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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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mehr auf Prüfung der Wechselunterschriften als auf die der Weckscl selbst
gegeben, sie hatte bis zum letzten Moment den Börsenverkehr in einer Weise
erleichtert, daß weniger Kassenvorrath dn war, als der Betrag der jederzeit
kündbaren Depositen. Dieser Zustand der "soliden" Hamburger Vereinsbank
unmittelbar bei Ausbruch der Krisis ist grade ein redender Beweis dafür,
wie abhängig Bankverwaltungen von ihren? Geschäftspnblicuin sind, und man
müßte einen allen Erfahrungen spottenden Glauben haben, wenn man an¬
nehmen wollte, eine einzige große privilegirte Bank mit Notenausgabe in
Hamburg hätte Börsenansichten und Börsenstimmungen größern Widerstand
leisten können. An flüssigem Capital fehlte es in Hamburg wahrlich nicht,
und noch weniger an geschäftlichen Valuten; aber es fehlte an Einsicht und
an Borsicht und der Unternehmungsgeist war in verkehrte Bahnen gerathen.

Das Unglück brach herein und es fand die Hamburger Börse gänzlich un¬
vorbereitet. Es ist ein eigenthümliches Gemisch diese Börse, deren Besucher
sich ganz regelmäßig alljährlich aus einem Zuwachs recrutiren, der reichlich zu
einem Drittheil nicht aus geborenen Hamburgern besteht, wie die ganze ham¬
burgische Bevölkerung. Die hamburgischen Staatseinrichtungen sind aber nicht
der Art, um dieses allmälige Ueberwachsen des nicht hnmburgischen Elements
organisch ineinanderzufügen, da nur wenige Mitglieder der Börsenaristokratie
und fast sie allein, in wunderlichster Weise an der Verwaltung der öffentlichen
Angelegenheiten Theil nehmen. So kommt es denn, daß es an einem wirk¬
lichen Gemeingeist in Hamburg fehlt, und daß man dort in allem Thun und
Lassen auf den guten Willen und die Einsicht der Börsenmatadore angewiesen
ist, denen man blindlings nachtritt, unter dem Vorbehalt natürlich, gegen
diesen Einfluß nachher alle Künste der Malice aufzubieten. Man kann aber
wiederum nicht sagen, daß die hamburgische Börsenaristokratie sich durch große
Einsicht in das wirthschaftliche Leben auszeichnet, von dein sie ja auch
nur die eine Seite, den Großhandel, und zwar diesen allerdings in voll¬
ständigster Weise kennen lernt; eben darum ist sie aber auch sehr geneigt, eben
alle andern Verkehrsbezichnngen nachzustellen. Hamburg vertritt den Frei¬
handel nicht, weil er die einzig gesunde Grundlage der Volkswirthschaft ist,
sondern weil jene sich am besten dabei befinden. Hamburg hat ab^r grade
deshalb niemals eine wirkliche Propaganda für ihn machen können, wie der
völlige Verfall des Hamburger Freihandelsvcreins dies am besten beweist.

In jenen Kreisen fühlre sich nun der Beginn der Handelskrisis zunächst
als eine völlige Stockung des Wechselverkehrs heraus. Die Hamburger Börsen¬
aristokratie hatte in bessern Tagen nicht Verstand und Fähigfeit genug gehabt,
den systematischen Mißbrauch des Wcchselcredits fern zu halten, hatte ihn viel¬
fach sogar selbst mit unterhalten. Jetzt war die Noth da und worauf verfiel
man zuerst? Aus eine künstliche Stütze des wankenden Gebäudes. Man wollte


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mehr auf Prüfung der Wechselunterschriften als auf die der Weckscl selbst
gegeben, sie hatte bis zum letzten Moment den Börsenverkehr in einer Weise
erleichtert, daß weniger Kassenvorrath dn war, als der Betrag der jederzeit
kündbaren Depositen. Dieser Zustand der „soliden" Hamburger Vereinsbank
unmittelbar bei Ausbruch der Krisis ist grade ein redender Beweis dafür,
wie abhängig Bankverwaltungen von ihren? Geschäftspnblicuin sind, und man
müßte einen allen Erfahrungen spottenden Glauben haben, wenn man an¬
nehmen wollte, eine einzige große privilegirte Bank mit Notenausgabe in
Hamburg hätte Börsenansichten und Börsenstimmungen größern Widerstand
leisten können. An flüssigem Capital fehlte es in Hamburg wahrlich nicht,
und noch weniger an geschäftlichen Valuten; aber es fehlte an Einsicht und
an Borsicht und der Unternehmungsgeist war in verkehrte Bahnen gerathen.

Das Unglück brach herein und es fand die Hamburger Börse gänzlich un¬
vorbereitet. Es ist ein eigenthümliches Gemisch diese Börse, deren Besucher
sich ganz regelmäßig alljährlich aus einem Zuwachs recrutiren, der reichlich zu
einem Drittheil nicht aus geborenen Hamburgern besteht, wie die ganze ham¬
burgische Bevölkerung. Die hamburgischen Staatseinrichtungen sind aber nicht
der Art, um dieses allmälige Ueberwachsen des nicht hnmburgischen Elements
organisch ineinanderzufügen, da nur wenige Mitglieder der Börsenaristokratie
und fast sie allein, in wunderlichster Weise an der Verwaltung der öffentlichen
Angelegenheiten Theil nehmen. So kommt es denn, daß es an einem wirk¬
lichen Gemeingeist in Hamburg fehlt, und daß man dort in allem Thun und
Lassen auf den guten Willen und die Einsicht der Börsenmatadore angewiesen
ist, denen man blindlings nachtritt, unter dem Vorbehalt natürlich, gegen
diesen Einfluß nachher alle Künste der Malice aufzubieten. Man kann aber
wiederum nicht sagen, daß die hamburgische Börsenaristokratie sich durch große
Einsicht in das wirthschaftliche Leben auszeichnet, von dein sie ja auch
nur die eine Seite, den Großhandel, und zwar diesen allerdings in voll¬
ständigster Weise kennen lernt; eben darum ist sie aber auch sehr geneigt, eben
alle andern Verkehrsbezichnngen nachzustellen. Hamburg vertritt den Frei¬
handel nicht, weil er die einzig gesunde Grundlage der Volkswirthschaft ist,
sondern weil jene sich am besten dabei befinden. Hamburg hat ab^r grade
deshalb niemals eine wirkliche Propaganda für ihn machen können, wie der
völlige Verfall des Hamburger Freihandelsvcreins dies am besten beweist.

In jenen Kreisen fühlre sich nun der Beginn der Handelskrisis zunächst
als eine völlige Stockung des Wechselverkehrs heraus. Die Hamburger Börsen¬
aristokratie hatte in bessern Tagen nicht Verstand und Fähigfeit genug gehabt,
den systematischen Mißbrauch des Wcchselcredits fern zu halten, hatte ihn viel¬
fach sogar selbst mit unterhalten. Jetzt war die Noth da und worauf verfiel
man zuerst? Aus eine künstliche Stütze des wankenden Gebäudes. Man wollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/81>, abgerufen am 21.12.2024.