Schwächern eingeschränkt wird, findet eine Unterordnung oder eine Nebenordnung statt. Ersteres während Roms-Herrschaft im Alterthum und in der Blütezeit des deutschen Kaiserthums; um Rom und das deutsche Reich bewegten sich die andern Staaten wie Pla¬ neten um die Sonne.*) Die Gruppirung selbstständiger politischer Gemein¬ wesen nebeneinander ist die Ordnung der Neuzeit geworden, und hier hat sich vermöge >des dynamischen Gesetzes, welches in der körperlichen wie in der sitt¬ lichen Welt gilt, das Bedürfniß eines Gleichgewichts, einer gewissen Vertheilung und Abwägung der politischen Macht herausgestellt. Nach diesem Gesetz kaun keiner der nebeneinanderbestehenden Staaten die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines andern bedrohen, ohne' jenes Gleichgewicht zu stören, und muß, falls letzteres eine wirkliche Nothwendigkeit ist. so entschiedenen Widerstand der sämmtlichen andern Staaten erfahren, daß er sich gezwungen sieht, von seinem Vorhaben abzustehn. Den Inbegriff der als verbindlich anerkannten Bestimmungen, welche die Beziehungen der unabhängigen Staaten zueinander regeln, nennen wir das Völkerrecht. Hierin und in den wechselseitigen Verträgen ruht das Gesetz, welches die Staaten untereinander verbindet. Aber während das Individuum im Staate d. h. des Bürgers unter dem Schutz des Gesetzes steht, dessen Vollziehung die höchste Gewalt sichert, steht über unabhängigen Gemeinwesen weder eine richterliche noch eine vollziehende Macht. Alle Projecte einer solchen sind entweder von philosophischen Träumern oder von schlauen Politikern, welche sie für ihre prak¬ tischen Zwecke benutzen wollten, ausgestellt, es hat ein europäisches Amphiktyonen- gericht nie gegeben und wird nie eines geben. Aus ihre eigne Schwerkraft ") Von Richard Löwenherz heißt es: ösposuit hö as rexno et Sö traäiäit inixerawri, Siout univLrsoi'llru äomino. 25*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/203
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/203>, abgerufen am 26.07.2024.