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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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dahin. Merkwürdig genug wird zwar allgemein von der altern Münchner
Kunst das besonders gerühmt, daß die großen Kreise der bildenden Künste
wieder in engere Beziehungen zueinander traten, und namentlich zwischen der
Architektur und Malerei ein festes Band der Verschwisterung gewebt wurde.
Für die kritische Beurtheilung jedoch soll dieses Verhältniß nicht gelten, da
wird zwischen den einzelnen Kunstgattungen die schärfste Grenze abgesteckt und
jeder Versuch, Bedeutung und Schicksal der ältern Münchner Kunst im Ganzen
als gemeinsam aufzufassen, mit Unwillen zurückgewiesen. Vergeblich, dieses
Wechselverhältniß besteht dennoch, und der Urtheilsspruch, der über die ältere
Münchner Baukunst mit seltener Einstimmigkeit ergangen ist, trifft auch die
Malerei. Cornelius ist allerdings eine ganz andere Persönlichkeit als Klenze.
noch viel weniger, als Klenze durch Bürklein, den Architekten der Maximilians¬
straße ersetzt wird (dies wird er übrigens in der That und reichlich) kann einer
der jüngern Führer in der Malerei sich mit dem Altmeister an Fülle der Be¬
gabung messen. Es gilt ja aber nicht eine Schätzung der einzelnen Indivi¬
dualitäten. Wird blos die Entwicklung der Münchner Schule in das Auge
gefaßt, so tritt auch die Wahlverwandtschaft der älteren Münchner Maler und
Baumeister unverkennbar an das Licht. Hier wie dort gleitet die Betrachtung
allmälig vom einfachen Genusse des Werkes zur Bewunderung der reichen
Bildung seines Schöpfers, hier wie dort ist die Fomiensvrache einer nicht un¬
mittelbaren lebendigen Welt entlehnt, deren Abgeschlossenheit aber durchbrochen
und nach subjectiven Ermessen des erfinderischen Künstlers gedehnt und ge¬
streckt wird, hier wie dort wird die culturgeschichtliche Seite der Kunst nicht
verstanden oder nicht beachtet, die in unmittelbarem Volksbewußtsein ruhenden
Elemente, die einer künstlerischen Verklärung fähig sind, nicht aufgesucht, hier
wie dort waltet endlich auch das gleiche Schicksal. Die weitere Entwicklung
benutzt nicht das so Erworbene als Basis, um daran weiter anzuknüpfen und
die Richtung fortzusetzen, sondern bricht dieselbe ab und sucht neue Grundsätze
und Grundlagen für das künstlerische Schaffen aus. Fühlen nun auch die
bessern Künstler unsrer Generation die Nothwendigkeit, Umgang zu nehmen
von der ältern Anschauungs- und Formenweise, so ist es doch natürlich, daß
sie nicht mit einem Mal ihre Erinnerung verschließen können, von einer Kunst,
die ein ganzes Mensch'matter lang als Münchens unsterblicher Ruhm geprie¬
sen wurde. Diese Traditionen drücken sie und rauben ihnen theilweise die
Freudigkeit und Sicherheit des Schaffens, verführen sie, in ihre Werke Motive
aufzunehmen, die an einem andern Orte ganz an ihrem Platze, hier als fremde
Eindringlinge stören und den Eindruck der naiven Schöpfung vernichten. Selbst
Piloty ist nicht frei von solchem Amalgamirungsstrcben, bei den ältern Histo¬
rienmalern herrschen sie vollends vor.

In dieser Beziehung besitzt Berlin nicht unerhebliche Vortheile. Keine'


dahin. Merkwürdig genug wird zwar allgemein von der altern Münchner
Kunst das besonders gerühmt, daß die großen Kreise der bildenden Künste
wieder in engere Beziehungen zueinander traten, und namentlich zwischen der
Architektur und Malerei ein festes Band der Verschwisterung gewebt wurde.
Für die kritische Beurtheilung jedoch soll dieses Verhältniß nicht gelten, da
wird zwischen den einzelnen Kunstgattungen die schärfste Grenze abgesteckt und
jeder Versuch, Bedeutung und Schicksal der ältern Münchner Kunst im Ganzen
als gemeinsam aufzufassen, mit Unwillen zurückgewiesen. Vergeblich, dieses
Wechselverhältniß besteht dennoch, und der Urtheilsspruch, der über die ältere
Münchner Baukunst mit seltener Einstimmigkeit ergangen ist, trifft auch die
Malerei. Cornelius ist allerdings eine ganz andere Persönlichkeit als Klenze.
noch viel weniger, als Klenze durch Bürklein, den Architekten der Maximilians¬
straße ersetzt wird (dies wird er übrigens in der That und reichlich) kann einer
der jüngern Führer in der Malerei sich mit dem Altmeister an Fülle der Be¬
gabung messen. Es gilt ja aber nicht eine Schätzung der einzelnen Indivi¬
dualitäten. Wird blos die Entwicklung der Münchner Schule in das Auge
gefaßt, so tritt auch die Wahlverwandtschaft der älteren Münchner Maler und
Baumeister unverkennbar an das Licht. Hier wie dort gleitet die Betrachtung
allmälig vom einfachen Genusse des Werkes zur Bewunderung der reichen
Bildung seines Schöpfers, hier wie dort ist die Fomiensvrache einer nicht un¬
mittelbaren lebendigen Welt entlehnt, deren Abgeschlossenheit aber durchbrochen
und nach subjectiven Ermessen des erfinderischen Künstlers gedehnt und ge¬
streckt wird, hier wie dort wird die culturgeschichtliche Seite der Kunst nicht
verstanden oder nicht beachtet, die in unmittelbarem Volksbewußtsein ruhenden
Elemente, die einer künstlerischen Verklärung fähig sind, nicht aufgesucht, hier
wie dort waltet endlich auch das gleiche Schicksal. Die weitere Entwicklung
benutzt nicht das so Erworbene als Basis, um daran weiter anzuknüpfen und
die Richtung fortzusetzen, sondern bricht dieselbe ab und sucht neue Grundsätze
und Grundlagen für das künstlerische Schaffen aus. Fühlen nun auch die
bessern Künstler unsrer Generation die Nothwendigkeit, Umgang zu nehmen
von der ältern Anschauungs- und Formenweise, so ist es doch natürlich, daß
sie nicht mit einem Mal ihre Erinnerung verschließen können, von einer Kunst,
die ein ganzes Mensch'matter lang als Münchens unsterblicher Ruhm geprie¬
sen wurde. Diese Traditionen drücken sie und rauben ihnen theilweise die
Freudigkeit und Sicherheit des Schaffens, verführen sie, in ihre Werke Motive
aufzunehmen, die an einem andern Orte ganz an ihrem Platze, hier als fremde
Eindringlinge stören und den Eindruck der naiven Schöpfung vernichten. Selbst
Piloty ist nicht frei von solchem Amalgamirungsstrcben, bei den ältern Histo¬
rienmalern herrschen sie vollends vor.

In dieser Beziehung besitzt Berlin nicht unerhebliche Vortheile. Keine'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/157>, abgerufen am 28.09.2024.