Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.trachtung des Zustandes aller Staaten veranlaßt. Ich habe zu dem Ende seit Dies war die erste Grundlage für die 24 Bücher allgemeiner Geschichte, Müller war in diesen Vorlesungen wie in seinem Umgang durchweg ein *) Die Klagen an Bonstetten gehn auch diesmal ununterbrochen fort, z, B, 28. Dec.
1779: "Meine Physische Erschöpfung und meine Traurigkeit kommen von dem Mangel fast aller Bewegung, und weil ich gleichsam in mich selbst fresse, da ich mich mit Komposition zu beschäftigen die Zeit nicht mehr habe; hierzu kommt ein zunehmender Widerwille gegen diese unerträglichen Kollegien, die mich mit vielen superficiellen Arbeiten beladen, worunter ich ohne Nutzen leide und mein halbes Leben verliere." -- In dieser Zeit lernte er auch den jungen Huber kennen. trachtung des Zustandes aller Staaten veranlaßt. Ich habe zu dem Ende seit Dies war die erste Grundlage für die 24 Bücher allgemeiner Geschichte, Müller war in diesen Vorlesungen wie in seinem Umgang durchweg ein *) Die Klagen an Bonstetten gehn auch diesmal ununterbrochen fort, z, B, 28. Dec.
1779: „Meine Physische Erschöpfung und meine Traurigkeit kommen von dem Mangel fast aller Bewegung, und weil ich gleichsam in mich selbst fresse, da ich mich mit Komposition zu beschäftigen die Zeit nicht mehr habe; hierzu kommt ein zunehmender Widerwille gegen diese unerträglichen Kollegien, die mich mit vielen superficiellen Arbeiten beladen, worunter ich ohne Nutzen leide und mein halbes Leben verliere." — In dieser Zeit lernte er auch den jungen Huber kennen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186488"/> <p xml:id="ID_182" prev="#ID_181"> trachtung des Zustandes aller Staaten veranlaßt. Ich habe zu dem Ende seit<lb/> letzterem Christmonat 131 Tractaten über diese Geschäfte gelesen. Diese Arbeit<lb/> führe ich fort und lese alle Briefwechsel der Staatsminister und Ambassadorcn<lb/> und alle Nachrichten von den letzten 300 Jahren und was Leibnitz, Bayle<lb/> und hundert andere in allen Ländern zerstreut über diese Materien heraus¬<lb/> gegeben haben, woraus ich über die dreihundert letzten Jahre ein Buch heraus¬<lb/> geben will, welches mit Wahrheit und Freimüthigkeit abgefaßt werden muß;<lb/> denn meine innige Absicht ist das Wohl der Nachwelt, und da nun in Europa<lb/> durch den Verfall der Freistaaten und die gewaltigen Heere alles zu Grunde<lb/> geht und verloren ist, ist merkwürdig zu beschreiben, durch welche Zufälle<lb/> und Fehler wir in diesen Zustand gerathen sind." —</p><lb/> <p xml:id="ID_183"> Dies war die erste Grundlage für die 24 Bücher allgemeiner Geschichte,<lb/> welche wir in der Umarbeitung von 1796 besitzen. Das Kollegium hatte so<lb/> viel Beifall gefunden, daß er es im nächsten Winter (et. Dec. 1779 bis 11. Mai<lb/> 1780) vor einem auserlesenen Kreis wiederholen mußte. Er hatte es wesent¬<lb/> lich verbessert und mit 570 neuen Zusätzen aus den Quellen bereichert; er<lb/> schloß es mit einer Analyse der englischen Staatsverfassung. Huo rosulw an<lb/> cours cle ces kehört? . . . que Ilr äirvktion eonstimtö alö toutes les i'ol-eW<lb/> as I'iuuv vors un «ont g'iÄiuI oKM est le moz^en inkuilliblv c-t nuiquk Ä'ex6-<lb/> eurer clef grirnäes g-etions/'')</p><lb/> <p xml:id="ID_184" next="#ID_185"> Müller war in diesen Vorlesungen wie in seinem Umgang durchweg ein<lb/> Angehöriger der genfer Aristokratie; als daher 1775 die Unruhen ausbrachen, die<lb/> eine demokratische StaatsumwälMig nach sich zogen, stellte er sich entschieden<lb/> aus die Seite der conservativen Partei, und gehörte nach dem Sieg der Demo¬<lb/> kratie zur Opposition. In einer seiner Jcremiadcn, 31. Mai 1779, schreibt<lb/> er an Bonstetten-. „Alle Ueberbleibsel der alten Aristokratie werden hier aus¬<lb/> gerottet; alle Gewalt kommt an die Gemeinde. Die Hungrigen, welche die<lb/> Menge ausmachen, werden künstig die Aufgeklärten und Reichen überstimmen.<lb/> Die höchste ausübende Gewalt kommt mit erstaunlichen Rechten an die Crea-<lb/> turen des Volks. Es ist unglaublich, mit welcher Kunst, und gleichwol mit<lb/> wie vieler Frechheit alle diese Grundsätze in dem Gesetzbuch sind. Bei den<lb/> Vornehmen ist jene alles überwindende Liebe der Alten zum Staat nicht, und<lb/> an ihrer Stelle Liebe des Geldes und Genusses desselben; daher Furchtsamkeit<lb/> und Wankelmuth in alle ihre Maßregeln kommen, besonders die Macht ein-</p><lb/> <note xml:id="FID_22" place="foot"> *) Die Klagen an Bonstetten gehn auch diesmal ununterbrochen fort, z, B, 28. Dec.<lb/> 1779: „Meine Physische Erschöpfung und meine Traurigkeit kommen von dem Mangel fast<lb/> aller Bewegung, und weil ich gleichsam in mich selbst fresse, da ich mich mit Komposition zu<lb/> beschäftigen die Zeit nicht mehr habe; hierzu kommt ein zunehmender Widerwille gegen diese<lb/> unerträglichen Kollegien, die mich mit vielen superficiellen Arbeiten beladen, worunter ich ohne<lb/> Nutzen leide und mein halbes Leben verliere." — In dieser Zeit lernte er auch den jungen<lb/> Huber kennen.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
trachtung des Zustandes aller Staaten veranlaßt. Ich habe zu dem Ende seit
letzterem Christmonat 131 Tractaten über diese Geschäfte gelesen. Diese Arbeit
führe ich fort und lese alle Briefwechsel der Staatsminister und Ambassadorcn
und alle Nachrichten von den letzten 300 Jahren und was Leibnitz, Bayle
und hundert andere in allen Ländern zerstreut über diese Materien heraus¬
gegeben haben, woraus ich über die dreihundert letzten Jahre ein Buch heraus¬
geben will, welches mit Wahrheit und Freimüthigkeit abgefaßt werden muß;
denn meine innige Absicht ist das Wohl der Nachwelt, und da nun in Europa
durch den Verfall der Freistaaten und die gewaltigen Heere alles zu Grunde
geht und verloren ist, ist merkwürdig zu beschreiben, durch welche Zufälle
und Fehler wir in diesen Zustand gerathen sind." —
Dies war die erste Grundlage für die 24 Bücher allgemeiner Geschichte,
welche wir in der Umarbeitung von 1796 besitzen. Das Kollegium hatte so
viel Beifall gefunden, daß er es im nächsten Winter (et. Dec. 1779 bis 11. Mai
1780) vor einem auserlesenen Kreis wiederholen mußte. Er hatte es wesent¬
lich verbessert und mit 570 neuen Zusätzen aus den Quellen bereichert; er
schloß es mit einer Analyse der englischen Staatsverfassung. Huo rosulw an
cours cle ces kehört? . . . que Ilr äirvktion eonstimtö alö toutes les i'ol-eW
as I'iuuv vors un «ont g'iÄiuI oKM est le moz^en inkuilliblv c-t nuiquk Ä'ex6-
eurer clef grirnäes g-etions/'')
Müller war in diesen Vorlesungen wie in seinem Umgang durchweg ein
Angehöriger der genfer Aristokratie; als daher 1775 die Unruhen ausbrachen, die
eine demokratische StaatsumwälMig nach sich zogen, stellte er sich entschieden
aus die Seite der conservativen Partei, und gehörte nach dem Sieg der Demo¬
kratie zur Opposition. In einer seiner Jcremiadcn, 31. Mai 1779, schreibt
er an Bonstetten-. „Alle Ueberbleibsel der alten Aristokratie werden hier aus¬
gerottet; alle Gewalt kommt an die Gemeinde. Die Hungrigen, welche die
Menge ausmachen, werden künstig die Aufgeklärten und Reichen überstimmen.
Die höchste ausübende Gewalt kommt mit erstaunlichen Rechten an die Crea-
turen des Volks. Es ist unglaublich, mit welcher Kunst, und gleichwol mit
wie vieler Frechheit alle diese Grundsätze in dem Gesetzbuch sind. Bei den
Vornehmen ist jene alles überwindende Liebe der Alten zum Staat nicht, und
an ihrer Stelle Liebe des Geldes und Genusses desselben; daher Furchtsamkeit
und Wankelmuth in alle ihre Maßregeln kommen, besonders die Macht ein-
*) Die Klagen an Bonstetten gehn auch diesmal ununterbrochen fort, z, B, 28. Dec.
1779: „Meine Physische Erschöpfung und meine Traurigkeit kommen von dem Mangel fast
aller Bewegung, und weil ich gleichsam in mich selbst fresse, da ich mich mit Komposition zu
beschäftigen die Zeit nicht mehr habe; hierzu kommt ein zunehmender Widerwille gegen diese
unerträglichen Kollegien, die mich mit vielen superficiellen Arbeiten beladen, worunter ich ohne
Nutzen leide und mein halbes Leben verliere." — In dieser Zeit lernte er auch den jungen
Huber kennen.
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