Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.unterbrochen. Prag ist bis in die neueste Zeit wiederholt eine deutsche und wieder unterbrochen. Prag ist bis in die neueste Zeit wiederholt eine deutsche und wieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186499"/> <p xml:id="ID_213" prev="#ID_212" next="#ID_214"> unterbrochen. Prag ist bis in die neueste Zeit wiederholt eine deutsche und wieder<lb/> eine ezechische Stadt gewesen. Bis zum Ende des 15, Jahrhunderts flössen die<lb/> Deutschen von allen Seiten in das fruchtbare Land, im 15, schlugen die ezechischcu<lb/> Wellen in furchtbarem Sturme über die Grcnzberge bis tief in die deutschen Territorien,<lb/> im 10. Jahrhundert zog mit der Reformation wieder deutsches Leben in die Land¬<lb/> schaften des Jan Trocznow und König Girzeks, und im 17, rieselte wieder eilig<lb/> slavische Familientrast aus alle» Oeffnungen des nördlichen Bergwallcs hinaus.<lb/> Diese letzte Auswanderung hat das ezechische Element dauernd in Deutschland ver¬<lb/> breitet, Sie geschah im Lvjährigen Kriege, nach der Niederlage Friedrichs von der<lb/> Pfalz, als Folge der kaiserlichen und katholischen Reaction; die Auswanderer waren<lb/> confessionelle und politische Protestanten, theils von czechischem Stamm, theils die<lb/> Nachkommen deutscher Einwanderer. Sie wurden durch die kaiserlichen Soldaten<lb/> ausgewiesen oder flüchteten freiwillig vor der blutigen Rache der Sieger und<lb/> was vielen noch schrecklicher war, vor den Kanzeln der Jesuiten. Die Aus¬<lb/> wanderung der Protestanten aus den kaiserlichen Erbländerin Böhmen, Ungarn,<lb/> Oberöstreich und Steiermark ist weit umfangreicher als die Auswanderung der<lb/> französischen Protestanten nach Aufhebung des Ediets von Nantes und die Emi¬<lb/> gration der Royalisten in der großen Revolution. Am stärksten, aber war sie damals<lb/> von Böhmen aus, Sie geschah in die nächsten protestantischen Länder, vorzugs¬<lb/> weise nach dem Kurfürstenthum Sachsen, Vielleicht Dreiviertel der Auswanderer<lb/> suchten sich dort unter dem Schutz eines protestantischen Fürsten festzusetzen, der<lb/> Nest vertheilte sich nach Brandenburg, Thüringen, in die Länder der Niedersachsen<lb/> und das protestantische Süddentschland. Die Bevölkerung Böhmens wurde vor<lb/> dem Kriege auf drei Millionen geschätzt, nach dem Kriege lebten noch 780,000<lb/> Menschen in dem großen Lande. Unter diesen viele neue katholische Einwanderer.<lb/> Allerdings war nur der kleinste Theil der Fehlenden ausgewandert, die meisten waren<lb/> durch Soldaten, Seuchen und Hunger getödtet. Doch bleibt die Zahl der Auswan¬<lb/> dernden erstaunlich. Von den alten Adelsfamilien Böhmens blieben nnr 16 im<lb/> Lande, 185 Geschlechter von 4 bis 50 Personen wanderten aus. Seit der Zeit<lb/> ist von böhmischen Adel überall mehr zu finden, als in Böhmen selbst. Die Zahl<lb/> der Familien, welche seit 1023 mit dem Hauptstrom nach Sachsen kamen, ist nach<lb/> umfangreicher Ermittelung auf ca. 30,000 anzuschlagen, welche sicher nicht weniger<lb/> als 150,000 Köpfe ausmachten, Diese Zahl erreicht aber lange nicht den Gesammt-<lb/> betrag; denn die protestantische Auswanderung dauerte bis fast zur Mitte des vorigen<lb/> Jahrhunderts fort. Auch ist die Zahl der Köpfe durchaus nicht der richtige Werth¬<lb/> messer jener Emigration. Das Land verlor damals fast alles, was es an großen<lb/> Gutsherrn, an Gelehrten und Geistlichen, an Künstlern und Industriellen besaß,<lb/> bei weitem den besten Theil seiner Kraft. Noch heut ist eine fast zwcihundertjährige<lb/> Abspannung dort sehr fühlbar. Und was Böhmen damals verlor, kam dem übrigen<lb/> Deutschland nur im geringeren Maße zu gut. Aus vielen der reichen Grundherren<lb/> wurden schwedische Glückssvldaten, aus gelehrten Predigern bettelhafte Vaganten,<lb/> aus wohlhabenden Bürgern Hungerleider und Spitalgcnosscn. Die Summe des<lb/> Elends, welches damals von der gesammten Nation erduldet wurde, ist so unge¬<lb/> heuer, daß die kläglichen Schicksale der meisten böhmischen Flüchtlinge darin ver¬<lb/> schwinden wie ein Bergbach im großen Strome. Aber wer sucht, kann aus den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
unterbrochen. Prag ist bis in die neueste Zeit wiederholt eine deutsche und wieder
eine ezechische Stadt gewesen. Bis zum Ende des 15, Jahrhunderts flössen die
Deutschen von allen Seiten in das fruchtbare Land, im 15, schlugen die ezechischcu
Wellen in furchtbarem Sturme über die Grcnzberge bis tief in die deutschen Territorien,
im 10. Jahrhundert zog mit der Reformation wieder deutsches Leben in die Land¬
schaften des Jan Trocznow und König Girzeks, und im 17, rieselte wieder eilig
slavische Familientrast aus alle» Oeffnungen des nördlichen Bergwallcs hinaus.
Diese letzte Auswanderung hat das ezechische Element dauernd in Deutschland ver¬
breitet, Sie geschah im Lvjährigen Kriege, nach der Niederlage Friedrichs von der
Pfalz, als Folge der kaiserlichen und katholischen Reaction; die Auswanderer waren
confessionelle und politische Protestanten, theils von czechischem Stamm, theils die
Nachkommen deutscher Einwanderer. Sie wurden durch die kaiserlichen Soldaten
ausgewiesen oder flüchteten freiwillig vor der blutigen Rache der Sieger und
was vielen noch schrecklicher war, vor den Kanzeln der Jesuiten. Die Aus¬
wanderung der Protestanten aus den kaiserlichen Erbländerin Böhmen, Ungarn,
Oberöstreich und Steiermark ist weit umfangreicher als die Auswanderung der
französischen Protestanten nach Aufhebung des Ediets von Nantes und die Emi¬
gration der Royalisten in der großen Revolution. Am stärksten, aber war sie damals
von Böhmen aus, Sie geschah in die nächsten protestantischen Länder, vorzugs¬
weise nach dem Kurfürstenthum Sachsen, Vielleicht Dreiviertel der Auswanderer
suchten sich dort unter dem Schutz eines protestantischen Fürsten festzusetzen, der
Nest vertheilte sich nach Brandenburg, Thüringen, in die Länder der Niedersachsen
und das protestantische Süddentschland. Die Bevölkerung Böhmens wurde vor
dem Kriege auf drei Millionen geschätzt, nach dem Kriege lebten noch 780,000
Menschen in dem großen Lande. Unter diesen viele neue katholische Einwanderer.
Allerdings war nur der kleinste Theil der Fehlenden ausgewandert, die meisten waren
durch Soldaten, Seuchen und Hunger getödtet. Doch bleibt die Zahl der Auswan¬
dernden erstaunlich. Von den alten Adelsfamilien Böhmens blieben nnr 16 im
Lande, 185 Geschlechter von 4 bis 50 Personen wanderten aus. Seit der Zeit
ist von böhmischen Adel überall mehr zu finden, als in Böhmen selbst. Die Zahl
der Familien, welche seit 1023 mit dem Hauptstrom nach Sachsen kamen, ist nach
umfangreicher Ermittelung auf ca. 30,000 anzuschlagen, welche sicher nicht weniger
als 150,000 Köpfe ausmachten, Diese Zahl erreicht aber lange nicht den Gesammt-
betrag; denn die protestantische Auswanderung dauerte bis fast zur Mitte des vorigen
Jahrhunderts fort. Auch ist die Zahl der Köpfe durchaus nicht der richtige Werth¬
messer jener Emigration. Das Land verlor damals fast alles, was es an großen
Gutsherrn, an Gelehrten und Geistlichen, an Künstlern und Industriellen besaß,
bei weitem den besten Theil seiner Kraft. Noch heut ist eine fast zwcihundertjährige
Abspannung dort sehr fühlbar. Und was Böhmen damals verlor, kam dem übrigen
Deutschland nur im geringeren Maße zu gut. Aus vielen der reichen Grundherren
wurden schwedische Glückssvldaten, aus gelehrten Predigern bettelhafte Vaganten,
aus wohlhabenden Bürgern Hungerleider und Spitalgcnosscn. Die Summe des
Elends, welches damals von der gesammten Nation erduldet wurde, ist so unge¬
heuer, daß die kläglichen Schicksale der meisten böhmischen Flüchtlinge darin ver¬
schwinden wie ein Bergbach im großen Strome. Aber wer sucht, kann aus den
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