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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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als die entgegengesetzte Richtung, in welcher die Naturstimmungen in selb¬
ständiger Weise, ohne allen symbolischen Anklang wiedergegeben werden. Die
Paradicsbildcr der alten Niederländer, die von der italienischen Nutur begei¬
sterte Gruppe der Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts haben sich in der¬
selben versucht, sie ist auch Rubens nicht fremd geblieben, am Anfange dieses
Jahrhunderts hat sie Koch (Macbcthlandschaft) wieder aufgefrischt, jetzt sehen
wir sie mit verjüngter Kraft, mit weiser Benutzung der bisher erworbenen
technischen Geschicklichkeit in den Werken Schirmers in Karlsruhe und Prellers
in Weimar wieder verkörpert. Die Ausstellung besitzt außer Schirmers vier
Tageszeiten (Staffage: der barmherzige Samariter) 26 Entwürfe und in
Oel gemalte Skizzen desselben Meisters zu.biblischen Landschaften und Prel¬
lers 14 landschaftliche Illustrationen zur Odyssee. Schirmers Entwürfe sind
nicht alle von gleichem Werth. Daß die Schilderung des Paradieses weder
aus dem mit Kohle gezeichneten Entwurf, noch in der iheilweise veränderten
Farbenskizze allen Erwartungen entspricht, die Landschaft nach der Ver¬
treibung aus dem Paradies beinahe noch lachender und wohnlicher erscheint,
als das Paradies selbst, können wir leicht nehmen. Der Unschuldszustcmd
der Natur ist uns eben nicht bekannt, der Rückgang auf paläontologische For¬
men, den Naturforscher vielleicht anrathen möchten, war aus malerischen
Gründen nicht zulässig., Dagegen scheint die Wahl der landschaftlichen For¬
men bei der Flucht Kains, der Berstoßung Hagars und ihrer Wüstennoth nicht
glücklich gegriffen. Kains leidenschaftlicher Grimm ist nach dem Todtschlage
ausgebrannt, eine furchtbare Oede ergreift ihn, er weiß nicht, wohin vor dem
Geiste zu flüchten und fühlt das Endlose seiner Qual. Dieser Gemüthsstim¬
mung entspricht schlecht eine stürmische Landschaft, in welcher alle Elemente
ihre Wuth losgelassen haben, eine öde, leere, todte Natur, die das Ziel¬
lose seiner Flucht andeutet, die Ewigkeit der Schuld versinnlicht, wo die Gra¬
besstille der Umgebung die Stimme des Gewissens nur lauter tönen macht,
hätte nach unserm Bedünken die Situation wahrer charakterisirt. Bei Hagars
Verstoßung ist das Wüstenelement nicht scharf genug ausgedrückt. Dagegen
entwickeln andere Bilder wieder eine Fülle poetischer und geistreicher Züge,
welche die Betrachtung derselben zu einem köstlichen Genuß machen. Der
Baum der Erkenntniß erhebt sich (in der Farbenskizze) auf einem üppig grünen
Hügel, die Sonne hat sich breit aus denselben gelagert, wer könnte der Ver¬
suchung widerstehen und auf diesem köstlichen, wohnlichen Plätzchen nicht ver¬
weilen. Verführerischer konnte die Schlange nicht sprechen, als die landschaft¬
lichen Formen hier schmeicheln und locken. Die Austreibung aus dem Para¬
dies geht am späten Abend vor sich, ein über den Weg gestürzter Baumstamm
zeigt, daß auch die Natur ihre Jungfräulichkeit verloren hat, dem Tode und
dem Verderben ausgesetzt ist. In die dunkle Nacht werden die Sünder ge-


als die entgegengesetzte Richtung, in welcher die Naturstimmungen in selb¬
ständiger Weise, ohne allen symbolischen Anklang wiedergegeben werden. Die
Paradicsbildcr der alten Niederländer, die von der italienischen Nutur begei¬
sterte Gruppe der Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts haben sich in der¬
selben versucht, sie ist auch Rubens nicht fremd geblieben, am Anfange dieses
Jahrhunderts hat sie Koch (Macbcthlandschaft) wieder aufgefrischt, jetzt sehen
wir sie mit verjüngter Kraft, mit weiser Benutzung der bisher erworbenen
technischen Geschicklichkeit in den Werken Schirmers in Karlsruhe und Prellers
in Weimar wieder verkörpert. Die Ausstellung besitzt außer Schirmers vier
Tageszeiten (Staffage: der barmherzige Samariter) 26 Entwürfe und in
Oel gemalte Skizzen desselben Meisters zu.biblischen Landschaften und Prel¬
lers 14 landschaftliche Illustrationen zur Odyssee. Schirmers Entwürfe sind
nicht alle von gleichem Werth. Daß die Schilderung des Paradieses weder
aus dem mit Kohle gezeichneten Entwurf, noch in der iheilweise veränderten
Farbenskizze allen Erwartungen entspricht, die Landschaft nach der Ver¬
treibung aus dem Paradies beinahe noch lachender und wohnlicher erscheint,
als das Paradies selbst, können wir leicht nehmen. Der Unschuldszustcmd
der Natur ist uns eben nicht bekannt, der Rückgang auf paläontologische For¬
men, den Naturforscher vielleicht anrathen möchten, war aus malerischen
Gründen nicht zulässig., Dagegen scheint die Wahl der landschaftlichen For¬
men bei der Flucht Kains, der Berstoßung Hagars und ihrer Wüstennoth nicht
glücklich gegriffen. Kains leidenschaftlicher Grimm ist nach dem Todtschlage
ausgebrannt, eine furchtbare Oede ergreift ihn, er weiß nicht, wohin vor dem
Geiste zu flüchten und fühlt das Endlose seiner Qual. Dieser Gemüthsstim¬
mung entspricht schlecht eine stürmische Landschaft, in welcher alle Elemente
ihre Wuth losgelassen haben, eine öde, leere, todte Natur, die das Ziel¬
lose seiner Flucht andeutet, die Ewigkeit der Schuld versinnlicht, wo die Gra¬
besstille der Umgebung die Stimme des Gewissens nur lauter tönen macht,
hätte nach unserm Bedünken die Situation wahrer charakterisirt. Bei Hagars
Verstoßung ist das Wüstenelement nicht scharf genug ausgedrückt. Dagegen
entwickeln andere Bilder wieder eine Fülle poetischer und geistreicher Züge,
welche die Betrachtung derselben zu einem köstlichen Genuß machen. Der
Baum der Erkenntniß erhebt sich (in der Farbenskizze) auf einem üppig grünen
Hügel, die Sonne hat sich breit aus denselben gelagert, wer könnte der Ver¬
suchung widerstehen und auf diesem köstlichen, wohnlichen Plätzchen nicht ver¬
weilen. Verführerischer konnte die Schlange nicht sprechen, als die landschaft¬
lichen Formen hier schmeicheln und locken. Die Austreibung aus dem Para¬
dies geht am späten Abend vor sich, ein über den Weg gestürzter Baumstamm
zeigt, daß auch die Natur ihre Jungfräulichkeit verloren hat, dem Tode und
dem Verderben ausgesetzt ist. In die dunkle Nacht werden die Sünder ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/20>, abgerufen am 30.06.2024.