Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.lehnte, vielfach umbildete und vervollkommnete, und in dieser neuen und voll¬ Auch in Italien wurde das eigentliche Feld der Thätigkeit für Händel Händel besuchte Florenz, Venedig. Rom und Neapel und erweckte überall lehnte, vielfach umbildete und vervollkommnete, und in dieser neuen und voll¬ Auch in Italien wurde das eigentliche Feld der Thätigkeit für Händel Händel besuchte Florenz, Venedig. Rom und Neapel und erweckte überall <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265923"/> <p xml:id="ID_270" prev="#ID_269"> lehnte, vielfach umbildete und vervollkommnete, und in dieser neuen und voll¬<lb/> endeteren Gestalt späteren Werken einfügte. Chrysandcr läßt uns „einen Blick<lb/> in die Werkstatt" des Meisters werfen: „Seine eignen Gedanken, so lange<lb/> sie noch unerschöpft und mangelhaft gestaltet waren, unterlagen derselben Um¬<lb/> bildung, die er denen andrer Tonmeister angedeihen ließ. Was er angriff<lb/> wurde sein eigen. Man kann in seinen Werken fremde Quellen nachweisen,<lb/> aber nicht fremde Gedanken. Ohne eine wirkliche geistige Uebermacht würde<lb/> auch das größte musikalische Geschick ihn dazu nicht befähigt haben. Auf<lb/> solche Weise hat er die Entlehnung fremden Gutes gerechtfertigt, zugleich auch<lb/> die betreffenden Meister, und damit wesentlich die ganze Musikgeschichte vor<lb/> ihm mit einer Schärfe und Gerechtigkeit beurtheilt, von der man heutzutage<lb/> wol weit entfernt sein muß, da für diese große That Handels sogar das Ver¬<lb/> ständniß fehlt." Damit erscheinen diese „Plagiate.", welche Händel an andern<lb/> Meistern begangen haben soll, in der That erledigt — unsere Gegenwart muß<lb/> diese Rechtfertigung sehr wohl gelten lassen; denn wenn sie selbst alles verdam¬<lb/> men sollte, was nicht unmittelbar neu in ihr entstanden ist, so würde ihr<lb/> leider wenig unoerurtheilt übrigbleiben. Davon sind die Kunstrichtungen,<lb/> welche gradezu die Vergangenheit negiren und sich als selbstständig aus der<lb/> Zeit emporgewachsen hinstellen wollen, um allerletzten ausgenommen. Durch<lb/> Vervollkommnung und Erweiterung des Ueberliefeiten hat die Kunst, mit der<lb/> Weiterbildung des menschlichen Geistes Schritt haltend, ihren Entwicklungs¬<lb/> gang zum Höhern genommen; unmittelbar neu vom Himmel gefallen ist nichts.<lb/> Auf die Entlehnung eines Motives kommt es auch nicht an, sondern auf die<lb/> vollkommnere Gestaltung desselben zu einem Gedanken, ein und dasselbe Motiv<lb/> kann durch die Entwicklung vollkommen neu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_271"> Auch in Italien wurde das eigentliche Feld der Thätigkeit für Händel<lb/> die Oper, in der Kirchenmusik hatte Italien „einen Kanon, von dem die ita¬<lb/> lischen Komponisten nicht abwichen. Das möglichst genaue Eingehn daraus<lb/> mußte für Händel Pflicht sein, wenn er hier durchdnngen wollte, dennoch hielt<lb/> er hier an seiner Weise, wie an seiner Confession fest." Die liturgischen Sätze<lb/> boten ihm nicht das Lehrreiche wie die Oper, und „er war nicht nach Italien<lb/> gegangen, um seine Gottesfurcht zu bethätigen, sondern um in der Kunst<lb/> Neues zu lernen."</p><lb/> <p xml:id="ID_272" next="#ID_273"> Händel besuchte Florenz, Venedig. Rom und Neapel und erweckte überall<lb/> seiner Kunst Bewunderung und seinem Charakter Achtung. Alle sinnlichen<lb/> Reizungen Italiens vermochten nicht, seinen aufwärts gerichteten Blick vom<lb/> Höchsten abzulenken — ein Werk II Irionko äst lemxc» e act visiuMirno,<lb/> in welchem die Schönheit die Verlockungen der Sinnlichkeit abweist und noch<lb/> in vollster Blüte sich, zur Weisheit wendet, ist bezeichnend genug für sein<lb/> Wesen. Er hat diesen, mit ihm so eng zusammenhängenden Gedanken stets</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
lehnte, vielfach umbildete und vervollkommnete, und in dieser neuen und voll¬
endeteren Gestalt späteren Werken einfügte. Chrysandcr läßt uns „einen Blick
in die Werkstatt" des Meisters werfen: „Seine eignen Gedanken, so lange
sie noch unerschöpft und mangelhaft gestaltet waren, unterlagen derselben Um¬
bildung, die er denen andrer Tonmeister angedeihen ließ. Was er angriff
wurde sein eigen. Man kann in seinen Werken fremde Quellen nachweisen,
aber nicht fremde Gedanken. Ohne eine wirkliche geistige Uebermacht würde
auch das größte musikalische Geschick ihn dazu nicht befähigt haben. Auf
solche Weise hat er die Entlehnung fremden Gutes gerechtfertigt, zugleich auch
die betreffenden Meister, und damit wesentlich die ganze Musikgeschichte vor
ihm mit einer Schärfe und Gerechtigkeit beurtheilt, von der man heutzutage
wol weit entfernt sein muß, da für diese große That Handels sogar das Ver¬
ständniß fehlt." Damit erscheinen diese „Plagiate.", welche Händel an andern
Meistern begangen haben soll, in der That erledigt — unsere Gegenwart muß
diese Rechtfertigung sehr wohl gelten lassen; denn wenn sie selbst alles verdam¬
men sollte, was nicht unmittelbar neu in ihr entstanden ist, so würde ihr
leider wenig unoerurtheilt übrigbleiben. Davon sind die Kunstrichtungen,
welche gradezu die Vergangenheit negiren und sich als selbstständig aus der
Zeit emporgewachsen hinstellen wollen, um allerletzten ausgenommen. Durch
Vervollkommnung und Erweiterung des Ueberliefeiten hat die Kunst, mit der
Weiterbildung des menschlichen Geistes Schritt haltend, ihren Entwicklungs¬
gang zum Höhern genommen; unmittelbar neu vom Himmel gefallen ist nichts.
Auf die Entlehnung eines Motives kommt es auch nicht an, sondern auf die
vollkommnere Gestaltung desselben zu einem Gedanken, ein und dasselbe Motiv
kann durch die Entwicklung vollkommen neu werden.
Auch in Italien wurde das eigentliche Feld der Thätigkeit für Händel
die Oper, in der Kirchenmusik hatte Italien „einen Kanon, von dem die ita¬
lischen Komponisten nicht abwichen. Das möglichst genaue Eingehn daraus
mußte für Händel Pflicht sein, wenn er hier durchdnngen wollte, dennoch hielt
er hier an seiner Weise, wie an seiner Confession fest." Die liturgischen Sätze
boten ihm nicht das Lehrreiche wie die Oper, und „er war nicht nach Italien
gegangen, um seine Gottesfurcht zu bethätigen, sondern um in der Kunst
Neues zu lernen."
Händel besuchte Florenz, Venedig. Rom und Neapel und erweckte überall
seiner Kunst Bewunderung und seinem Charakter Achtung. Alle sinnlichen
Reizungen Italiens vermochten nicht, seinen aufwärts gerichteten Blick vom
Höchsten abzulenken — ein Werk II Irionko äst lemxc» e act visiuMirno,
in welchem die Schönheit die Verlockungen der Sinnlichkeit abweist und noch
in vollster Blüte sich, zur Weisheit wendet, ist bezeichnend genug für sein
Wesen. Er hat diesen, mit ihm so eng zusammenhängenden Gedanken stets
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