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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gemacht und der sie entführt. Bei dieser Gelegenheit nimmt er die Casse
seines Principals mit. wird endlich von den Häschern erreicht, anetirt
und ins Zuchthaus gesteckt; Lucinde gelingt es zu entspringen, sie
klettert in der Angst auf einen Baum, was sich um so seltsamer ausgenommen
haben muß. da sie im phantastischen Ballcostüm ist. Endlich sinkt sie im
Walde in Ohnmacht.

Beim Erwachen sieht sie einen seltsamen Mann vor sich. der sie in einer
fremden Sprache anredet und sie in ihren zerrissenen Kleidern als eine Wald¬
göttin anzubeten scheint. Dieser Mann ist ein Kammerherr von Wittekind, mit
dessen.Verstand es nicht recht richtig ist. und den sein Vater, der Kronsyndi¬
kus von Wittekind, deshalb einem Landpastor zur Pflege übergeben hat. In
diese Familie wird auch Lucinde aufgenommen, und der Herr Pastor findet
keinen Anstoß darin, daß sie eine Vagabundin ist. daß sie sich sehr bald als
arge Lügnerin herausstellt, daß sie von dem Kammerherrn sehr reiche Geschenke
annimmt und sich von ihm die Ehe versprechen läßt. Erst als sie bei der
Nachricht vom Tode ihrer Schwester gefühllos bleibt (beiläufig erfährt man
am Schluß etwa jedes zweiten Capitels den Tod irgendeines Familiengliedes,
bis endlich die letzten Brüder im Correctionshaus endigen), sieht der wackere
Geistliche ein, daß ihre Entfernung wünschenswert!) sei. Der Kronsyndikus
kommt, seinen Sohn abzuholen und ihn mit einem reichen Fräulein zu ver¬
heiraten, aber Lucinde findet Gnade vor den Augen des alten Epitureers,
und er schlägt ihr vor, anzugehn, zunächst solle sie in einem Pavillon des
Schlosses untergebracht werden, dann werde man schon "auf die eine oder
andere Weise" für sie sorgen.

In den Umgebungen des Schlosses erregt sie nun als "Elfenkind" ein
großes romantisches Interesse; Vater und Sohn verharren in ihrer Neigung,
dazu lernt sie aus einem Spaziergang einen Doctor Klingsohr kennen, den
Universitätsfreund des Kammerherrn, der aber jetzt mit der Wittekindschen
Familie zerfallen ist. weil sein Vater, ein ansehnlicher Patriot, das 'Landvolk
gegen den Gutsherrn aufwiegelt. Der junge Klingsohr imponirt Lucinden,
theils durch seine Bildung, theils durch die Glut seiner Anbetung. Er nennt
sie eine Heilige, eine Nymphe, eine Göttin und benimmt sich ganz wie sein
Nebenbuhler, der geisteskranke Kammerherr, nur daß er fortwährend Citate
aus Homer anbringt. Sie gibt ihm für einen Abend im Schloß ein Rendez¬
vous. An demselben Abend sprengt der Kronsyndikus höchst aufgeregt nach
Hause, schließt sich sodann in sein Zimmer ein, verbrennt die Kleider, die er
anhatte, befiehlt schleunigst eine Kalesche anzuspannen u. s. w. Endlich sieht er
den jungen Klingsohr ankommen, der sich aus Bequemlichkeit zu seinem Ren¬
dezvous im offnen Wagen begibt, obgleich es zum Schloß einen steilen Berg
hinausgeht. Im Anfang erschrickt der Schloßherr darüber aufs furchtbarste,


gemacht und der sie entführt. Bei dieser Gelegenheit nimmt er die Casse
seines Principals mit. wird endlich von den Häschern erreicht, anetirt
und ins Zuchthaus gesteckt; Lucinde gelingt es zu entspringen, sie
klettert in der Angst auf einen Baum, was sich um so seltsamer ausgenommen
haben muß. da sie im phantastischen Ballcostüm ist. Endlich sinkt sie im
Walde in Ohnmacht.

Beim Erwachen sieht sie einen seltsamen Mann vor sich. der sie in einer
fremden Sprache anredet und sie in ihren zerrissenen Kleidern als eine Wald¬
göttin anzubeten scheint. Dieser Mann ist ein Kammerherr von Wittekind, mit
dessen.Verstand es nicht recht richtig ist. und den sein Vater, der Kronsyndi¬
kus von Wittekind, deshalb einem Landpastor zur Pflege übergeben hat. In
diese Familie wird auch Lucinde aufgenommen, und der Herr Pastor findet
keinen Anstoß darin, daß sie eine Vagabundin ist. daß sie sich sehr bald als
arge Lügnerin herausstellt, daß sie von dem Kammerherrn sehr reiche Geschenke
annimmt und sich von ihm die Ehe versprechen läßt. Erst als sie bei der
Nachricht vom Tode ihrer Schwester gefühllos bleibt (beiläufig erfährt man
am Schluß etwa jedes zweiten Capitels den Tod irgendeines Familiengliedes,
bis endlich die letzten Brüder im Correctionshaus endigen), sieht der wackere
Geistliche ein, daß ihre Entfernung wünschenswert!) sei. Der Kronsyndikus
kommt, seinen Sohn abzuholen und ihn mit einem reichen Fräulein zu ver¬
heiraten, aber Lucinde findet Gnade vor den Augen des alten Epitureers,
und er schlägt ihr vor, anzugehn, zunächst solle sie in einem Pavillon des
Schlosses untergebracht werden, dann werde man schon „auf die eine oder
andere Weise" für sie sorgen.

In den Umgebungen des Schlosses erregt sie nun als „Elfenkind" ein
großes romantisches Interesse; Vater und Sohn verharren in ihrer Neigung,
dazu lernt sie aus einem Spaziergang einen Doctor Klingsohr kennen, den
Universitätsfreund des Kammerherrn, der aber jetzt mit der Wittekindschen
Familie zerfallen ist. weil sein Vater, ein ansehnlicher Patriot, das 'Landvolk
gegen den Gutsherrn aufwiegelt. Der junge Klingsohr imponirt Lucinden,
theils durch seine Bildung, theils durch die Glut seiner Anbetung. Er nennt
sie eine Heilige, eine Nymphe, eine Göttin und benimmt sich ganz wie sein
Nebenbuhler, der geisteskranke Kammerherr, nur daß er fortwährend Citate
aus Homer anbringt. Sie gibt ihm für einen Abend im Schloß ein Rendez¬
vous. An demselben Abend sprengt der Kronsyndikus höchst aufgeregt nach
Hause, schließt sich sodann in sein Zimmer ein, verbrennt die Kleider, die er
anhatte, befiehlt schleunigst eine Kalesche anzuspannen u. s. w. Endlich sieht er
den jungen Klingsohr ankommen, der sich aus Bequemlichkeit zu seinem Ren¬
dezvous im offnen Wagen begibt, obgleich es zum Schloß einen steilen Berg
hinausgeht. Im Anfang erschrickt der Schloßherr darüber aufs furchtbarste,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/197>, abgerufen am 26.06.2024.