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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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einer der ersten Rechtsgelehrten des Landes, als solcher und als strengconser-
vativer Mann von den Regierungsorganen selbst bei den verschiedensten Ge¬
legenheiten anerkannt. Aber der neue Entwurf entsprach den einfachsten Prin¬
cipien, auf denen nothwendig jede Organisation der Gerichte beruhen muß,
so wenig, daß der Ausschuß positiv gar kein Gutachten abgeben konnte und
die Regierung (30. Jan. 1856) denselben zurückzog.

Während sie innerhalb dieses Ausschusses so erfolglos kämpfte, focht sie
auch vor der Kammer mit kaum größerem Glück. Bei den Discussionen über
die Personal- und die Capitalrcntensteuer vermochte sie weder den Modus
der, Besteuerung, noch besonders die beabsichtigte Beschränkung der Autonomie
der Steuerausschüsse durchzusetzen, obgleich sich die Reichsrathe hier mit ihren
Principien verbündeten. Nicht viel anders bei den Eisenbahngesctzen. Denn
obgleich schließlich die abermals für die annahm-salzburger Bahn geforderte
Summe bewilligt wurde, nachdem die früher bewilligten 10 Millionen aus
eigner Machtvollkommenheit der Minister für andere Zwecke verwendet worden
waren, so war doch dieser materielle Sieg in beiden Kammern von den
härtesten moralischen Niederlagen des Gouvernements begleitet. Auf Privat¬
wegen hatte man namentlich vor der Discussion in der zweiten Kammer die
erstaunlichsten Anstrengungen gemacht, die constitutionelle Majorität zu zersplit¬
tern, ihre einflußreichen Führer zu isoliren, den Troß zu verblenden oder ein¬
zuschüchtern. Dennoch war es nicht zu verhindern, daß Herr v. Lerchenfeld
während der dreitägigen Debatte, als Referent des Ausschusses, mit unge¬
wohnter Lebhaftigkeit und erschreckender Detailkenntniß der Verhältnisse die
gescnnmte Eisenbahnverwaltung des Staates zu wiederholten Malen einer
wahrhaft vernichtenden Kritik unterzog. Hatte aber dieser Redner sich an
materielle Mängel des baierischen Eisenbahnwesens gehalten, so verließen nach¬
einander die Herren Graf Hegncnberg und Dr. Paur ihre Präsidentenplätze, um
die specielle Frage vom constitutionellen Standpunkt zu erörtern. Werde es
so fortgetrieben -- sagten sie --, daß die Regierung die Bewilligungen des
Landtags um Millionen überschreite, andere Millionen ohne alle Bewilligung,
noch andere zu ganz andern als den vorgegebenen Zwecken verwende, dann
sei es überhaupt höchst überflüssig, eine Landesvertretung zu versammeln,
diese werde blos lächerlich gemacht, herabgewürdigt. Da sich auch andere
Stimmen, selbst der äußersten Rechten, genau in demselben Sinn und noch
stärker vernehmen ließen, so würden wahrscheinlich die oben berührten außer¬
parlamentarischen Stimmenwerbungen ebenso wenig, wie eine zweistündige,
Wit Entschuldigungen, Staatsnothwendigkeiten, Einschüchterungen und prak¬
tischen Geringschätzungen der constitutionellen Principe durchflochtene Rede des
Ministerpräsidenten den gewünschten Erfolg gehabt haben, wenn nicht im
Momente vor der Abstimmung der abermals revidirte Gesetzentwurf über die


einer der ersten Rechtsgelehrten des Landes, als solcher und als strengconser-
vativer Mann von den Regierungsorganen selbst bei den verschiedensten Ge¬
legenheiten anerkannt. Aber der neue Entwurf entsprach den einfachsten Prin¬
cipien, auf denen nothwendig jede Organisation der Gerichte beruhen muß,
so wenig, daß der Ausschuß positiv gar kein Gutachten abgeben konnte und
die Regierung (30. Jan. 1856) denselben zurückzog.

Während sie innerhalb dieses Ausschusses so erfolglos kämpfte, focht sie
auch vor der Kammer mit kaum größerem Glück. Bei den Discussionen über
die Personal- und die Capitalrcntensteuer vermochte sie weder den Modus
der, Besteuerung, noch besonders die beabsichtigte Beschränkung der Autonomie
der Steuerausschüsse durchzusetzen, obgleich sich die Reichsrathe hier mit ihren
Principien verbündeten. Nicht viel anders bei den Eisenbahngesctzen. Denn
obgleich schließlich die abermals für die annahm-salzburger Bahn geforderte
Summe bewilligt wurde, nachdem die früher bewilligten 10 Millionen aus
eigner Machtvollkommenheit der Minister für andere Zwecke verwendet worden
waren, so war doch dieser materielle Sieg in beiden Kammern von den
härtesten moralischen Niederlagen des Gouvernements begleitet. Auf Privat¬
wegen hatte man namentlich vor der Discussion in der zweiten Kammer die
erstaunlichsten Anstrengungen gemacht, die constitutionelle Majorität zu zersplit¬
tern, ihre einflußreichen Führer zu isoliren, den Troß zu verblenden oder ein¬
zuschüchtern. Dennoch war es nicht zu verhindern, daß Herr v. Lerchenfeld
während der dreitägigen Debatte, als Referent des Ausschusses, mit unge¬
wohnter Lebhaftigkeit und erschreckender Detailkenntniß der Verhältnisse die
gescnnmte Eisenbahnverwaltung des Staates zu wiederholten Malen einer
wahrhaft vernichtenden Kritik unterzog. Hatte aber dieser Redner sich an
materielle Mängel des baierischen Eisenbahnwesens gehalten, so verließen nach¬
einander die Herren Graf Hegncnberg und Dr. Paur ihre Präsidentenplätze, um
die specielle Frage vom constitutionellen Standpunkt zu erörtern. Werde es
so fortgetrieben — sagten sie —, daß die Regierung die Bewilligungen des
Landtags um Millionen überschreite, andere Millionen ohne alle Bewilligung,
noch andere zu ganz andern als den vorgegebenen Zwecken verwende, dann
sei es überhaupt höchst überflüssig, eine Landesvertretung zu versammeln,
diese werde blos lächerlich gemacht, herabgewürdigt. Da sich auch andere
Stimmen, selbst der äußersten Rechten, genau in demselben Sinn und noch
stärker vernehmen ließen, so würden wahrscheinlich die oben berührten außer¬
parlamentarischen Stimmenwerbungen ebenso wenig, wie eine zweistündige,
Wit Entschuldigungen, Staatsnothwendigkeiten, Einschüchterungen und prak¬
tischen Geringschätzungen der constitutionellen Principe durchflochtene Rede des
Ministerpräsidenten den gewünschten Erfolg gehabt haben, wenn nicht im
Momente vor der Abstimmung der abermals revidirte Gesetzentwurf über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/189>, abgerufen am 05.07.2024.