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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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zutrinke. Noch weniger seien die Aegypter zu dulden; der hundsköpfige bel¬
lende, in seinen Sindon gekleidete Anubis, der Orakel ertheilende Stier Apis,
und vollends die Ibisse, Affen und Böcke. Momos stellt daher den Antrag,
in Erwägung, daß sich viele unberechtigte, kauderwelschende Leute aus allerlei
Ländern unter die Götter eingedrängt haben, Ambrosia und Nektar auszugehn
anfängt, und das Maß bei der starken Nachfrage bereits auf eine Mine ge¬
stiegen' ist. serner die fremden Eindringlinge sich unverschämt vordrängen und
die alten Götter ihrer Plätze berauben: eine Commission von sieben vollbe¬
rechtigter Göttern einzusetzen, welche die Legitimation jedes einzelnen prüfen soll.
Zeus bringt diesen Antrag nicht zur Abstimmung, da er voraussieht, daß die
Majorität dagegen sein werde, sanctionirt ihn aber ohne Weiteres und weist
die sämmtlichen Götter an. zu der bevorstehenden Prüfung sich die nöthigen
Nachweise zu verschaffen, als Namen der Eltern, Angaben woher und auf
welche Weise sie Götter geworden seien u. s. w.

Doch diejenigen, die sich wie Lucian gegen allen Götterglauben negirend
verhielten, haben ohne Zweifel in der Zeit der überhandnehmenden Super¬
stition nur eine verschwindend kleine Minorität gebildet. Die große Masse
wurde sich schwerlich der Widersprüche bewußt, die in der Durcheinanderwir-
nmg der Religionen lagen, und begrüßte vielmehr jeden neuen Cultus als
eine Ergänzung ihrer noch unvollständigen Erkenntniß der unendlichen Götter-
Welt. Aus dem Bedürfniß der Anbetung so vieler verschiedenartiger Mächte
ging eine eigenthümliche conipendiarische Form von Idolen hervor, die soge¬
nannten Pantheen, wo ein Götterbild mit den Attributen vieler andern aus¬
gestattet wurde und diese zugleich mit repräsentirte.

Wenn aber auch die große Mehrzahl der Glaubensbcdürftigen ohne zu
reflectiren die widersinnige Häufung und Vermischung der Göttcrdienste hin¬
nahm und mit der Beobachtung unverstandener Ceremonien der verschiedensten
Culte die Pflichten der Frömmigkeit zu erfüllen glaubte, so strebten die Ge¬
bildeten und Denkenden um so eifriger nach einer Lösung der Widersprüche,
nach einer Vergeistigung der seltsamen und vielfach widerwärtigen oder lächer¬
lichen Formen, nach einer höhern Auffassung, die in Harmonie verwandeln
sollte, was dem nüchternen Sinn als ein wüstes Gewirr erschien. Diese
Tendenz äußerte sich auf mehr als eine Weise. Theils erklärte man die ver¬
schiedenen Götter als Ausdrücke eines und desselben göttlichen Wesens, wie z. B.
Isis, die "millionennamige". in jenem Roman des Appulejus ihrem Verehrer
sich selbst als identisch mit den Hauptgottheiten aller Völker darstellt, und die
Monumente (besonders Amulete) sind zahlreich, auf denen Zeus. Hades, Seraprs
und der Sonnengott für einen und denselben erklärt werden. Theils faßte
man die Götter des Volksglaubens als Wesen auf. die zwischen der Schöpfung
und der höchsten Gottheit in der Mitte stehen sollten, und mit dieser Auffassung


zutrinke. Noch weniger seien die Aegypter zu dulden; der hundsköpfige bel¬
lende, in seinen Sindon gekleidete Anubis, der Orakel ertheilende Stier Apis,
und vollends die Ibisse, Affen und Böcke. Momos stellt daher den Antrag,
in Erwägung, daß sich viele unberechtigte, kauderwelschende Leute aus allerlei
Ländern unter die Götter eingedrängt haben, Ambrosia und Nektar auszugehn
anfängt, und das Maß bei der starken Nachfrage bereits auf eine Mine ge¬
stiegen' ist. serner die fremden Eindringlinge sich unverschämt vordrängen und
die alten Götter ihrer Plätze berauben: eine Commission von sieben vollbe¬
rechtigter Göttern einzusetzen, welche die Legitimation jedes einzelnen prüfen soll.
Zeus bringt diesen Antrag nicht zur Abstimmung, da er voraussieht, daß die
Majorität dagegen sein werde, sanctionirt ihn aber ohne Weiteres und weist
die sämmtlichen Götter an. zu der bevorstehenden Prüfung sich die nöthigen
Nachweise zu verschaffen, als Namen der Eltern, Angaben woher und auf
welche Weise sie Götter geworden seien u. s. w.

Doch diejenigen, die sich wie Lucian gegen allen Götterglauben negirend
verhielten, haben ohne Zweifel in der Zeit der überhandnehmenden Super¬
stition nur eine verschwindend kleine Minorität gebildet. Die große Masse
wurde sich schwerlich der Widersprüche bewußt, die in der Durcheinanderwir-
nmg der Religionen lagen, und begrüßte vielmehr jeden neuen Cultus als
eine Ergänzung ihrer noch unvollständigen Erkenntniß der unendlichen Götter-
Welt. Aus dem Bedürfniß der Anbetung so vieler verschiedenartiger Mächte
ging eine eigenthümliche conipendiarische Form von Idolen hervor, die soge¬
nannten Pantheen, wo ein Götterbild mit den Attributen vieler andern aus¬
gestattet wurde und diese zugleich mit repräsentirte.

Wenn aber auch die große Mehrzahl der Glaubensbcdürftigen ohne zu
reflectiren die widersinnige Häufung und Vermischung der Göttcrdienste hin¬
nahm und mit der Beobachtung unverstandener Ceremonien der verschiedensten
Culte die Pflichten der Frömmigkeit zu erfüllen glaubte, so strebten die Ge¬
bildeten und Denkenden um so eifriger nach einer Lösung der Widersprüche,
nach einer Vergeistigung der seltsamen und vielfach widerwärtigen oder lächer¬
lichen Formen, nach einer höhern Auffassung, die in Harmonie verwandeln
sollte, was dem nüchternen Sinn als ein wüstes Gewirr erschien. Diese
Tendenz äußerte sich auf mehr als eine Weise. Theils erklärte man die ver¬
schiedenen Götter als Ausdrücke eines und desselben göttlichen Wesens, wie z. B.
Isis, die „millionennamige". in jenem Roman des Appulejus ihrem Verehrer
sich selbst als identisch mit den Hauptgottheiten aller Völker darstellt, und die
Monumente (besonders Amulete) sind zahlreich, auf denen Zeus. Hades, Seraprs
und der Sonnengott für einen und denselben erklärt werden. Theils faßte
man die Götter des Volksglaubens als Wesen auf. die zwischen der Schöpfung
und der höchsten Gottheit in der Mitte stehen sollten, und mit dieser Auffassung


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[0181] zutrinke. Noch weniger seien die Aegypter zu dulden; der hundsköpfige bel¬ lende, in seinen Sindon gekleidete Anubis, der Orakel ertheilende Stier Apis, und vollends die Ibisse, Affen und Böcke. Momos stellt daher den Antrag, in Erwägung, daß sich viele unberechtigte, kauderwelschende Leute aus allerlei Ländern unter die Götter eingedrängt haben, Ambrosia und Nektar auszugehn anfängt, und das Maß bei der starken Nachfrage bereits auf eine Mine ge¬ stiegen' ist. serner die fremden Eindringlinge sich unverschämt vordrängen und die alten Götter ihrer Plätze berauben: eine Commission von sieben vollbe¬ rechtigter Göttern einzusetzen, welche die Legitimation jedes einzelnen prüfen soll. Zeus bringt diesen Antrag nicht zur Abstimmung, da er voraussieht, daß die Majorität dagegen sein werde, sanctionirt ihn aber ohne Weiteres und weist die sämmtlichen Götter an. zu der bevorstehenden Prüfung sich die nöthigen Nachweise zu verschaffen, als Namen der Eltern, Angaben woher und auf welche Weise sie Götter geworden seien u. s. w. Doch diejenigen, die sich wie Lucian gegen allen Götterglauben negirend verhielten, haben ohne Zweifel in der Zeit der überhandnehmenden Super¬ stition nur eine verschwindend kleine Minorität gebildet. Die große Masse wurde sich schwerlich der Widersprüche bewußt, die in der Durcheinanderwir- nmg der Religionen lagen, und begrüßte vielmehr jeden neuen Cultus als eine Ergänzung ihrer noch unvollständigen Erkenntniß der unendlichen Götter- Welt. Aus dem Bedürfniß der Anbetung so vieler verschiedenartiger Mächte ging eine eigenthümliche conipendiarische Form von Idolen hervor, die soge¬ nannten Pantheen, wo ein Götterbild mit den Attributen vieler andern aus¬ gestattet wurde und diese zugleich mit repräsentirte. Wenn aber auch die große Mehrzahl der Glaubensbcdürftigen ohne zu reflectiren die widersinnige Häufung und Vermischung der Göttcrdienste hin¬ nahm und mit der Beobachtung unverstandener Ceremonien der verschiedensten Culte die Pflichten der Frömmigkeit zu erfüllen glaubte, so strebten die Ge¬ bildeten und Denkenden um so eifriger nach einer Lösung der Widersprüche, nach einer Vergeistigung der seltsamen und vielfach widerwärtigen oder lächer¬ lichen Formen, nach einer höhern Auffassung, die in Harmonie verwandeln sollte, was dem nüchternen Sinn als ein wüstes Gewirr erschien. Diese Tendenz äußerte sich auf mehr als eine Weise. Theils erklärte man die ver¬ schiedenen Götter als Ausdrücke eines und desselben göttlichen Wesens, wie z. B. Isis, die „millionennamige". in jenem Roman des Appulejus ihrem Verehrer sich selbst als identisch mit den Hauptgottheiten aller Völker darstellt, und die Monumente (besonders Amulete) sind zahlreich, auf denen Zeus. Hades, Seraprs und der Sonnengott für einen und denselben erklärt werden. Theils faßte man die Götter des Volksglaubens als Wesen auf. die zwischen der Schöpfung und der höchsten Gottheit in der Mitte stehen sollten, und mit dieser Auffassung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/181>, abgerufen am 05.07.2024.