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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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lastende Tradition drückt die Künstlerkraft nieder, kein Kampf gegen eine ruhm¬
reich herrschende Richtung geht dem Ergreifen des eignen Standpunktes voran,
kein schneidender Gegensatz verkümmert die frische Ursprünglichkeit des Schaffens.
Es wurden zwar auch in Berlin ähnliche Weisen, wie sie in München bewun¬
dert wurden, versucht oder dorthin verpflanzt. Der unterdessen ernüchterte
Volkssinn wies ihnen aber gleich anfangs die rechte Stelle ein und ließ sich
nicht mehr blenden. Auch wer keine Kunde davon hatte, daß an Schinkels
Museumsfresken Bettina mit componirt hatte, fand darin ein willkürliches,
aus phantastischen Einfällen zusammengesetztes Gedankenspiel. Diesen Um¬
ständen ist es wol zuzuschreiben, daß der berliner Künstlergruppe im Ganzen
ein frischerer Muth und ein leckerer Geist innewohnt, als dies sonst in Deutsch¬
land bemerkbar ist. Sie sind die Neuerer, die den andern stets einen Schritt
vorangehn, zuweilen übertreiben, aber niemals Mangel an Zuversicht ver¬
rathen. Wir würden zwar gegen unser Gewissen reden, wollten wirSchrader
als großen Farbendichter preisen. Auch sein in München ausgestelltes Wert:
Esther vor Ahasver leidet an der Ueberladung mit einzelnen Coloriteffetten
und an einer gezwungenen Gesuchtheit des Ausdrucks. Das Verdienst bleibt
aber Schrader, daß er unter den ersten, wenn nicht gar der erste war, der
das von düsseldorfer Historienmalerei genährte deutsche Publicum mit kräftiger
individueller Charakteristik bekannt machte. Eine ungleich größere Begabung
verräth Gustav Richter. Mag auch gegen seine Auffassung religiöser Mo¬
tive principiell Einsprache erhoben werden, vom rein artistischen Stand¬
punkt ist an seiner Auferweckung von Jairus Töchterlein wenig auszusetzen.
Eine solche Gewalt nicht über die handwerksmäßige Technik allein, sondern
auch über die poetische Wirkungskraft des Kolorits, eine so maßvolle und doch
durch und durch wahre, durch ihre Lebendigkeit ergreifende Charakteristik, wie
sie, auf einzelnen Figuren des Bildes sich offenbart, läßt die künftige Meister¬
schaft des Künstlers mit Zuversicht erwarten. Bei Adolf Menzel muß das
stoffliche Interesse ergänzend hinzutreten, um über die formellen Flüchtigkeiten
hinübcrzuhelfen. Doch sind die letzteren keineswegs so bedeutend, daß sie uns
vergessen ließen, wie folgenreich Menzels Versuch, das achtzehnte Jahrhundert
nicht blos in dem obligaten Schäfergewand, sondern in würdigem Ernst als
ein Jahrhundert von Männern, von großen Männern zu schildern, wirkte.

Mit dein Selbstvertrauen der berliner Künstlergruppe hängt es wol zu¬
sammen, daß in Berlin die nichtdeutsche .Kunst mit wohlwollenderem Auge
betrachtet wird, als dies in andern deutschen Kunststädten der Fall ist. Die
Furcht, das nationale Gepräge unsrer Kunst könnte durch freundliche Berüh¬
rungen mit den fremden verwischt werden, äußert sich minder stark, vielleicht
weil man es für unverwischbar ansieht.

Die Münchner Ausstellung bietet natürlich eine vielbcnutzte Gelegenheit,


lastende Tradition drückt die Künstlerkraft nieder, kein Kampf gegen eine ruhm¬
reich herrschende Richtung geht dem Ergreifen des eignen Standpunktes voran,
kein schneidender Gegensatz verkümmert die frische Ursprünglichkeit des Schaffens.
Es wurden zwar auch in Berlin ähnliche Weisen, wie sie in München bewun¬
dert wurden, versucht oder dorthin verpflanzt. Der unterdessen ernüchterte
Volkssinn wies ihnen aber gleich anfangs die rechte Stelle ein und ließ sich
nicht mehr blenden. Auch wer keine Kunde davon hatte, daß an Schinkels
Museumsfresken Bettina mit componirt hatte, fand darin ein willkürliches,
aus phantastischen Einfällen zusammengesetztes Gedankenspiel. Diesen Um¬
ständen ist es wol zuzuschreiben, daß der berliner Künstlergruppe im Ganzen
ein frischerer Muth und ein leckerer Geist innewohnt, als dies sonst in Deutsch¬
land bemerkbar ist. Sie sind die Neuerer, die den andern stets einen Schritt
vorangehn, zuweilen übertreiben, aber niemals Mangel an Zuversicht ver¬
rathen. Wir würden zwar gegen unser Gewissen reden, wollten wirSchrader
als großen Farbendichter preisen. Auch sein in München ausgestelltes Wert:
Esther vor Ahasver leidet an der Ueberladung mit einzelnen Coloriteffetten
und an einer gezwungenen Gesuchtheit des Ausdrucks. Das Verdienst bleibt
aber Schrader, daß er unter den ersten, wenn nicht gar der erste war, der
das von düsseldorfer Historienmalerei genährte deutsche Publicum mit kräftiger
individueller Charakteristik bekannt machte. Eine ungleich größere Begabung
verräth Gustav Richter. Mag auch gegen seine Auffassung religiöser Mo¬
tive principiell Einsprache erhoben werden, vom rein artistischen Stand¬
punkt ist an seiner Auferweckung von Jairus Töchterlein wenig auszusetzen.
Eine solche Gewalt nicht über die handwerksmäßige Technik allein, sondern
auch über die poetische Wirkungskraft des Kolorits, eine so maßvolle und doch
durch und durch wahre, durch ihre Lebendigkeit ergreifende Charakteristik, wie
sie, auf einzelnen Figuren des Bildes sich offenbart, läßt die künftige Meister¬
schaft des Künstlers mit Zuversicht erwarten. Bei Adolf Menzel muß das
stoffliche Interesse ergänzend hinzutreten, um über die formellen Flüchtigkeiten
hinübcrzuhelfen. Doch sind die letzteren keineswegs so bedeutend, daß sie uns
vergessen ließen, wie folgenreich Menzels Versuch, das achtzehnte Jahrhundert
nicht blos in dem obligaten Schäfergewand, sondern in würdigem Ernst als
ein Jahrhundert von Männern, von großen Männern zu schildern, wirkte.

Mit dein Selbstvertrauen der berliner Künstlergruppe hängt es wol zu¬
sammen, daß in Berlin die nichtdeutsche .Kunst mit wohlwollenderem Auge
betrachtet wird, als dies in andern deutschen Kunststädten der Fall ist. Die
Furcht, das nationale Gepräge unsrer Kunst könnte durch freundliche Berüh¬
rungen mit den fremden verwischt werden, äußert sich minder stark, vielleicht
weil man es für unverwischbar ansieht.

Die Münchner Ausstellung bietet natürlich eine vielbcnutzte Gelegenheit,


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[0158] lastende Tradition drückt die Künstlerkraft nieder, kein Kampf gegen eine ruhm¬ reich herrschende Richtung geht dem Ergreifen des eignen Standpunktes voran, kein schneidender Gegensatz verkümmert die frische Ursprünglichkeit des Schaffens. Es wurden zwar auch in Berlin ähnliche Weisen, wie sie in München bewun¬ dert wurden, versucht oder dorthin verpflanzt. Der unterdessen ernüchterte Volkssinn wies ihnen aber gleich anfangs die rechte Stelle ein und ließ sich nicht mehr blenden. Auch wer keine Kunde davon hatte, daß an Schinkels Museumsfresken Bettina mit componirt hatte, fand darin ein willkürliches, aus phantastischen Einfällen zusammengesetztes Gedankenspiel. Diesen Um¬ ständen ist es wol zuzuschreiben, daß der berliner Künstlergruppe im Ganzen ein frischerer Muth und ein leckerer Geist innewohnt, als dies sonst in Deutsch¬ land bemerkbar ist. Sie sind die Neuerer, die den andern stets einen Schritt vorangehn, zuweilen übertreiben, aber niemals Mangel an Zuversicht ver¬ rathen. Wir würden zwar gegen unser Gewissen reden, wollten wirSchrader als großen Farbendichter preisen. Auch sein in München ausgestelltes Wert: Esther vor Ahasver leidet an der Ueberladung mit einzelnen Coloriteffetten und an einer gezwungenen Gesuchtheit des Ausdrucks. Das Verdienst bleibt aber Schrader, daß er unter den ersten, wenn nicht gar der erste war, der das von düsseldorfer Historienmalerei genährte deutsche Publicum mit kräftiger individueller Charakteristik bekannt machte. Eine ungleich größere Begabung verräth Gustav Richter. Mag auch gegen seine Auffassung religiöser Mo¬ tive principiell Einsprache erhoben werden, vom rein artistischen Stand¬ punkt ist an seiner Auferweckung von Jairus Töchterlein wenig auszusetzen. Eine solche Gewalt nicht über die handwerksmäßige Technik allein, sondern auch über die poetische Wirkungskraft des Kolorits, eine so maßvolle und doch durch und durch wahre, durch ihre Lebendigkeit ergreifende Charakteristik, wie sie, auf einzelnen Figuren des Bildes sich offenbart, läßt die künftige Meister¬ schaft des Künstlers mit Zuversicht erwarten. Bei Adolf Menzel muß das stoffliche Interesse ergänzend hinzutreten, um über die formellen Flüchtigkeiten hinübcrzuhelfen. Doch sind die letzteren keineswegs so bedeutend, daß sie uns vergessen ließen, wie folgenreich Menzels Versuch, das achtzehnte Jahrhundert nicht blos in dem obligaten Schäfergewand, sondern in würdigem Ernst als ein Jahrhundert von Männern, von großen Männern zu schildern, wirkte. Mit dein Selbstvertrauen der berliner Künstlergruppe hängt es wol zu¬ sammen, daß in Berlin die nichtdeutsche .Kunst mit wohlwollenderem Auge betrachtet wird, als dies in andern deutschen Kunststädten der Fall ist. Die Furcht, das nationale Gepräge unsrer Kunst könnte durch freundliche Berüh¬ rungen mit den fremden verwischt werden, äußert sich minder stark, vielleicht weil man es für unverwischbar ansieht. Die Münchner Ausstellung bietet natürlich eine vielbcnutzte Gelegenheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/158>, abgerufen am 26.06.2024.